Joseph Haydn
L'incontro improvviso
cpo 555 327-2
2 CD • 1h 52min • 2020
28.06.2023
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Sieben Jahre vor Mozarts Die Entführung aus dem Serail behandelte Joseph Haydn dasselbe Thema in dem Dramma giocosa L'incontro improvviso (Das unverhoffte Begegnen), das wiederum nichts anderes ist als ein Remake der Gluckschen Opéra comique Le rencontre imprévue (1763). Da der Auftraggeber, Fürst Esterházy, keinen Geschmack an der französischen Oper fand, ließ er von Karl Friberth, Regisseur und Tenor an seinem Hoftheater, eine italienische Textvorlage erstellen. Friberth war wohl kein begnadeter Literat, aber er erkannte einige dramaturgische Schwächen des französischen Librettos, die er durch Umstellungen, Auslassungen und Änderungen auszumerzen versuchte.
Dass die Opera buffa, die 1775 im Schloß Esterháza uraufgeführt wurde, trotz der sinnvollen dramaturgischen Straffungen eine ganze Stunde länger dauert als die Glucksche Vorgängerin, hängt mit der ganz unterschiedlichen Musiktheaterkonzeption beider Komponisten zusammen. Haydn war mit der Tradition der italienischen Oper (seria wie buffa) aufs Beste vertraut und er verstand es, das, was er bei den italienischen Meistern vorfand, wesentlich zu verfeinern und zu vertiefen. Daraus ergeben sich kostbare melodische Einfälle, aber im dramatischen Sinne auch himmlische Längen. Denn mit einigen wenigen Ausnahmen, die dann als "Canzonetta" deklariert sind, dominiert die klassische dacapo-Arie, sogar in den Gesängen der komischen Figuren. Im Übrigen ist das buffoneske Element gegenüber der französischen Vorlage stark zurückgedrängt.
Musikalische Qualitäten
Es steht außer Frage, dass Haydn in L'incontro improvviso die Gattungsgrenzen der Opera buffa immer wieder in Richtung Opera seria überschreitet, wobei er aber nicht den heroischen und pathetischen Tonfall der Seria nachahmt, sondern eine Gefühlstiefe und Ausdruckswärme erreicht, die an den reifen Mozart der da Ponte-Opern denken läßt. Etwa im Terzett des ersten Aktes zwischen Rezia und ihren Dienerinnen oder im Duett Rezia-Ali im zweiten. Die furiose Koloraturarie der Rezia "Or vicino a te" im zweiten Akt, in dem sie Unerschrockenheit vor dem Zorn des Sultans demonstriert, kann man als eine Vorwegnahme der Marternarie aus der Entführung empfinden. Sehr sparsam und erst am Ende des Stücks setzt Haydn das türkische Schlagzeug ein. Die Güte des Sultans hat hier aber auch eine so österreichisch-ungarische Serenität, dass es für musikalisches Säbelrasseln gar keine Veranlassung gibt.
Alternative zu Dorati
In seiner nun schon legendären Haydn-Edition bei Philips, die nicht nur die Symphonien, sondern auch die weit weniger bekannten Opern umfasste, hat Antal Dorati 1979 L’incontro improvviso mit dem Kammerorchester Lausanne und einer in allen Positionen überzeugenden Sängerbesetzung eingespielt. Ein neuer Versuch nach 40 Jahren, das Werk aus seinem Schattendasein zu befreien, ist also grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings funktioniert die vorliegende Aufnahme bei cpo als Alternative nur bedingt. Sie entstand beim Donaufestival im österreichischen Strudengau im Verlaufe einer Open-air-Inszenierung, wurde dem Klangeindruck nach aber ohne Publikum in einem geschlossenen Raum aufgenommen. Die Bedingungen des Theaters haben es dabei notwendig gemacht, das Stück bühnengerecht einzustreichen. Es ist jetzt 50 Minuten kürzer als bei Dorati, obwohl kurz vor dem Finale noch eine Einlage-Arie des Sultans (Hob. XXIV:11) hinzugefügt wurde.
Gediegene, aber wenig mitreißende Wiedergabe
Leider betreffen die Striche dramaturgisch zwar entbehrliche, musikalisch aber sehr reizvolle Nummern, die wie die drei Canzonetten im 2. Akt den Giocosa-Anteil des Werks unterstreichen. Etwas überraschend ist es, dass die Studio-Aufnahme Doratis mehr theatralische Lebendigkeit besitzt als diese Bühnenproduktion, die eher den Eindruck einer konzertanten Aufführung vermittelt, da die Sänger sehr instrumental geführt sind und kaum Charaktere entwickeln. Die beiden Tenöre (Ali, Osmin) und die beiden Soprane (Rezia, Balkis) unterscheiden sich in der Stimmfarbe zu wenig, Elisabeth Breuer scheint mir zudem in der weiblichen Hauptrolle zu leichtgewichtig besetzt. Der Tenor Bernhard Berchtold und der Bariton Rafael Fingerlos, zwei gestandene Profis, führen das musikalisch zuverlässige junge Ensemble an. Ein starkes Argument für die Anschaffung der Kassette ist – insbesondere für Freunde der historischen Aufführungspraxis – das wiederum sehr transparent aufspielende, wenn auch kaum dramatische Akzente setzende L’Orfeo Barockorchester unter seiner Leiterin Michi Gaigg.
Ekkehard Pluta [28.06.2023]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Joseph Haydn | ||
1 | L' incontro improvviso Hob. XVIII:6 (Dramma giocoso per musica in drei Akten) | 01:51:43 |
Interpreten der Einspielung
- Bernhard Berchtold (Ali, Prinz von Bolsora, Geliebter der Rezia - Tenor)
- Elisabeth Breuer (Rezia, Prinzessin von Persien, Favoritin im Harem des Sultans von Ägypten - Sopr)
- Anna Willerding (Balkis, Prinzessin von Persien, Favoritin im Harem des Sultans von Ägypten - Sop)
- Annastina Malm (Dardané, Sklavin, Vertraute der Rezia - Mezzosopran)
- Markus Miesenberger (Osmin, Sklave des Ali - Tenor)
- Rafael Fingerlos (Ein Calandro, ein Bettelderwisch - Bariton)
- Michael Wagner (Der Sultan von Ägypten - Baß)
- L' Orfeo Barockorchester (Orchester)
- Michi Gaigg (Dirigentin)