Sony Classical SK 62856
1 CD • 42min • 1996
01.03.2000
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Wahrscheinlich zielt Booklet-Autor Bruce Adolphe in seinem hagiographischen Eifer ein wenig zu weit, wenn er Nicholas Maw (Jahrgang 1935) "als den wohl bedeutendsten Vertreter der romantischen Ästhetik unter den zeitgenössischen Komponisten" bezeichnet, "gewissermaßen als den Brahms unserer Zeit". Um sogleich zu folgern, "daß die Musik von Nicholas Maw einen ähnlich prägenden Einfluß auf die großen sinfonischen Werke des 21. Jahrhunderts haben wird." Ob Maw für die nächsten Generationen die Funktion haben wird, die Brahms für Schönberg und seine Schüler hatte, sei einmal dahin gestellt - und ist eigentlich auch ziemlich egal. Denn erst wer sich vom Denken in Schulen, Schubladen und Fortschrittskonstrukten verabschiedet hat, kann einem Werk wie Maws Violinkonzert gerecht werden.
Maw scherte sich Zeit seines Lebens nicht um all das, was gerade en vogue war. Maw schrieb immer nur Maw. Die höchst persönlich eingefärbte, aber immer präsente Tonalität seiner Klangsprache trägt auch nicht einen Moment lang den Stempel wirkungssicherer Plüschigkeit. Diese Tonsprache ist kompromißlos selbständig - und schon aus diesem Grunde darf bezweifelt werden, daß Adolphe recht behalten wird. Am ehesten könnte man Maw mit Petterson vergleichen, der auch gleichsam losgelöst von Zeit und Raum seinen eigenen Weg beschritt.
Maws Violinkonzert erfüllt formal weitgehend die Konvention, mit sinfonischem Scherzo an zweiter und glutvollem Lento an dritter Stelle. Was aber aufhorchen läßt, ist die unendlich reiche melodische Erfindungsgabe dieses Komponisten. Seine Linien scheinen keinen Anfang und kein Ende zu kennen. In fein balancierten Schritten folgt emotionale Kulmination auf emotionale Kulmination. Und schon lange hat kein C-Dur-Dreiklang mehr so viel Zauber entwickelt, wie jener ätherische Hauch, der als Scharnier zwischen zweitem und drittem Satz fungiert.
Ein Werk von so unverhohlen romantischer Schönheit braucht Interpreten, die diese Klaviatur bedienen, ohne sich eitel im Effekt zu sonnen. Und da könnte man sich kaum eine bessere Besetzung vorstellen als Joshua Bell als Geiger und Roger Norrington am Pult der Londoner Philharmoniker. Bells leuchtender, zarter, schlanker, reiner Ton ist wie geschaffen für diese Musik. Da stört kein unschicklicher Schleifer, kein dickliches Vibrato, kein unanständiger Drücker die wahrhaftige Schönheit. Was nicht bedeutet, daß Bell etwa im Scherzo nicht auch beherzt und hochvirtuos zuzupacken in der Lage wäre. Roger Norrington sucht am Pult nicht nach Wirkung, sondern nach Substanz. Ein wunderbares Konzert in fabelhafter Interpretation und ebensolchem Klang. An der CD jedenfalls sollte man nicht achtlos vorüber gehen.
Die Spielzeit von gut 40 Minuten ist allerdings eine Unverschämtheit - man hätte gewiß noch ein passendes Stück finden können.
Peter Korfmacher [01.03.2000]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Nicholas Maw | ||
1 | Violinkonzert (1993) |
Interpreten der Einspielung
- Joshua Bell (Violine)
- London Philharmonic Orchestra (Orchester)
- Sir Roger Norrington (Dirigent)