Sounds and Sweet Airs
A Shakespeare Songbook
BIS 2653
1 CD/SACD stereo/surround • 85min • 2022
17.10.2023
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Musik („der Liebe Nahrung“) und Gesang spielen in den Stücken William Shakespeares, vornehmlich in seinen Komödien, eine bedeutende Rolle. Wobei die in die Dialoge eingefügten Lieder nur in Ausnahmefällen (Desdemona, Ophelia) den Protagonisten zugeteilt werden, sondern überwiegend dem Begleitpersonal, den Narren und Geistern zumal, die sich dann auch oft in fröhlichen Nonsense-Reimereien („with a hey, and a ho, and a hey nonino“) ergehen dürfen. Diese Art Poesie hat Komponisten aller späteren Zeiten zu Vertonungen inspiriert, die ihren Reiz, auch völlig losgelöst vom dramaturgischen Zusammenhang, im Konzertsaal zu bewähren haben. Im vorliegenden abendfüllenden, auf eine einzige CD gepressten Programm gelingt das vollständig.
Wirkung über die Grenzen
Nach dem Vorbild von Meister Shakespeare selbst haben die Sopranistin Carolyn Sampson, der auch als Komponist und Arrangeur hervortretende Bariton Roderick Williams und der Pianist Joseph Middleton, wie stets weit mehr als nur Begleiter, Kompositionen aus mehreren Jahrhunderten in fünf Akten sowie einem Prolog und einem Epilog zusammengestellt und in sinnreiche Beziehungen gebracht. Die ältesten (Smith, Arne, Haydn) stammen aus dem 18., die jüngsten (Frances-Hoad, Kendall) aus dem 21. Jahrhundert.
Drei leichtfüßige Duette, von denen selbst John Irelands Begräbnislied „Full Fathom Five“ (aus The Tempest) einen heiteren Tonfall pflegt, bilden das Entree. Act I ist eine Zeitreise durch drei Jahrhunderte, wobei Thomas Arnes „Under the Greenwood Tree“ (As You Like it) Ivor Gurneys fast 200 Jahre später entstandenen (längeren) Version desselben Textes gegenübergestellt wird. Act II ist den Beiträgen deutschsprachiger Komponisten vorbehalten. Joseph Haydns „She never told her love“ (Twelfth Night) war für den englischen Markt und entsprechend in der Originalsprache geschrieben. Durch die Übersetzungen der Schlegel-Tieck-Edition war Shakespeare in der Zeit der Romantik bei uns erstmals ins kulturelle Bewusstsein gerückt. Franz Schubert ist gleich mit drei Liedern vertreten, darunter dem populären „An Silvia“. Robert Schumann, Hugo Wolf und Peter Cornelius adaptieren die Texte in ihrem jeweils eigenen Stil, wobei Wolf für Zettels Eselsgeschrei eine köstliche Klangcharakteristik findet.
Avantgarde und klassische Moderne
Zwei Komponistinnen der Gegenwart stehen in Act III im Zentrum des gesamten Programms. Während Cheryl Frances-Hoad (Jg. 1980) in „They Bore him Barefaced on a Bier“ (Hamlet) mit sparsamsten musikalischen Mitteln Ophelias Wahnsinn beschreibt, ließ sich Hannah Kendall (Jg. 1984) in ihrem Zyklus Rosalind (2020) nicht von Shakespeares eigenem Text inspirieren, sondern legte ihm Gedichte von Sabrina Mahfouz zugrunde, die der faszinierenden Protagonistin aus As You Like it eine scheinbar aktuelle Deutung gibt: „Ich bin weder er noch sie, nur ein Mensch, der sich täglich neu bestimmt“. Shakespeares Rosalinde freilich, zu seiner Zeit von einem Mann gespielt, verkleidet sich im Stück als Mann, der für den Geliebten dann in dieser Kostümierung die Frau spielt, um am Ende in die ersehnte Rolle der Braut zu schlüpfen. Trotz des mehrfachen Rollenwechsels ist sie sich über ihre geschlechtliche Identität aber nicht im Unklaren. Die Komponistin verteilt die Texte auf zwei Stimmen (Sopran und Bariton) und ergänzt die Klavierbegleitung mit Mundharmonika und Music Box.
In Act IV kommt es zu einer reizvollen Konfrontation von Francis Poulenc und Benjamin Britten, die 1962 gleichzeitig den Auftrag erhielten, für das Buch „Classical Songs for Children“ das Lied „Fancy“ aus The Merchant of Venice zu vertonen. Arthur Honeggers „Deux Chants d’Ariel“ entstanden 1923 als Bühnenmusik für eine Aufführung von The Tempest. Da stellen sich Parallelen her zu Michael Tippetts „Three Songs for Ariel“, die 1962 ebenfalls für eine Theaterproduktion geschrieben wurden. In Act V dominieren wieder die Angelsachsen, vorzugsweise mit Kompositionen aus dem frühen 20. Jahrhundert. Als quasi Bonus gibt Arthur Sullivans „Orpheus with his Lute“ den Epilog.
