Georg Philipp Telemann
Johannis-Oratorium
cpo 555 271-2
1 CD • 79min • 2020
16.05.2022
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Die Hamburger Kirchenbesucher müssen zu Telemanns Zeiten gern auf den harten Kirchenbänken verweilt haben, um beim Gottesdienst ganze Oratorien zu hören. Die harten Kirchenbänke dürften ihnen aber gleichgültig geworden sein, wenn sie die beiden Oratorien gehört haben, die Michael Alexander Willens und seine Kölner Akademie hier eingespielt haben: Wieder ein programmatischer Glücksgriff und wieder eine absolut saubere, stimmige, dramatische und stilistisch perfekte Einspielung! Und wieder kann man sich nur wundern über Telemanns schier unerschöpfliche kompositorische Phantasie, über seinen Einfallsreichtum bei der Vertonung eines geistlichen Textes.
Unerschöpflicher Ideenreichtum
Das sprudelt und sprüht nur so vor Vielfalt und Ideenreichtum. Das Oratorium zum Johannisfest schildert den Auszug der Juden aus Ägypten so drastisch, dass man die farbsatten Bilder aus dem Hollywood-Film „Die zehn Gebote“ von Cecil B. DeMille von 1956 vor Augen hat: Telemann als vorzeitlicher Filmkomponist! Und das Oratorium Bequemliches Leben bietet soviel an biblischer Theologie, dass zum Musikreichtum noch der Gedankenreichtum tritt.
Und wieder – wie bei fast allen Aufnahmen von Willens – ist alles wortdeutlich deklamiert, selbst wenn ein italienischer Bariton dabei ist, wortgewaltig in den Rezitativen auch von Klaus Mertens, dem Urgestein der Barockmusik. Nur fehlt seinem schlanken Bariton als Pharao ein wenig herrscherliche Würde (Track 9: das übernehmen dafür die Hörner und Pauken) und als Jesus-ähnlicher Guter Hirte (Track 37) ein wenig seelenvolle Innigkeit – in einer Arie im Klagegestus, die den Vergleich mit Bachs Matthäus-Passion nicht zu scheuen braucht.
Der Chor jubelt, klagt und stürmt
Der stimmstarke Chor agiert sehr wendig und freudig in den prachtvollen Chören, ob beim Jubeln, Klagen (schön in Seufzer-Motivik in Track 5), Davonstürmen (Track 19 und 35), faul Herumliegen (mit Chor-Unisono und bewusst einfältiger Melodik in Track 31) oder auch bei der dann doch unvermeidlichen geschmeidigen Schlussfuge (Track 43).
„Pfeifen besonderer Lust“
Das Orchester folgt willig Willens‘ Direktiven, produziert erregte Sechzehntelketten, umschmeichelt mit drei reizenden Traversflöten als „Pfeifen besonderer Lust“ (wie’s im Text heißt) oder mit lockender Melodik die Sopranistin Rahel Maas als zauberhaft singende „Christliche Vorsicht“ (Track 11) oder als „Andacht“ (Track 42), mit bergbachklarem Timbre: eine einzige Ohrenweide. Ein ungewöhnliches Paukensolo (Fantasia: Track 26) kündigt Mirjams Jubelgesang an, von Elke Harsányi freudewirbelnd angestimmt. Der Tenor Mirko Ludwig belustigt mit einer koloratursatten Verlach-Arie (Track 15), André Morsch verströmt mit seinem warmsatten Bariton göttliche Majestät (Track 16). Bild folgt schlagartig auf Bild und steigert die Spannung jedes Mal: Was hat sich Telemann da wieder einfallen lassen?
Hervorragend ist das räumliche und perfekt ausbalancierte Klangbild mit leisem Kirchennachhall, verantwortet von dem „Balance Engineer“ Ines Kamman. Das geht schön in die Ohren und zaubert all die auskomponierten Bilder plastisch vor Augen.
Rainer W. Janka [16.05.2022]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Georg Philipp Telemann | ||
1 | Gelobet sei der Herr TWV 1:602/1216 (Oratorium zum Johannisfest) | 00:53:26 |
31 | Bequemliches Leben, gemächlicher Stand TWV 1:123 (Oratorium zum Sonntag Misericordias Domini) | 00:24:59 |
Interpreten der Einspielung
- Rahel Maas (Sopran)
- Elena Harsányi (Sopran)
- Elvira Bill (Alt)
- Mirko Ludwig (Tenor)
- Klaus Mertens (Bass)
- Mauro Borgioni (Bass)
- André Morsch (Bariton)
- Die Kölner Akademie (Ensemble)
- Michael Alexander Willens (Dirigent)