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Besprechung CD

Georg Philipp Telemann

Kantaten – Französischer Jahrgang Vol. 3

cpo 555 438-2

2 CD • 2h 09min • 2022

25.03.2024

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 10
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 10

Klassik Heute
Empfehlung

Welch tollkühnes Unterfangen den kompletten Kantaten-Jahrgang für das Kirchenjahr 1714/15 mit 72 Einzelwerken von Georg Philipp Telemann aufzunehmen! Mittlerweile haben Felix Koch, die Gutenberg Soloists und sein hervorragender Neumeyer Consort mit Vol. 3 das erste gute Drittel geschafft und zusätzlich Orgelbearbeitungen von Choralmelodien zu kleinen Choralkantaten arrangiert. Auch dies ist durchaus hörenswert und könnte Anregung für kleine Gemeinden ohne die Möglichkeit, die großbesetzten Kantaten aufzuführen, bieten.

Der Librettist als Revolutionär und Weggefährte

Die Idee, die von der Oper beeinflusste italienische Kammerkantate mit ihren Rezitativen und Arien für den evangelischen Gottesdienst nutzbar zu machen, stammt von Erdmann Neumeister (1672-1756). Neumeister, der Theologie und Poetik studiert hatte, war, als Telemann 1705 Hofkomponist des Grafen Promnitz in Sorau wurde, dort bereits Superintendent. Ab 1715 amtierte er als Hauptpastor an der Hamburger Jakobikirche und kam so 1721 wieder mit Telemann zusammen, als dieser dortselbst Director musices wurde. Gern hätte er J. S. Bach, dem später vom Leipziger Rat allzu opernhafte Kirchenwerke im Anstellungsvertrag untersagt wurden, als Organisten gehabt und unterstützte deshalb so energisch wie erfolglos dessen Bewerbung. Stilistisch orientierte er sich an der eher im niederen Stil gehaltenen Lyrik Christian Weises und vermied die exzessiv prunkende Metaphorik der Zweiten Schlesischen Dichterschule um Daniel Casper von Lohenstein. Die von Telemann vertonten Texte erschienen erstmalig 1717 in den „Fünffachen Kirchenandachten“, d.h., dass Telemann sie bereits direkt vom Dichter, zu dem der Kontakt nie abgerissen war, vorab erhalten hatte.

Die Quellenlage

Alle 72 Kantaten liegen in Abschriften von Telemanns Frankfurter Assistenten und Nachfolger Johann Christoph Bodinus (1690-1727) und dessen Nachfolger Johann Balthasar König (1691-1758) vor. Sie wurden von der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt mittlerweile vollständig digitalisiert, sodass, wer sich für den Notentext interessiert und mit deutscher Kanzleischrift zurechtkommt, sie sich herunterladen kann. Die Aufführungsmaterialien für die Einspielung werden am anderen Ende der Welt von Peter Young (Canberra Baroque) in der australischen Hauptstadt spartiert und zudem kostenlos auf IMSLP zum Download zur Verfügung gestellt. Bisher liegen dort 6 Kantaten aus Vol. 1 vor. Weitere 12 finden sich in den bei Bärenreiter erscheinenden „Ausgewählten Werken“, Band 40.

Und was ist daran Französisch?

Zunächst einmal die Instrumentation mit 2 Oboen, die die Violinen doppeln und häufig in Manier Jean Baptiste Lullys 2 Violen im Streichorchester vorsieht, die man mit 2 Altoboen doppeln könnte, so man sie den hat. Desweiteren im fließenden Übergang zwischen Rezitativ, Arioso, Arie und Chor. Dann in der Verwendung tänzerischer französischer Formen wie in der Tragédie lyrique üblich. In den Arien ist das volle DaCapo die Ausnahme. Dafür ist der Anfang von TWV 1:1537 – man sieht an der hohen Nummer der Werkgruppe 1 „Kantaten“, wie fleißig Telemann war – „Weichet fast aus meiner Seele“ als überaus originelles Rondeau konzipiert, in dem der zu Beginn erklingende Ensemblesatz sich als Refrain erweist, der eine Arie und ein Rezitativ einschließt. (CD I, Tr. 1f.) Die nachfolgende Sopran-Arie weist eine hochvirtuose Vogelgezwitscher Partie für 2 Blockflöten auf (I, 3). (I,5) und bietet eine mit hohen Bs gespickte weitere Sopran-Arie. Insgesamt liegen die Vokalpartien in ihrer Tessitura recht hoch (Bass häufig von A oder c bis f1), was ebenfalls typisch für die Franzosen ist, da die damalige Normstimmung in Versailles mit 392 Hz für das a einen Ganzton unter unserer heutigen Stimmung lag. Ob Telemann in Frankfurt derart tiefe Blasinstrumente zur Verfügung standen, ist fraglich, da die Orgelstimmen nur einen Ganzton tiefer notiert sind, was auf eine Orgelstimmung um 466 Hz (Chorton) und einen Kammerton um 415 Hz schließen lässt.