Ein üppiges Festmahl
„Wir haben gerade erst an der Oberfläche gekratzt“, stellt (Sullivans) Arrangeur und Sänger Roderick Williams im Rückblick auf die intensive Beschäftigung des Teams mit Shakespeare fest. Das heißt: auf diesem Gebiet wird auch künftig noch viel zu holen sein. Das üppige Mahl dieses Programms, das keine Schwachpunkte und keine Durststrecken kennt, ist ein reines Hörvergnügen, weil die drei Künstler hörbar auf der Höhe ihres Könnens angelangt sind, ein unerschöpfliches Reservoir an Farben und Nuancen aufbieten können, und die beiden Sänger bei aller Meisterschaft und Reife (Carolyn Sampson war zum Zeitpunkt der Aufnahme 48, Roderick Williams 57 Jahre alt) sich stimmlich wie im temperamentvollen Vortrag eine jugendliche Frische bewahrt haben.
Ekkehard Pluta [17.10.2023]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
John Ireland | ||
1 | Full Fathom Five (aus The Tempest, W. Shaekspeare) | 00:01:14 |
Ralph Vaughan Williams | ||
2 | Dirge for Fidele (aus Cymbeline, W. Shaekspeare) | 00:03:55 |
Ernest John Moeran | ||
3 | The Lover and his Lass (aus As You Like It, W. Shaekspeare) | 00:01:39 |
Mario Castelnuovo-Tedesco | ||
4 | Arise (aus Cymbeline, W. Shaekspeare) | 00:01:24 |
John Christopher Smith | ||
5 | You Spotted Snakes (aus A Midsummer Night's Dream, W. Shaekspeare) | 00:01:53 |
Michael Tippett | ||
6 | Come unto these Yellow Sands (Three Songs for Ariel, aus The Tempest, W. Shaekspeare) | 00:01:55 |
7 | Full Fathom Five (Three Songs for Ariel, aus The Tempest, W. Shaekspeare) | 00:01:55 |
8 | Where the Bee Sucks (Three Songs for Ariel, aus The Tempest, W. Shaekspeare) | 00:01:10 |
Thomas A. Arne | ||
9 | Under the Greenwood Tree (aus As You Like It, W. Shakespeare) | 00:02:13 |
Ivor Gurney | ||
10 | Under the greenwood tree (aus As You Like It, W. Shakespeare) | 00:01:43 |
Charles Hubert Hastings Parry | ||
11 | Sonnet LXXXVII (Four Sonnets of Shakespeare No. 2) | 00:03:27 |
John Ireland | ||
12 | When Daffoldils Begin to Peer (Songs of a Wayfarer No. 2 aus The Winter's Tale, W. Shakespeare) | 00:02:02 |
Joseph Haydn | ||
13 | She never told her love Hob. XXVIa:34 (aus Twelfth Night, W. Shakespeare) | 00:03:56 |
Franz Schubert | ||
14 | An Silvia op. 106 Nr. 4 D 891 (aus The Two Gentlemen of Verona, W. Shakespeare) | 00:02:44 |
15 | Ständchen D 889 (aus Cymbeline, W. Shakespeare) | 00:01:47 |
16 | Trinklied D 888 (aus Antony and Cleopatra, W. Shakespeare) | 00:01:17 |
Robert Schumann | ||
17 | Schlusslied des Narren op. 127 Nr. 5 (Twelfth Night, W.Sheakespeare - aus: Fünf Lieder und Gesänge op. 127) | 00:00:58 |
Hugo Wolf | ||
18 | Lied des transferierten Zettel (aus A Midsummer Night's Dream, W. Shakespeare) | 00:00:51 |
Peter Cornelius | ||
19 | Komm herbei, o Tod op. 16 Nr. 3 (aus Twelfth Night, W. Shakespeare) | 00:02:58 |
Cheryl Frances-Hoad | ||
20 | They bore him barefaced on the bier (Two Shakespeare Songs Nr. 2, Hamlet) | 00:03:20 |
Hannah Kendall | ||
21 | Rosalind | 00:14:10 |
Francis Poulenc | ||
26 | Fancy (aus The Merchant of Venice, W. Shakespeare) | 00:02:15 |
Benjamin Britten | ||
27 | Fancie (aus The Merchant of Venice, W. Shakespeare) | 00:00:52 |
Arthur Honegger | ||
28 | Deux chants d'Ariel (aus The Tempest, W. Shakespeare) | 00:03:32 |
Frank Bridge | ||
30 | Blow, Blow thou Winter Wind (aus As You Lit It, W. Shakespeare) | 00:01:50 |
Madeleine Dring | ||
31 | Take, o take those lips away (Seven Shakepeare Songs Nr. 5, aus Measure for Measure) | 00:03:42 |
John Dankworth | ||
32 | Shall I Compare thee to a Summer's day? (Sonnet XVIII, W. Shakespeare) | 00:02:36 |
Mervyn Horder | ||
33 | Under the Greenwood Tree (Seven Shakespeare Songs Nr. 1 aus As You Like It) | 00:01:20 |
Samuel Coleridge-Taylor | ||
34 | The Willow Song (aus Othello, W. Shakespeare) | 00:02:28 |
Amy Beach | ||
35 | Fairy Lullaby op. 37 Nr. 3 (Three Shakespeare Songs, A Midsummer Night's Dream) | 00:02:04 |
Roderick Williams | ||
36 | Sigh no More, Ladies (aus Much Ado About Nothing, W. Shakespeare) | 00:00:59 |
Arthur Sullivan | ||
37 | Orpheus with his Lute (aus Henry VIII, W. Shakespeare) | 00:03:11 |
Interpreten der Einspielung
- Carolyn Sampson (Sopran)
- Roderick Williams (Bariton)
- Joseph Middleton (Klavier)