Linos Ensemble
The Chamber Music Arrangements
Capriccio C7265
8 CD • 8h 00min • 1999-2011
03.01.2019
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Vor hundert Jahren, im November 1918, gründeten Arnold Schönberg und Anton Webern in Wien den „Verein für musikalische Privataufführungen“, dem sich der dritte große Exponent der Neuen Wiener Schule, Alban Berg, bald anschloß. Ziel war die Erziehung des Publikums zum Verständnis der modernen Musik durch exemplarische Interpretationen. Dem Fehlen eines in den meisten Werken geforderten großen Orchesters trat man dabei kompositorisch produktiv entgegen, indem man Fassungen für Kammerensemble erstellte, die das Wesentliche der Musik zum Ausdruck bringen sollten. Immerhin 121 Konzerte konnten in den folgenden drei Jahren stattfinden, bevor die Inflation dem Unternehmen ein Ende setzte.
Das 1977 gegründete Linos-Ensemble hat in den letzten 20 Jahren - in Zusammenarbeit mit dem WDR, dem DLF und dem Label Capriccio - diese lange vergessenen Bearbeitungen wieder ins Bewusstsein des Musikpublikums gebracht. Ein großer Teil der Veröffentlichungen auf CD wurde an dieser Stelle schon gebührend gewürdigt. Zur Centenarfeier legt Capriccio nun alle 8 Publikationen in einer Kassette vor.
Ich habe diese Aufnahmen jetzt zum ersten Mal gehört und kam aus dem Staunen kaum heraus. Viele der vertrauten Werke werden durch die verfremdenden Arrangements erst richtig zur Kenntlichkeit gebracht. Das gilt insbesondere für Bruckners Siebente, die von Erwin Stein, Hanns Eisler und Karl Rankl für Klarinette, Horn, Streichquintett, Klavier und Harmonium eingerichtet wurde, mit dem Ziel, die Architektur dieses spätromantischen Meisterwerks transparent zu machen. Bei Mahlers Vierter wird, nicht nur im 2. (Scherzo-)Satz, erkennbar, dass der Komponist sie ursprünglich als „sinfonische Humoreske“ konzipiert hat.
Mahler spielte überhaupt eine wichtige Rolle in der Arbeit des Vereins und entsprechend auch in den Konzerten des Linos-Ensembles. Die Lieder eines fahrenden Gesellen hat man zweifellos schon kerniger gehört als von Olaf Bär, bei den Kindertotenliedern wird man der Sängerin Marion Eckstein (die auch Bergs Altenberg-Lieder kompetent gestaltet) vor allem zugute halten, dass sie jede Larmoyanz vermeidet. Das Lied von der Erde wiederum empfand ich als kleine Offenbarung. So diesseitig und lebensfroh, so sanguinisch und temperamentvoll habe ich diesen Zyklus noch nie gehört. Das liegt nicht nur an dem unvollendeten Arrangement Schönbergs, das Rainer Riehn komplettiert hat, sondern auch an der suggestiven Wiedergabe durch das Linos Ensemble. Und Markus Schäfer übertrifft viele prominentere Tenorkollegen an Ausdruckskraft und deklamatorischer Schärfe. Da kann die Mezzosopranistin Ivonne Fuchs, die damals erst am Anfang ihrer Karriere stand, nicht mithalten, vor allem für den halbstündigen Schlussgesang Der Abschied fehlt es ihr noch an gestalterischer Reife.
Überhaupt sind bei den – stimmlich durchweg attraktiven - Damen die Texte der Schwachpunkt. Gedichte wie die Petrarca-Sonette (Schönberg) oder die Maeterlinck-Lieder (Zemlinsky) sind auch nach mehrmaligem Lesen nicht leicht zu verstehen und sie haben es in der gesungenen - noch dazu von Frauenstimmen gesungenen - Version doppelt schwer, beim Hörer anzukommen. Deshalb darf man mit Simone Nold und Zoryana Kushpler, die zu opernhaftem Pathos neigen, nicht zu hart ins Gericht gehen.
Besonderes Gewicht maß der Verein dem oft verkannten Max Reger zu (Schönberg: „Ein Genie“). Dessen Romantische Suite entfaltet auch in der Kammerversion ihren sinfonischen Zauber. Und der oftmals über die Ufer tretende Klangstrom des einstündigen Violinkonzerts, das Winfried Rademacher souverän meistert, wird in der Fassung von Rudolf Kolisch – nicht zum Schaden des Werkes – eingedämmt. Weit weniger überzeugend Debussys Prélude à l’après-midi d’un faune, das im Arrangement von Benno Stein seine Eigenart einbüßt und auch harmonisch sehr verwässert klingt.
Die sinfonischen Eigenkompositionen von Schönberg (Kammersymphonie op. 9), Webern (Sechs Orchesterstücke op. 6) und Berg (Violinkonzert) finden in der Kassette den gebührenden Platz und adäquate Interpretationen. Die von ihnen besorgten Bearbeitungen von Strauß-Walzern, vom Linos Ensemble mit vitaler Musizierlust gestaltet, bieten eine empfehlenswerte Alternative zum Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker.
