Melodramen III
Vampyrkatze und Walzerfeier, Seegespenst und Menetekel
Thorofon CTH26594
4 CD • 4h 42min • 2018, 2019
21.03.2020
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
In unermüdlicher Forscherarbeit hat der Musikologe und Regisseur Peter P. Pachl in den letzten Jahren die Geschichte der lange ignorierten Gattung des Melodrams erkundet und seine Funde bei Thorofon klanglich zugänglich gemacht. In der nunmehr dritten Folge präsentiert er überwiegend Stücke, von denen er vorher selbst noch nichts geahnt hatte. Es handelt sich folglich mit ganz wenigen Ausnahmen um Ersteinspielungen. Die Kassette mit vier CDs und einer Spieldauer von fast fünf Stunden enthält 31 Titel von unterschiedlichem Umfang. Der kürzeste dauert wenig mehr als eine Minute, der längste über 24 Minuten.
In der langen Liste der Autoren fehlen die großen Namen weder bei den Komponisten (Beethoven, Schubert, Liszt, Smetana, Schillings) noch bei den Dichtern (Goethe, Schiller, Eichendorff, Grillparzer, Heine, Turgenjew, Fontane, C. F. Meyer), doch in der Mehrzahl handelt es sich um vergessene Kleinmeister. Wer kennt heute noch Botho Sigwart, Carl Kleemann. Heinrich Neal, August Reuss oder Victor v. Woikowsky-Diebau, um nur ein paar Namen zu nennen. Sie waren zu ihrer Zeit hochgeachtete Musiker in herausgehobenen Kapellmeisterpositionen. Ihre Arbeiten sind nicht für die Ewigkeit geschaffen, manche haben sich den ruhigen Schlaf im Archiv redlich verdient, doch auch diese marginalen Produkte ergänzen das Bild für denjenigen, der sich systematisch mit der Gattung befassen will.
Vertonung von Gedichten und Balladen
Sehr unterschiedlich sind bei den Kompositionen die selbst gestellten Ansprüche an die Adaption der Texte. Während sich die Musik in vielen Fällen damit begnügt, den deklamierten Text zu akzentuieren oder atmosphärisch zu untermalen, werden andererseits die Gedichte und Balladen (um solche handelt es sich in der Mehrzahl) häufig in einen großen, gleichsam symphonischen Rahmen eingebettet, mit langen Vor-, Zwischen- und Nachspielen. Dies am auffallendsten in Die Jüdin von Worms, die Robert Heger, der Nachwelt vor allem als bedeutender Dirigent im Gedächtnis geblieben, auf einen Text des Dänen Georg Brandes geschrieben hat. Da scheint mir der Klavierpart deutlich vom Orchester her konzipiert. Das gilt in geringerem Maße auch für die beiden Schiller-Vertonungen durch Max von Schillings oder Eichendorffs Brautfahrt von Wilhelm Kienzl. Einige vergessene Dichtungen sind dank der Vertonungen wieder neu zu entdecken, vor allem Ferdinand Freiligraths Der Blumen Rache in zwei sehr unterschiedlichen Versionen von Zdeněk Fibich und Julius Metz oder Der Todspieler von Börries v. Münchhausen, der ebenfalls in gleich zwei Fassungen (Woikowsky-Biedau, Theodor Wünschmann) vorliegt. Gustav Lewins Das klagende Lied (Text: Martin Greif) schöpft aus der gleichen Quelle, dem Märchen der Gebrüder Grimm, wie Gustav Mahlers berühmtere Vertonung. Auch Felix Dahns Graf Walther und die Waldfrau (Musik: Camillo Horn) und Das begrabene Lied von Richard Baumbach (Musik: Carl Kleemann) verdienen erneut Beachtung.
