Norbert Ernst
Lebt kein Gott
Decca 481 2694
1 CD • 72min • 2015
27.09.2016
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Mit dem David in Wagners Meistersingern, Bayreuth 2007, wurde er einem weiten Kreis von Musikfreunden auf allerbeste Weise bekannt: Norbert Ernst, gebürtiger Wiener, seit einigen Jahren Mitglied der Wiener Staatsoper. Steckbrief: Tenor-Buffo. Dazu würden ihn seine kleine, bewegliche Gestalt und die helle Stimme am ehesten bestimmen. Aber gerade der Lehrbube David reicht schon weit über das Stimmfach eines Buffos hinaus, wurde und wird oft auch von lyrischen Tenören (Anton Dermota, Peter Schreier, Michael Schade etc.) gesungen. Norbert Ernst ist vielmehr lyrischer Tenor, er hat sich als Liedersänger, meistens mit exquisitem Programm, in zahlreichen Konzerten ausgezeichnet.
Mit seiner Aufnahme von Opernszenen aus dem deutschen Fach beweist er, dass er noch viel mehr in ihm steckt. Jedenfalls mehr als ihm die Fixierung auf einen engen Rollenkreis gestattet. Er hat heldisches „Erz“ in der Stimme und das ist bei heutigen Tenorstimmen etwas Seltenes. Nun wagt er den Sprung in jenes Fach, welches ihm wahrscheinlich auf der Bühne versagt bleiben wird. Aber man muß sich die Frage stellen: Die kleine Statur – stört das bei einem Florestan, der sich ohnehin die meiste Zeit im Dunkeln aufhält? Lohengrin – muß das ein Riese sein? Webers Jägerbursche Max? Immer wieder hat es in der Gesangsgeschichte solche "handicaps" gegeben, die durch Kunst und Verstand überwunden wurden. Den Erik in Wagners Holländer hat Norbert Ernst bereits in der Wiener Staatsoper ausprobiert – das Publikum reagierte ungnädig, wahrscheinlich nach dem Motto „bleib bei deinem Leisten!“ Andererseits – wenn man nichts riskiert, bleibt man ewig auf seinem Leisten sitzen.
Norbert Ernst ist ein expandierendes Talent, er besitzt eine tragfähige Stimme mit guter Tiefe und guter Höhe, die er manchmal nach Tenoristenart richtig schmettern läßt. Er verwendet sehr gerne den einstmals verpönten „Glottisschlag“, der durch Fritz Wunderlich und neuerdings durch Piotr Beczala wieder eingeführt wurde: das angedeutete Umkippen der Stimme bei exponierten Tönen. Norbert Ernst bedient sich dieser Manier, wahrscheinlich um die Dramatik des Vortrags zu stärken. In Florestans Kerkerarie kommt ihm die leichte Tongebung zugute, er kann sich im ekstatischen Schlußwirbel der Szene zu großer Kulmination entfalten. Dazu Max aus dem Freischütz (Durch die Wälder, durch die Auen), aus Wagners Werken Rienzis Gebet, Tannhäusers Rom-Erzählung (mit Bariton-Partner Nikolay Borchev), Parsifal. Die Schallplatte macht vieles möglich. Und von „unmöglich“ kann hier nicht die Rede sein. Norbert Ernst beeindruckt durch seine Gewissenhaftigkeit, seine Musikalität, seine dramatische Begabung und vor allem durch das Vertrauen auf das eigene Können. Somit hat das Konzert, das sehr aufmerksam vom Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt (Oder) begleitet wird (Zugabe: das erste Meistersinger-Vorspiel), keineswegs den Hauch des Unerlaubten, der Anmaßung.
Dennoch ein paar kritische Anmerkungen: Gott –welch Dunkel hier. Üble Beispiele zeigen ihre Folgen. Beethovens Ausruf „Gott“ soll nicht als kunstvoller Schwellton vorgeführt werden, pianissimo beginnend und sich auf langer Strecke zu kräftigem Schluß steigernd. Das macht zwar Effekt, ist aber vom künstlerischen Standpunkt abzulehnen. Eine markante, schmerzvolle Exklamation genügt. Beethoven hat keine Fermate draufgesetzt. Bei den Wagner-Szenen, die der Sänger mit betonter Aktion und Artikulation vorträgt, erfolgen oft Zäsuren, wo sie nicht hingehören, Atempausen mitten in der Phrase, speziell in Lohengrins Gralserzählung und Abschied. Meister Wagner hätte das sicher gerügt. Der verlangte von seinen Sänger möglichst weit geformte, ungeteilte Gesangslinien, gerade im Lohengrin.
Das sind aber Dinge, die sich bei einem Sänger, der noch viel vor sich hat, leicht ausmerzen lassen. Jedenfalls imponiert das Konzert, das an den bekannten Slogan „Yes, we can“ denken läßt.
Clemens Höslinger [27.09.2016]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Ludwig van Beethoven | ||
1 | Gott, welch Dunkel hier - In des Lebens Frühlingstagen (2. Akt: Florestan - aus: Fidelio op. 72) | 00:10:15 |
Carl Maria von Weber | ||
2 | Nein, länger trag' ich nicht die Qualen ... Durch die Wälder, durch die Auen (Rezitativ und Arie des Max) | 00:07:19 |
Richard Wagner | ||
3 | Gebet des Rienzi "Allmächt'ger Vater" (aus: ) | 00:09:28 |
4 | Vorspiel 1. Akt WWV 96 (from: Die Meistersinger von Nürnberg WWW 0096) | 00:09:59 |
5 | Inbrunst im Herzen (Rom-Erzählung - aus: Tannhäuser) | 00:12:11 |
6 | In fernem Land, unnahbar euren Schritten (3. Aufzug: Lohengrin - aus: Lohengrin) | 00:10:56 |
7 | Wehe! Wehe! Was tat ich? - Amfortas, die Wunde! (2. Aufzug: Parsifal - aus: Parsifal) | 00:07:15 |
8 | Nur eine Waffe taugt (aus: Parsifal) | 00:04:37 |
Interpreten der Einspielung
- Norbert Ernst (Tenor)
- Nikolay Borchev (Bariton)
- Brandenburgisches Staatsorchester Frankfurt (Orchester)
- Hartmut Keil (Dirigent)