Farao Classics B 108029
1 CD • 53min • 2006
20.11.2006
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Das Programm dieses Soloalbums hat die 1981 in München geborene Geigerin Rebekka Hartmann, eine der herausragenden Solistinnen ihrer Altersstufe, sehr klug ausgewählt: Auf die berühmteste der Solo-Partiten Johann Sebastian Bachs folgen zwei Werke des 20. Jahrhunderts von Paul Hindemith und Bernd Alois Zimmermann, in welchen diese Autoren mit ganz unterschiedlichen Ansätzen die barocke Musik reflektieren. Auffällig und interessant ist nun, daß sich zwischen Rebekka Hartmanns Bach-Auffassung und ihrer Interpretation der Moderne ein Abgrund öffnet: Während sie die Idiomatik der neueren Musik schlafwandlerisch genau trifft, könnte ihr Bach-Bild manchen Hörer irritieren.
Der Grund hierfür ist Rebekka Hartmanns außerordentlich unruhige, ja, stellenweise unordentliche Phrasierung. Ab den ersten Takten der d-Moll-Partita frappiert die immense Heterogenität der Gestik: Eine Geste wird kunstvoll verhaucht – und damit geht die unverbrüchliche Totalität der Linie verloren, ein einzelner Ton wird auf einmal gänzlich anders gefärbt und so aus der Melodie herausgelöst, der Beginn einer Motiveinheit wird agogisch unnötig beschwert; oder aber, was am schwersten wiegt, es werden auf allerengstem Raum, also innerhalb von ein, zwei Takten, auch solche Gestalten, die eigentlich miteinander korrespondieren und sich damit in irgendeiner Weise entsprechen sollten, höchst unterschiedlich phrasiert. Damit ist nicht das verdeckt mehrstimmige Spiel gemeint ist, von dem Bachs Solowerke durchzogen sind.
Man sollte diese Uneinheitlichkeit jedoch nicht mit Spontaneität verwechseln, weil diese ja nicht notwendig Sinneinheiten zerstört. Es ist dies gewissermaßen eine pointillistische Interpretation, eine, die den Zusammenhang auflöst zugunsten geglückter oder eben auch nicht geglückter Momente, allerdings damit auch eine, die Bach nicht in kosmischer Ruhe inszeniert, sondern in einer stets eher schwer nachvollziehbaren Anti-Organik. Die berühmte Chaconne ist so nicht als übergroße Einheit nachzuvollziehen, weil sich dem Hörer kein Begriff von dem ergibt, was schon war oder was noch erklingen wird. Nicht nur die einzelnen Variationen zerfallen, sondern schon die einzelnen melodischen Bausteine, und zwar in unverbundene oder zumindest schwer verbindbare Atome. Rebekka Hartmanns Virtuosität in den schnellen Variationen ist beachtlich, ihr Spiel ist klangschön und sauber intoniert, wenn auch etwas zu direkt aufgenommen – doch müßten schöne Momente eben doch aufgehoben sein in einer höheren Ordnung.
All diese kritischen Punkte sind aber vollkommen verschwunden in Rebekka Hartmanns Interpretationen der beiden Sonaten für Violine solo von Hindemith und Bernd Alois Zimmermann. Der Grund für diese sensationell gesteigerte Überzeugungskraft ist nicht ganz leicht auszumachen; letztlich liegt er wohl darin, daß Rebekka Hartmann mit der modernen, dabei aber gleichzeitig jeweils völlig unterschiedlich gearteten Traditionsbereitschaft Hindemiths und Zimmermanns zeitlich und musiksprachlich ungleich besser vertraut ist. In Hindemiths Sonate besticht dessen teils frecher, teils respektvoller Umgang mit dem Barock, während in Zimmermanns noch einmal weitaus vielschichtigeren, dabei stärker musikantisch wirkenden Solosonate (1951) geradezu beglückt, wie viel die Geigerinn etwa mit den Pizzicati am Schluß des Präludiums anfangen kann, wie viel Kraft sie für die Repetitionen der Toccata hat. Gegen diese beiden Interpretationen kann selbst mit dem schlechtesten Willen nichts eingewandt werden. Rebekka Hartmann wäre sicherlich nicht schlecht beraten, ihre hoch ausgebildete Intuition für die Moderne und Zeitgenossenschaft weiter zu pflegen.
Prof. Michael B. Weiß [20.11.2006]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Johann Sebastian Bach | ||
1 | Partita Nr. 2 d-Moll BWV 1004 für Violine solo | |
Paul Hindemith | ||
2 | Sonate g-Moll op. 11 Nr. 6 für Violine solo | |
Bernd-Alois Zimmermann | ||
3 | Sonate für Violine |
Interpreten der Einspielung
- Rebekka Hartmann (Violine)