Eine editorische Großtat
Das Melodram erlebte eine Blütezeit um 1900, als das Deklamationstheater noch hoch im Kurs stand und Schauspieler wie Ernst von Possart und Ludwig Wüllner über die Mittel verfügten, dieser Gattung die nötige Aufmerksamkeit zu sichern. Es lohnt sich, ihren Vortragsstil anhand alter Aufnahmen zu studieren (die teilweise bei youtube eingestellt sind): Ein Rezitieren, das Melodie und Rhythmus der deutschen Sprache besondere Aufmerksamkeit widmet und per se schon musikalisch ist. Eine zentrale Aufgabe der Komponisten war es, die deklamierten Texte zu unterstützen und zu überhöhen. Es gelingt Peter P. Pachl, diese alte Tradition aufzunehmen und erneut lebendig zu machen. Er reizt in seinem Vortrag nicht nur den dramatischen, sondern auch den musikalischen Gehalt der alten Balladen voll aus, wobei er oft aus dem Sprechen organisch in Gesang überwechselt. Sein langjähriger Klavierpartner Rainer Maria Klaas hat ihm markante Töne entgegen zu setzen, gegen die es die Stimme gelegentlich schwer hat durchzudringen. Da bleiben bei ansonsten glasklarem Klangbild also Wünsche bezüglich der Balance übrig. Das Booklet ist wie immer bei Pachl außerordentlich informativ und regt zu eigenem Studium an. Die rezitierten Texte, die ein ganzes Buch erfordert hätten, fanden begreiflicherweise keinen Platz.
Ekkehard Pluta [21.03.2020]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Rainer Maria Klaas | ||
1 | Die Vampyrkatze (Improvisation) | 00:13:05 |
Bedřich Smetana | ||
2 | Der Fischer | 00:04:15 |
Felix Draeseke | ||
3 | Helga's Treue op. 1 | 00:08:49 |
Siegfried Wagner | ||
4 | Fuga für Klavier | 00:02:08 |
Heinrich Neal | ||
5 | Das Märchen vom Glück op. 51 Nr. 4 | 00:05:24 |
Erich Riede | ||
6 | Gorm Grymme op. 2 | 00:11:43 |
Robert Heger | ||
7 | Die Jüdin von Worms op. 13 | 00:21:23 |
CD/SACD 2 | ||
Ludwig van Beethoven | ||
1 | Melodramatische Szene | 00:01:16 |
Julius Metz | ||
2 | Der Blumen Rache | 00:06:59 |
Carl Kleemann | ||
3 | Das begrabene Lied op. 15 | 00:10:10 |
Max von Schillings | ||
4 | Kassandra op. 9 | 00:10:32 |
5 | Das eleusische Fest op. 9 | 00:14:55 |
Sigwart Botho Philipp August zu Eulenburg | ||
6 | Ode der Sappho | 00:04:10 |
Anton Arensky | ||
7 | Die Nymphen op. 68 Nr. 3 (Melodeclamation) | 00:07:12 |
Artur Hohenstein | ||
8 | In Sturmes Not | 00:07:38 |
Victor v. Woikowsky-Biedau | ||
9 | Der Todspieler op. 29 | 00:12:46 |
CD/SACD 3 | ||
Theodor Wünschmann | ||
1 | Der Todspieler op. 5 | 00:10:58 |
Felix Draeseke | ||
2 | Der Mönch von Bonifazio op. 74 | 00:06:58 |
Camillo Horn | ||
3 | Graf Walter op. 39 | 00:21:21 |
Oskar Brückner | ||
4 | Festnacht und Frühgang op. 56 | 00:06:54 |
Gustav Heuer | ||
5 | Krieg und Friede op. 28 | 00:07:12 |
August Reuß | ||
6 | Seegespenst op. 21 Nr. 1 | 00:07:23 |
Rainer Maria Klaas | ||
7 | Belsazar (Improvisation) | 00:09:06 |
CD/SACD 4 | ||
Franz Schubert | ||
1 | Der Abschied von der Erde (aus "Der Falke") | 00:02:16 |
Gustav Lewin | ||
2 | Das klagende Lied | 00:24:23 |
Carl Reinecke | ||
3 | Schön Astrid op. 111 | 00:06:18 |
Zdenek Fibich | ||
4 | Der Blumen Rache | 00:05:54 |
Wilhelm Kienzl | ||
5 | Serenade | 00:06:45 |
6 | Die Brautfahrt | 00:12:17 |
7 | Ergo bibamus | 00:05:09 |
8 | Vor einer Genziane | 00:06:13 |
Interpreten der Einspielung
- Peter P. Pachl (Deklamation)
- Rainer Maria Klaas (Klavier)