the flutefancier's delight
Acanthus Baroque • Magdalena Spielmann
Helbling 9783711305541
1 CD • 66min • 2022
07.03.2024
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Schon seit geraumer Zeit hat mich keine Blockflöten-CD mehr so häufig zum zustimmenden Nicken gebracht wie das Debüt-Album von Magdalena Spielmann und ihren Mitstreitern von Acanthus Baroque. Einerseits ist die Programmauswahl mit Beschränkung auf London von 1680-1730 stimmig, indem durchaus Bekanntes mit nahezu Unbekanntem, jedoch Spanndendem gemischt wird und sie wird – was selten ist – auch konsequent durchgehalten. Andererseits ist die Ausführung superb und nutzt endlich einmal die Spielräume, welche die barocke Verzierungskunst den Interpreten bietet.
The Gentleman’s Flute
Die barocke Form der Blockflöte dürfte wahrscheinlich von den französischen Hofmusikern der letzten beiden Stuart-Könige um 1670 herum in London eingeführt worden sein. Dadurch wurde das Instrument so populär, dass jeder kultivierte Gentleman es bei Bedarf aus den geräumigen Rocktaschen ziehen konnte. Zwecks Unterweisung erschienen zwischen 1680 und 1740 mindestens 35 Flötenschulen. Davor griff man wohl auf populäre Melodien zurück, wie sie John Playford in „The dancing master“ ab 1651 veröffentlicht hatte und stattete sie mit improvisierten Variationen in der Art Jacob van Eycks aus. Magdalena Spielmann stellt dies mit großer kreativer Virtuosität an The Lost Heart (Tr. 15) nach. Die ersten Stücke, die ausdrücklich der Flöte zugewiesen werden, finden sich 1685 in den „Airs for the Violin“ von Nicola Mattheis, aus deren Bänden 3 und 4 sich die Musiker von Acanthus Baroque eine wunderbar funktionierende C-Dur-Suite zusammengestellt haben.
Der König der Raubdrucke
Gegen 1700 war die Blockflöte dann so populär, dass der Verleger John Walsh ganze Massen von Originalwerken und Bearbeitungen für die Blockflöte mit Continuo oder für 2 Blockflöten herausbrachte. Dabei war keine Händel-Arie vor ihm sicher, was die Acantus-Musiker mit einem eigenen Arrangement von „Ah! mio cor“ aus Alcina nachempfinden. Ebenfalls ein guter Einfall: Händels F-Dur Sonate einmal nur vom Cello begleiten zu lassen. Der Clou der Aufnahme ist aber die Einspielung der Sonate B-Dur op. 1/1 von William Babell (Tr. 1-4). Ursprünglich für Oboe oder Violine gedacht, meist nur als Beispiel für üppige ausgeschriebene Verzierungen rezipiert und für beide angeführten Instrumente unbequem, da ausschließlich in B-Tonarten notiert, liegen sie auf einer (Mezzo)-Sopranflöte in B – in England als „Fourth flute“ bezeichnet, da eine Quarte höher stehend als die Common Flute in F (Altflöte) – ausgesprochen bequem. Da bergen die insgesamt 24 Sonaten der Opera 1 und 2 wohl noch einige angenehme Überraschungen.
Stupende Ausführung
Als erstes sei vermerkt, dass Magdalena Spielmann auf alle nervtötenden Mätzchen à la Steger und Oberlinger mit überdrehten Tempi und gespuckten Staccati verzichten kann, weil ihre Technik und ihre Tongebung ganz einfach und selbstverständlich funktionieren. Auch muss sie Klassenbeste im Fach Historische Improvisation gewesen sein, sonst wären ihre Ornamente nicht so souverän getimed. Welch jahrelangen Mühen dahinter stehen, steht auf einem anderen Blatt. Dass sie sich den Luxus leisten kann, die ohnehin reich verzierten langsamen Sätze bei Babell noch zusätzlich auszuschmücken, ohne dass dies aufgesetzt, aufdringlich und „für die Galerie“ gespielt wirkt, zeugt von stupender Virtuosität. Um wenigstens ein bisschen zu meckern: Mir persönlich sind die Tempi in Ah! mio cor und im Siciliano der Händel-Sonate etwas zu behäbig. Beeindruckend auch, wie gut sich die häufig sulla tastiera gespielte Barockvioline von Christophe Mourault mit den unterschiedlichen Flöten mischt. Ebenfalls wunderbar das solistische Continuo-Cello von Szczepan Dembinski und die höchst variable Behandlung der Bezifferung durch Sobin Jo am Cembalo mit den geschickt eingesetzten Schlagzeugeffekten in den Grounds.
Den sehr kenntnisreiche, ausführlichen und dadurch lehrreichen Booklet-Text von Frau Spielmann hätte man an der einen oder anderen Stelle vielleicht eine Spur eleganter formulieren können. Die Aufnahmetechnik lässt keine Wünsche offen.
Fazit: Magdalena Spielmann und Acanthus Baroque feiern auf ihrer Debüt-CD ein Fest der höfisch-kultivierten Spielfreude. Endlich einmal eine Einspielung, die alle Register barocker Verzierungskunst ausreizt. Definitiv – nicht nur den Blockflötisten, denen jedoch besonders – empfohlen und für die Jahresliste schon einmal vorgemerkt.
Thomas Baack [07.03.2024]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
William Babell | ||
1 | Sonata B-Dur für Blockflöte und B.c. | 00:05:19 |
Nicola Matteis | ||
5 | Suite C-Dur (Ayres for the Violin, The Fourth Part, London 1685) | 00:10:11 |
Giovanni Battista Bononcini | ||
11 | Divertimento c-Moll (Divertimenti da camera per violino, o flauto, No. 6, London 1722) | 00:09:25 |
Anon. | ||
15 | The Lost Heart (John Playford, The English Dancing Master, London 1686) | 00:04:06 |
Georg Friedrich Händel | ||
16 | Ah! mio cor (Andante larghetto - Allegro; aus Alcina HWV 34) | 00:11:27 |
Nicola Matteis | ||
17 | Ground after The Scotch Humour (Ayres for the Violin, The Fourth Part, London 1685) | 00:02:09 |
Georg Friedrich Händel | ||
18 | Sonate F-Dur op. 1 Nr. 11 HWV 369 für Blockflöte und B.c. | 00:07:56 |
Jacques Paisible | ||
22 | Suite F-Dur für Blockflöte und B.c. | 00:11:33 |
Anon. | ||
31 | Paul's Steeple (The Division Flute, London 1706) | 00:03:15 |
Interpreten der Einspielung
- Magdalena Spielmann (Blockflöte)
- Acanthus Baroque (Ensemble)