Georg Breinschmid
Classical Brein
Preiser Records 717281915649
2 CD • 1h 54min • 2018-2022
13.09.2022
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Zu Beginn seiner Musikerlaufbahn als Kontrabassist u.a. beim Tonkünstler-Orchester Niederösterreich und dann bei den Wiener Philharmonikern, hat sich der 1973 geborene Georg Breinschmid bereits Ende der 1990er Jahre dem Jazz zugewandt und ist bald auch mit eigenen Kompositionen hervorgetreten, deren stilistische Positionierung man als Crossover bezeichnen könnte. Die vorliegende neue Doppel-CD präsentiert eine Auswahl seiner Werke aus den Jahren 2018 bis 2022, Musik, die zahlreiche Einflüsse von Klassik, Jazz, Pop, Folklore, Klezmer und Wiener Idiom bis hin zu Kabaretteinlagen aufnimmt und miteinander verschmilzt.
Große stilistische Bandbreite
Den Schwerpunkt des Albums bilden drei jeweils knapp halbstündige Werke, so etwa die Vier Sätze für Streichquartett ganz am Beginn. Hier zeigt sich exemplarisch die Bandbreite an Stilen, die Breinschmids Musik abdeckt: das einleitende Walking in the Zone erzeugt aus schroffen, popinspirierten Akkorden und Phrasen Spannung, die in eine Motorik mündet, die Benjamin Schmid (hier an der zweiten Violine, Primarius ist Emmanuel Tjeknavorian) an Poulenc erinnert; ich würde u.a. noch den frühen Schulhoff und Schostakowitsch ergänzen. Vitale, direkt kommunizierende, effektvolle und -bewusste Musik. Dagegen haben die Sätze 2 und 4 schon eher etwas von (fraglos gekonnt) für Streichquartett gesetzten Popsongs, und ich kann nicht verhehlen, mit Schmids Enthusiasmus für diese Musik („berückend cooler Grove“, „Thema zum Abfeiern“ etc.) nicht ganz mitzukommen. Wieder anders der dritte Satz: hier wird eine romantische Szene gewissermaßen dekonstruiert, auf Klischees untersucht, u.a. in Form von Worteinlagen, die dann in einem „Streit“ um ein E im Es-Dur-Akkord kulminieren.
Folkloreeinflüsse und Tänzerisches
In den Impressionen für Klavierquintett (in der Forellenquintett-Besetzung) spielen Folkloreeinflüsse eine insgesamt größere Rolle (u.a. Italien im zweiten Satz, Wien im vierten). Wie im dritten Quartettsatz zeigt sich Breinschmids Lust daran, bekannte Topoi wie den Walzer gewissermaßen „aus den Fugen“ geraten zu lassen. Gerne setzt er dabei auf Accelerandi bis hin zu größter Hast und Verfremdung durch grelle Dissonanzen, Glissandi oder Geräuschhaftes (von Breinschmid allerdings im Sinne eines Effekts, also nicht als konstituierendes Element, eingesetzt). Bei der Sinfonia concertante für Solovioline, Solokontrabass und Streichorchester schließlich handelt es sich um ein einsätziges, eher episodisch aufgebautes Werk, das ganz besonders auf Tanzanklängen (Lateinamerikanisches, Walzer, Csárdás etc.) fußt. Der ausschließlich gezupfte, oft auch perkussiv eingesetzte Kontrabass (hier gespielt von Breinschmid selbst zusammen mit den Widmungsträgern Vahid Khadem-Missagh und der Academia Allegro Vivo) liefert häufig eine Art rhythmischen Impuls, aus dem sich die Musik quasi-minimalistisch für eine Weile speist und Spannung bezieht, in dieser Hinsicht ein wenig an den Kopfsatz von Imants Kalniņšs Sinfonie Nr. 4 (der Rock-Sinfonie) erinnernd. Am Ende begegnet man einer Reihe von Themen und Motiven in einer Art Reprise wieder, aber in toto ist das Werk sicher nicht so sinfonisch, wie der Titel es nahelegt, und insgesamt auch etwas lang geraten.
Engagierte Interpretationen
Die kleineren Werke auf dem Album umfassen einen (wiederum tänzerisch-folkloristisch geprägten) Spring Dance für Violine, Cello, Klarinette und Akkordeon, zwei Stücke für zwei Kontrabässe (darunter ein Arrangement des erstes Satzes von Bottesinis h-moll-Konzert mit jazzartiger Begleitung, den Solopart spielt Dominik Wagner), ein Wienerlied und auch zwei Text- und Sprecheinlagen, in denen sich Axel Brüggemann Gedanken über die Zukunft der Musik macht, von Breinschmid mit Kontrabass und vielem mehr musikalisch kommentiert. Das Beiheft informiert recht umfassend über Werk und Autor, wobei ich den Bemerkungen zu der vermeintlich altersschwachen „Musikeinordnungskommode“ nicht zustimmen mag, denn natürlich gibt es Unmengen an sehr hörenswerter Musik des 20. und 21. Jahrhunderts, bei der die Zuordnung in die Rubrik „Klassische Musik“ sehr leicht fällt. Gleichzeitig hat es während der letzten 100 Jahre immer wieder (gar nicht so wenige) Komponisten gegeben hat, die in unterschiedlicher Manier Klassik und Unterhaltungsmusik miteinander kombiniert haben (ganz naheliegend in diesem Kontext etwa der Name Friedrich Gulda), und in diesen Gefilden ist eben auch Breinschmids Musik anzusiedeln. Ein gewisses Maß an Interesse an diversen Spielarten von Unterhaltungsmusik ist m.E. notwendig, um sich für dieses neue Album zu erwärmen; ist dies der Fall, wird man an der direkten Vitalität und spielerischen Virtuosität der Musik, die hier in exemplarischen, ausgesprochen engagierten Interpretationen vorliegt, sicherlich seine Freude haben.
Holger Sambale [13.09.2022]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Georg Breinschmid | ||
1 | Vier Sätze für Streichquartett | 00:28:34 |
5 | Die Zukunft der Musik | 00:05:57 |
6 | Impressionen für Klavierquintett | 00:24:21 |
11 | Wer ist der Tod? | 00:04:17 |
CD/SACD 2 | ||
1 | Sinfonia concertante für Violine, Kontrabass und Streichorchester | 00:26:08 |
2 | Kontrabasskonzert h-Moll | 00:07:38 |
3 | Friday Morning | 00:03:07 |
4 | Nachtgedanken | 00:05:53 |
5 | Spring Dance | 00:07:23 |
Interpreten der Einspielung
- Emmanuel Tjeknavorian (Violine)
- Benjamin Schmid (Violine)
- Benedict Mitterbauer (Viola)
- Matthias Bartolomey (Violoncello)
- Franz Schaden (Gesang)
- Axel Brüggemann (Gesang)
- Maximilian Kromer (Klavier)
- Jeremias Fliedl (Violoncello)
- Dominik Wagner (Kontrabass)
- Caroline Athanasiadis (Gesang)
- Vahid Khadem-Missagh (Violine, Dirigent)
- Academia Allegro Vivo (Ensemble)
- Stefan Pöchhacker (Violine)
- Michael Günther (Violoncello)
- Martin Rainer (Klarinette)
- Bogdan Laketic (Akkordeon)
- Georg Breinschmid (Kontrabass, Schlagzeug)