Spectrum
Solo Musica SM 300
1 CD • 50min • 2017
08.02.2019
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Hinter dem eher abstrakten Albumtitel „Spectrum” verbirgt sich eine glanzvolle und facettenreiche Hommage an die Hansestadt Hamburg, die Wahlheimat der chinesischen Sopranistin Lini Gong und der bulgarischen Pianistin Mariana Popova. Ein Hamburger Liederbuch wird von den beiden Künstlerinnen aufgeschlagen, in dem Kompositionen aus drei Jahrhunderten miteinander verbunden sind, deren Gemeinsamkeit vor allem darin liegt, dass ihre Schöpfer entweder in Hamburg geboren sind oder hier gewirkt haben. Dieses Programmprinzip könnte zu einem beliebigen Nebeneinander führen, tut es hier aber ganz und gar nicht, vielmehr kommt es zu einer spannenden Begegnung zwischen gestern und heute, Romantik und Avantgarde.
Den Rahmen bilden zwei pointierte Brecht-Vertonungen (Tierverse) von Paul Dessau, der sich zugleich in einer frühen Komposition Helle Nacht (1914) nach Richard Dehmel als ein lupenreiner Romantiker zu erkennen gibt. Die Geschwister Felix und Fanny Mendelssohn fehlen in diesem Kompendium ebenso wenig wie Johannes Brahms und sein weit weniger bekannter Freund Theodor Kirchner. Gustav Mahler hat die Hamburger Oper ein paar Jahre lang wesentlich geprägt, Komponisten wie Rolf Liebermann und Peter Ruzicka haben sie gar als Intendanten geleitet. Wahrhafte Entdeckungen kann man bei den Beiträgen aus dem 20. und 21. Jahrhundert machen. Etwa die mir bis dato unbekannte Ilse Fromm-Michaels (1888-1986), deren 4 winzige Wunderhornlieder (1921) mit ihrem lautmalerischen Witz entzücken.
Diese Lautmalerei wird mit letzter Konsequenz im Lied Auf stillem Meer (2012) der lettischen Komponistin Ruta Paidere ausgeführt, die in Hamburg ihre Ausbildung erhielt – ein atmosphärisches Klanggemälde entsteht, in dem die Sängerin nicht nur singen, sondern auch pfeifen und summen muß, während das Klavier zusätzlich Klopfgeräusche erzeugt. Elmar Lampson, Präsident der Hamburger Musikhochschule, der die beiden Künstlerinnen aus ihrer Studienzeit kennt, hat 2006 eigens für sie eine Klavierfassung seiner drei Morgenstern-Lieder erstellt, in der dem Instrument die Aufgabe zufällt, ein ganzes Symphonie-Orchester zu ersetzen. Mariana Popova nimmt diese Herausforderung mit Lust an, denn sie ist eine wirkliche Virtuosin auf ihrem Instrument. Ihr zupackendes, oft wie gemeißelt klingendes, dann aber auch sehr feinfühliges Klavierspiel bietet in allen so gegensätzlichen Stilen ein sicheres Fundament für die Sängerin, mit der sie oft zusammengearbeitet hat. Die beiden sind hörbar gut aufeinander eingespielt.
Und Lini Gong ist eine nicht minder bemerkenswerte Vortragskünstlerin, die über eine außergewöhnliche farbliche Bandbreite verfügt. Eine Stimme der scheinbar unbegrenzten Ausdrucksmöglichkeiten. Die zeitgenössische Musik ist ihre Domäne, aber in der Oper hat sie auch die typischen Fachpartien für Koloratursopran wie Olympia und Zerbinetta gesungen. Das hört man in den Drei Liedern op. 24 von Berthold Goldschmidt (1937), in denen sie vokalakrobatisch in den höchsten Lagen herumturnt. Die Stimme ist in allen Liedern agil, aber wo es gefordert ist, auch von großer dramatischer Expansionskraft. Die Texte, oft von höchstem literarischem Anspruch (Goethe, Hölderlin, Heine, Celan) sind nicht nur plastisch gestaltet, sondern wirken auch intellektuell durchdrungen.
Ekkehard Pluta [08.02.2019]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Paul Dessau | ||
1 | Der Adler | 00:01:23 |
Ilse Fromm-Michaels | ||
2 | Maikäfer-Lied op. 9b (4 winzige Wunderhornlieder) | 00:02:06 |
3 | Geh, du schwarze Amsel op. 9b (4 winzige Wunderhornlieder) | 00:00:58 |
4 | Der Sperling op. 9b (4 winzige Wunderhornlieder) | 00:01:29 |
5 | Der Butzemann op. 9b (4 winzige Wunderhornlieder) | 00:01:09 |
Felix Mendelssohn Bartholdy | ||
6 | Neue Liebe op. 19a Nr. 4 | 00:01:59 |
Ruta Paidere | ||
7 | Auf stillem Meer (Volkslied) | 00:04:01 |
Theodor Fürchtegott Kirchner | ||
8 | Frühlingslied op. 1 Nr. 2 | 00:01:32 |
Elmar Lampson | ||
9 | Vöglein Schwermut (Drei Morgenstern Lieder) | 00:02:23 |
10 | So möcht ich sterben... (Drei Morgenstern Lieder) | 00:03:53 |
11 | Der Vogel (Drei Morgenstern Lieder) | 00:01:40 |
Fanny Mendelssohn-Hensel | ||
12 | Warum sind denn die Rosen so blaß? op. 1 Nr. 3 | 00:01:49 |
Rolf Liebermann | ||
13 | Mir tat die Helligkeit der Lampe weh (Vier chinesische Liebeslieder) | 00:01:34 |
14 | Der Strom floß (Vier chinesische Liebeslieder) | 00:01:45 |
15 | Wenn ich an deinem Munde hingesunken (Vier chinesische Liebeslieder) | 00:01:13 |
16 | Die Libelle schwebt zitternd (Vier chinesische Liebeslieder) | 00:00:45 |
Gustav Mahler | ||
17 | Frühlingsmorgen (Richard Leander) | 00:01:55 |
Peter Ruzicka | ||
18 | Nach dem Lichtverzicht | 00:01:38 |
Berthold Goldschmidt | ||
19 | Der Perlenzahn op. 24 Nr. 1 | 00:00:52 |
20 | Der römische Brunnen op. 24 Nr. 2 | 00:00:44 |
21 | Der Schmetterling op. 24 Nr. 3 | 00:01:56 |
Johannes Brahms | ||
22 | Lerchengesang op. 70 Nr. 2 | 00:01:57 |
Hans Werner Hagen | ||
23 | Zwölf Haikus (Nr. 5, 6 und 7) | 00:03:04 |
Paul Dessau | ||
24 | Helle Nacht | 00:03:01 |
György Ligeti | ||
25 | Der Sommer | 00:03:09 |
Paul Dessau | ||
26 | Der Rabe | 00:00:45 |
Interpreten der Einspielung
- Lini Gong (Sopran)
- Mariana Popova (Klavier)