Berlin Harpsichord Concertos
Nichelmann Graun Schaffrath Wolf
Audax Records ADX 11211
1 CD • 78min • 2023
15.06.2024
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Die Form des Solo-Instrumentalkonzerts ist in der deutschen Musik besonders durch Johann Sebastian Bach befördert worden, der für seine Violinkonzerte auf italienische Vorbilder zurückgriff. So konnte er während seiner Zeit als Kapellmeister in Weimar und Köthen dieser neuen musikalischen Form, deren Grundlage im Schaffen italienischer Komponisten wie Arcangelo Corelli und Antonio Vivaldi lag, in der deutschen Musik einen festen Platz verschaffen; neben den besonders im Schaffen Georg Philipp Telemanns so präsenten Gruppenkonzerten, die an das Concerto Grosso anknüpfen und für die J. S. Bach mit seinen Brandenburgischen Konzerten ebenfalls maßgebliche Beispiele hinterlassen hat. Auch in Leipzig hat Bach das Solokonzert für die Auftritte des Collegium Musicum weiter befördert – so war diese Form seinen Söhnen von früh an vertraut, traten sie doch häufig in diesen Konzerten mit derlei Stücken auf: Besonders die Cembalokonzerte sind hier zu nennen, die aus Vorbildern für andere Soloinstrumente aus Bachs Kapellmeistertagen für die Konzerte des Leipziger Collegium Musicum bearbeitet wurden und zweifellos den Söhnen als Herausforderungen ihres musikalischen Heranwachsens in Erinnerung geblieben sind.
Friedrich der Große als Kulturstifter
„In Berlin ist ja nunmehro das musicalische seculum angegangen“, bemerkte 1742 Johann Elias Bach (1705-1755), Johann Sebastian Bachs Vetter und Privatsekretär, zwei Jahre nach dem Regierungsantritt Friedrichs II. als Kurfürst von Brandenburg und König in Preußen. Der junge Monarch hatte schon an seinem Kronprinzenhof in Rheinsberg erstklassige Musiker seiner Generation um sich versammelt, die nach seinem Regierungsantritt als König den Kern seiner Hofkapelle ausmachen sollten. Neben der durch Friedrich energisch vorangetriebenen Emanzipation Brandenburg/Preußens auf der europäischen politischen Bühne wurde er so auch zum Kulturförderer, indem er der Beschränktheit, die aus übertriebener calvinistischer religiöser Überzeugung seines Vaters, des „Soldatenkönigs“ Friedrich Wilhelms I., und wohl auch aus dessen persönlichem Desinteresse an Kultur resultierte, entschieden ein Ende setzte: Friedrich II. brachte ja aus Rheinsberg eine Riege moderner Musiker mit, die von seinem Kammercembalisten Carl Philipp Emanuel Bach (1714-1788) angeführt und stiltstisch geprägt wurde.
Formendes Vorbild
Aus guten Gründen haben die Künstler in diesem Programm Musik von Carl Philipp Emanuel Bach, dem prägenden Vorbild der Entsehungzeit der hier vereinten Werke, nicht berücksichtigt, sein Werk liegt ja in einer reichen Diskografie vor; diese Einspielung konzentriert sich ganz und gar auf seine Berliner Zeitgenossen und Nachfolger. Dennoch ist er stets präsent: Bei der Musik, die am Hof erklang, mag der eher seichte Geschmack des Königs im Sinne eines galanten Stils vorgeherrscht haben – in den Salons der kulturell durchaus wachen bürgerlichen Gesellschaft Berlins konnten Friedrichs Hofmusiker allerdings ihren stilistischen Avantgardismus ohne Behinderung durch den Souverän ausleben. Ihnen allen ging voran C. Ph. E. Bach, der Kammercembalist seiner Majestät: So wurde das bürgerliche muskalische Leben Berlins dank des Wirkens dieses Bach-Sohnes, der bei seinen Zeitgenossen in höherer Gunst stand als sein Vater, zu einer Keimzelle der damaligen neuen Musik.
Ausgangspunkte in die Autonomie
So ist allen auf dieser CD versammelten Konzerten ein Geist des musikalischen Aufbruchs gemeinsam, der sich offensichtlich aus dieser Ausrichtung auf eine neue Zeit speist, die freilich jeder Komponist für sich selbst in einem individuellen musikalischen Ausdruck verwirklicht. In dieser Diversität ist allenthalben Carl Philipp Emanuel Bach als musikalischer Mentor zu spüren, allerdings immer im Sinn einer eigenen stilstischen Unabhängigkeit eines jeden Komponisten. So hat C. Ph. E. Bach seinen gleichaltrigen Kollegen Christoph Nichelmann (1717-1762), Carl Heinrich Graun (ca. 1704/05-1759) und Christoph Schaffrath (ca.1710-1763) sowie dem 21 Jahre jüngeren Ernst Wilhelm Wolf (1735-1792) nicht nur Modelle des modernen Instrumentalkonzerts vermittelt, sondern war ihnen offensichtlich auch ein Vorbild, im Licht der Tradition einen eigenen Weg zu einem persönlichen Stil zu suchen. Ein gutes Beispiel bietet hier Schaffraths Konzert in c-Moll: Im ersten Satz zeigt der Komponist eine meisterhafte Beherrschung imitatorischer Techniken der Vätergeneration, diese verbindet er souverän mit dem galanten Grundton der gesamten Komposition, der dann den zweiten und dritten Satz prägt.
Vorwärts weisende Interpretation
Wie bereits vergangene Einspielungen mich von der untadeligen Werktreue des vom Südtiroler Geiger Johannes Pramsohler geleiteten Ensembles Diderot überzeugt haben, so geht auch dieser erste Soloauftritt von Philippe Grisvard, dem Cembalisten des Ensembles, nicht fehl: Passend zum englischen Ausdruck für Sekt als „sparkling wine“ würde das Ajektiv „sparkling“ auch für diese Einspielung passen: Mit frischem Mut und mit tiefer Einsicht in die Struktur dieser für ihre Zeit ausgesprochenen modernen Kompositionen gehen die Interpreten hier zu Werke und verschaffen dem heutigen Hörer einen lebendigen Eindruck deutscher Musik aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. Auch die Aufzeichnung der CD beeindruckt mit einem Klangbild, das diese Werke dem Hörer anschaulich verdeutlicht.
Detmar Huchting [15.06.2024]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Christoph Nichelmann | ||
1 | Cembalokonzert d-Moll | 00:16:18 |
Carl Heinrich Graun | ||
4 | Cembalokonzert D-Dur WVC XIII:72 | 00:17:58 |
Christoph Schaffrath | ||
7 | Cembalokonzert c-Moll CSWV C:11 | 00:19:05 |
Ernst Wilhelm Wolf | ||
10 | Cembalokonzert B-Dur | 00:24:24 |
Interpreten der Einspielung
- Philippe Grisvard (Cembalo)
- Ensemble Diderot (Ensemble)
- Johannes Pramsohler (Leitung)