Ekkehard Pluta [03.01.2019]
Anzeige
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Anton Bruckner | ||
1 | Sinfonie Nr. 7 E-Dur für Klarinette , Horn, 2 Violinen, Viola, Violoncello, Kontrabaß, Klavier und Harmonium | 01:06:06 |
CD/SACD 2 | ||
Gustav Mahler | ||
1 | Sinfonie Nr. 4 G-Dur (Bearb. für 12 Instrumente) | 00:53:54 |
5 | Wenn mein Schatz Hochzeit macht (aus: Lieder eines fahrenden Gesellen) | 00:03:56 |
6 | Ging heut' morgen übers Feld (aus: Lieder eines fahrenden Gesellen) | 00:03:59 |
7 | Ich hab' ein glühend Messer (aus: Lieder eines fahrenden Gesellen) | 00:03:19 |
8 | Die zwei blauen Augen (aus: Lieder eines fahrenden Gesellen) | 00:04:55 |
CD/SACD 3 | ||
1 | Das Lied von der Erde für Tenor, Bariton und Orchester | 01:00:20 |
CD/SACD 4 | ||
1 | Nun will die Sonn' so hell aufgeh'n (aus: Kindertotenlieder) | 00:05:27 |
2 | Nun seh' ich wohl, warum so dunkle Flammen (aus: Kindertotenlieder) | 00:04:32 |
3 | Wenn dein Mütterlein tritt zur Tür herein (aus: Kindertotenlieder) | 00:04:31 |
4 | Oft denk' ich, sie sind nur ausgegangen | 00:02:52 |
5 | In diesem Wetter, in diesem Braus | 00:06:05 |
Alban Berg | ||
6 | Konzert für Violine und Orchester (Dem Andenken eines Engels) | 00:25:45 |
8 | Seele, wie bist du schöner op. 4 Nr. 1 | 00:03:05 |
9 | Sahst du nach dem Gewitterregen op. 4 Nr. 2 | 00:01:15 |
10 | Über die Grenzen des Alls op. 4 Nr. 3 | 00:01:36 |
11 | Nichts ist gekommen op. 4 Nr. 4 | 00:01:24 |
12 | Hier ist Friede op. 4 Nr. 5 | 00:04:15 |
CD/SACD 5 | ||
Max Reger | ||
1 | Violinkonzert A-Dur op. 101 (Orchestrierung: Adolf Busch) | 00:57:22 |
CD/SACD 6 | ||
Arnold Schönberg | ||
1 | Kammersinfonie Nr. 1 op. 9 (Bearb. für Flöte, Klarinette, Violine, Violoncello und Klavier) | 00:20:43 |
2 | Natur op. 8 Nr. 1 | 00:03:42 |
3 | Das Wappenschild op. 8 Nr. 2 | 00:03:37 |
4 | Nie ward ich, Herrin, müd' op. 8 Nr. 4 | 00:03:46 |
5 | Voll jener Süße op. 8 Nr. 5 | 00:05:48 |
6 | Wenn Vöglein klagen op. 8 Nr. 6 | 00:04:57 |
Anton Webern | ||
7 | Sechs Stücke op. 6b für Kammerorchester | 00:10:58 |
CD/SACD 7 | ||
Claude Debussy | ||
1 | Prélude à l'après-midi d'un faune (Nachmittag eines Fauns - Bearb. für Kammerensemble) | 00:10:05 |
Max Reger | ||
2 | Romantische Suite op. 125 | 00:26:27 |
Alexander Zemlinsky | ||
5 | Die drei Schwestern op. 13 Nr. 1 (aus: Sechs Maeterlinck-Gesänge op. 13) | 00:04:14 |
6 | Die Mädchen mit den verbundenen Augen op. 13 Nr. 2 (aus: Sechs Maeterlinck-Gesänge op. 13) | 00:03:13 |
7 | Lied der Jungfrau op. 13 Nr. 3 (aus: Sechs Maeterlinck-Gesänge op. 13) | 00:02:28 |
8 | Als ihr Geliebter schied op. 13 Nr. 4 (aus: Sechs Maeterlinck-Gesänge op. 13) | 00:02:18 |
9 | Und kehrt er einst heim op. 13 Nr. 5 (aus: Sechs Maeterlinck-Gesänge op. 13) | 00:03:02 |
10 | Sie kam zum Schloß gegangen op. 13 Nr. 6 (aus: Sechs Maeterlinck-Gesänge op. 13) | 00:04:31 |
Ferruccio Busoni | ||
11 | Berceuse élégiaque op. 42 BV 252a | 00:10:05 |
CD/SACD 8 | ||
Johann Strauß (Sohn) | ||
1 | Wein, Weib und Gesang op. 333 (Walzer) | 00:12:49 |
2 | Rosen aus dem Süden op. 388 | 00:09:02 |
3 | Lagunen-Walzer op. 411 | 00:08:13 |
4 | Kaiserwalzer op. 437 | 00:12:20 |
5 | Schatz-Walzer op. 418 | 00:08:47 |
Interpreten der Einspielung
- Linos Ensemble (Kammerensemble)
- Olaf Bär (Bariton)
- Alison Browner (Mezzosopran)
- Markus Schäfer (Tenor)
- Marion Eckstein (Mezzosopran)
- Simone Nold (Sopran)
- Ivonne Fuchs (Mezzosopran)
- Zoryana Kushpler (Mezzosopran)
- Winfried Rademacher (Violine)