Instrumentaliter inspiriert – sängerisch solide

Das Neumeyer Consort ist mit Können, Lust und Spielfreude bei der Sache und hat keine Schwierigkeiten die schwungvollen und immer stilgerechten Tempi, die Felix Koch von ihm fordert klangschön, fein artikuliert und intonationssicher umzusetzen. Telemanns Schreibweise für die Solisten verlangt nicht unbedingt die endlosen Bögen Bachs, dafür aber eine erheblich größere Wendigkeit in Koloratur und Ornamentik. Annemarie Pfahler kann im äußerst brillanten, hochliegenden „Auf heute wie morgen“ (I,5) überzeugen. In den Ensembles sind mir die Soprane manchmal ein wenig zu dominant ansonsten mischen die Stimmen sich aber ausgezeichnet. Die Alti könnten ihre Koloraturen durchweg sauberer binden und vielleicht auch ein wenig mehr mit Trillern, Battenents und Coulés ornamentieren. Die beste Virtuosentechnik weisen die drei außerordentlich klangschön singenden Tenöre auf. Beide Bässe missfallen durch gehackte Koloraturen sowie mangelndem Legato. Da wäre der balsamische Hans Christoph Begemann wie in Vol. 1 und 2 die eindeutig bessere Lösung gewesen.

Das ausführliche Booklet und die exzellente Klangtechnik unterstreichen das hohe musikalische Niveau der Einspielung.

Fazit: Acht phantasievolle, individuell und abwechslungsreich konzipierte Kantaten, die durchaus weiter entwickelt sind als im selben Zeitraum in Weimar entstandene Werke J. S. Bachs. Dazu vier Miniatur-Choralkantaten nach Orgelwerken, die sich gut für unausgewogen besetzte kleine Kantoreien eignen und deshalb durchaus ein Repertoiregewinn sind. Für Kirchenmusiker Pflicht, für Barockfans ebenfalls. Klar empfohlen.

Thomas Baack [25.03.2024]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Georg Philipp Telemann
1Weichet fort aus meiner Seele TWV 1:1537 (Kantate zum 15. Sonntag nach Trinitatis) 00:15:06
7Vater unser im Himmelreich (Choralvorspiel) 00:03:57
11Ein Aussatz ist die Sünde TWV 1:417 (Kantate zum 14. Sonntag nach Trinitatis) 00:12:33
17Ach Gott vom Himmel sieh darein (Choralvorspiel) 00:03:53
20Gräulich sind die letzten Zeiten TWV 1:700 (Kantate zum 25. Sonntag nach Trinitatis) 00:10:58
26Werd ich denn zu deiner Rechten TWV 1:579 (Kantate zum 26. Sonntag nach Trinitatis) 00:10:06
CD/SACD 2
1Ich bin getrost im Leben TWV 1:821 (Kantate zum Michaelisfest) 00:14:49
5Ach, wie beisst mich mein Gewissen TWV 1:36 (Kantate zum 11. Sonntag nach Trinitatis) 00:16:24
13Durch Adams Fall ist ganz verderbt (Choralvorspiel) 00:06:01
17Was fehlt dir doch TWV 1:1507 (Kantate zum 12. Sonntag nach Trinitatis) 00:16:08
23O Haupt voll Blut und Wunden (Choralvorspiel) 00:05:40
26Brich dem Hungrigen dein Brod TWV 1:134 (Kantate zum 13. Sonntag nach Trinitatis) 00:12:31

Interpreten der Einspielung

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