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Besprechung CD

Johann Sebastian Bach

The First Cantata Year Vol. 1
BWV 75, 76, 21.3, 185,2, 24

hänssler CLASSIC HC23025

2 CD • 2h 12min • 2023

23.12.2023

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 7
Klangqualität:
Klangqualität: 8
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 6

Wer plant, eine größere Anzahl von Kantaten Johann Sebastian Bachs einzuspielen, kann diese nach BWV-Nummern, Festtagen oder historisch anordnen. Hans-Christoph Rademann und seine Gaechinger Cantorey wählten einen historischen Ansatz, indem sie – exakt 300 Jahre nach der Erstaufführung – Bachs erstes Amtsjahr 1723/24 ihrer Reihung zugrunde legten. Dabei vollziehen sie mit kleinem Vokalensemble, bei dem die Solisten durch 2-3 Ripienisten ergänzt werden, und kammermusikalischer Instrumentalbesetzung die Verhältnisse der Uraufführungen nach.

Bach ist Thomaskantor und alle sollen es hören!

Bach, der ja nach Telemann und Christoph Graupner die dritte Wahl war, gab ab dem 1. Sonntag nach Trinitatis 1723 mit drei prächtigen zweiteiligen und vokal anspruchsvollen Werken seine Visitenkarte als Thomaskantor ab. Dabei handelte es sich bei Die Elenden sollen essen BWV 75 und Die Himmel erzählen die Ehre Gottes BWV 76 um Neukompositionen. Die stärker dem geistlichen Konzert des 17. Jahrhunderts verpflichtete Kantate Ich hatte viel Bekümmernis BWV 21entstand bereits 1714 in Weimar. Für den vierten Sonntag übernahm er vor der Predigt Barmherziges Herze der ewigen Liebe BWV 185 aus Weimar und kombinierte es mit dem neu geschriebenen Ein ungefärbt Gemüte BWV 24. Alle fünf Werke in solenner Besetzung mit Trompeten stellen sowohl an die Solisten als auch im Vokal- und Instrumentalensemble hohe Anforderungen an Koloraturgeläufigkeit, Präzision, dramatische Intensität, schnelles Umschalten bei Wechsel des Affekts in den Accompagnati sowie rhetorisch-plastische Darstellung der teils hochemotionalen Texte und ebensolches Spiel. Deshalb ist es mutig, seine Serie gerade mit diesen heiklen Werken zu beginnen. Zumal dann, wenn man auf die harte Konkurrenz von Ton Koopman, J. E. Gardiner, Masaaki Suzuki und selbst der allerersten Gesamtaufnahme unter Harnoncourt und Leonhardt trifft.

Unausgewogenheit zwischen Sängern und Instrumentalisten

Die Aufnahme Hans-Christoph Rademanns leidet unter der Unausgewogenheit zwischen dem sehr guten, wachen Instrumentalensemble und den mit ihrer Aufgabe an singtechnische Grenzen geführten Vokalisten. Dadurch kommen Phrasen nur in dramatischen Sätzen wirklich einmal „auf Zug“ und erzielen eine zwingende Spannung. (Hasse nur, hasse mich recht, CD1 Track 24), während sie in eher kontemplativen Momenten vor sich hin plätschern. Offensichtlich hat Rademann mit den Sängern zu wenig geprobt, sonst hätte er den Solisten und dem Vokalensemble die überwiegend mit Aspirationen (eingeschobenen h’s) gebildeten Koloraturen nicht durchgehen lassen. Diese sind bei weiten Intervallsprüngen mit Registerwechsel vielleicht lässlich, bei Sekundfortschreitungen jedoch einfach nur lästig und entsprechen in keiner Weise den Gesangstraktaten von Johann Adam Hiller bis hin zu Manuel Garcia oder den Beschreibungen des Johann Joachim Quantz. Abschreckendes Beispiel: Bäche von gesalz‘nen Zähren (CD 2, Track 5). Bach notiert fallende Sekunden als Seufzerfiguren und setzt sogar noch Bindebögen über Sechszehntelpaare, was bedeutet, dass er hier tonmalerisch lang-kurz „abgezogene“ Seufzer im Legatissimo fordert. Welchen Sog mit obligater Gänsehaut dies haben kann, haben Kurt Equiluz und Nikolaus Harnoncourt bereits vor bald 50 Jahren vorgeführt. Die Soprane unterliegen zudem dem Irrtum, dass hohe Töne auch laut sein müssen. Merkwürdigerweise intonierten die barocken Instrumentenbauer jedoch die obere Oktave von Holzblasinstrumenten tendenziell etwas zu hoch, um genau den umgekehrten Effekt zu erreichen.

Marketing ersetzt keine sorgfältige Dokumentation

Die Aufnahmetechnik geht in Ordnung. Ebenso sind die Werkbeschreibungen durchaus informativ. Was allerdings fehlt, ist eine Auflistung der Ripienisten und aller Instrumentalisten. Wenn man dann den abgedruckten QR-Code scannt, erhält man ein recht penetrantes Eigenlob für das „Vision Bach“-Projekt, aber immer noch keine Aufstellung aller Mitwirkenden und des verwendeten Instrumentariums. Vielleicht könnte es fachlich ambitionierte Hörer ja interessieren, ob die Oboen nach Stanesby oder Eichentopf kopiert wurden. Wenn man dann noch mit den neuesten Erkenntnissen der Bach-Forschung wirbt, hat sich die Marketing-Abteilung heißluftig übertbläht.

Thomas Baack [23.12.2023]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Johann Sebastian Bach
1Die Elenden sollen essen BWV 75 (Kantate zum 1. Sonntag nach Trinitatis) 00:30:35
15Die Himmel erzählen die Ehre Gottes BWV 76 (Kantate zum 2. Sonntag nach Trinitatis) 00:34:37
CD/SACD 2
1Ich hatte viel Bekümmernis BWV 21 (Kantate zum 3. Sonntag nach Trinitatis und für jede Zeit) 00:36:46
12Barmherziges Herze der ewigen Liebe BWV 185 (Kantate zum 4. Sonntag nach Trinitatis) 00:15:15
18Ein ungefärbt Gemüte BWV 24 (Kantate zum 4. Sonntag nach Trinitatis) 00:14:05

Interpreten der Einspielung

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