Anzeige

Teilen auf Facebook RSS-Feed Klassik Heute
Klassik Heute - Ihr Klassik-Portal im Internet

CD • SACD • DVD-Audio • DVD Video

Besprechung CD

Georg Schumann

Ruth

cpo 555 666-2

2 CD • 1h 46min • 2023

08.05.2025

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

Das frühe 20. Jahrhundert war eine große Zeit des Oratoriums, und noch immer ist eine größere Anzahl herausragender Werke dieser Epoche nicht für den Tonträger gewonnen worden (ich denke beispielsweise an die Oratorien von Felix Woyrsch, Charles Tournemire, Gerhard von Keußler...). Eines der international erfolgreichsten deutschen Oratorien der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg ist nun durch cpo erstmals auf CD gelangt: Georg Schumanns Ruth. 1908 vollendet, dokumentiert das knapp zweistündige Werk den modernen Geist, der mit Schumanns Ernennung zum Direktor der Berliner Singakademie in diese ehrwürdige, aber unter seinen Vorgängern in Konventionalität erstarrte Institution Einzug gehalten hatte.

Ein biblisches Oratorium der Spätromantik

Schumann hat als sein eigener Librettist das knappe alttestamentarische Buch Ruth durch dichterische Ausgestaltung mit lyrischen und dramatischen Szenen sowie zahlreichen biblischen Querverweisen (etwa aus den Psalmen und dem Hohelied) zu einer musikalisch sehr ergiebigen Handlung umgeformt. Er verzichtet auf einen Erzähler und lässt Soli wie Chor als Personen eines Dramas agieren. Die beiden Teile des Oratoriums sind jeweils durchkomponiert und leitmotivisch miteinander verknüpft. In offensichtlicher Nachfolge der Wagnerschen Musikdramatik hat Schumann die Abfolge in sich geschlossener Nummern aufgegeben, auch wenn sich einzelne Episoden, namentlich die Chöre, eine gewisse Selbstständigkeit bewahren. Das Geschehen wird von einem langen Atem getragen, der beide Teile von Anfang bis Schluss durchzieht.

Abwechslungsreiche Chöre

Das Oratorium zeigt seinen Komponisten als einen meisterhaften Beherrscher vokaler und orchestraler Polyphonie. Besonders die Chöre gestaltet er abwechslungsreich. So wird Naemi (in der Aufnahme wird konsequent „Naomi“ gesungen, wie es die englische Übersetzung des Textes im Klavierauszug vorgibt) von ihren Landsleuten mit einer grimmigen, chromatischen Fuge über die Worte „lasst sie büßen, verjagt sie“ begrüßt. Dem orientalisierenden Schnitterchor mit seinen Schalmei-Imitationen, Schlagzeugeffekten und Zitaten originaler jüdischer Melodien steht der wie ein protestantischer Kirchenchoral gestaltete Schluss des ersten Teils gegenüber. Im zweiten Teil lässt Schumann die Responsorien der Priester durch sitzende Sänger, also gleichsam „con sordino“, ausführen. Anschließend erklingt ein Chor der Geister, die Ruth im Traum erscheinen, der mit seiner deutschen Waldromantik den biblischen Rahmen beinahe sprengt, aber durch seinen pittoresk-mysteriösen Ton und seine zwielichtige Harmonik umso mehr bezaubert.

Korrekte Umsetzung

Das Dirigat Jörg-Peter Weigles, der sich seit über 20 Jahren für Ruth einsetzt, zeichnet sich durch den Willen zur Korrektheit aus. Er kennt offensichtlich die Partitur sehr genau und strebt danach, die brillanten Effekte, an denen sie reich ist, adäquat umzusetzen. Die Feinheiten der Harmonik interessieren ihn anscheinend weniger. Diesbezüglich könnte mancher Abschnitt des Werkes spannungsvoller musiziert sein. Die Solisten – Marcelina Román als Ruth, Julie-Marie Sundal als Naemi, Hanno Müller-Brachmann als Boas und Jonas Böhm als Priester – leisten durchweg vorzügliche Arbeit, ebenso der hochmotivierte Philharmonische Chor Berlin.

Der Produktion ist kein Libretto beigegeben, das an den Stellen, in denen nur die Sopran- und/oder Altsolistin agieren, durchaus hilfreich gewesen wäre. Dafür enthält sie einen selbst für die Verhältnisse von cpo sehr umfangreichen Einführungstext aus der Feder Gottfried Eberles, der nicht nur das Werk selbst, sondern auch seine Entstehung und Rezeption ausführlich beschreibt. So wird auch auf die Bearbeitung eingegangen, zu der sich der Komponist während der NS-Herrschaft genötigt sah, um sein Werk weiter aufführen zu können: Aus Ruth wurde ein „Lied der Treue“, die Handlung von Palästina nach China verlegt. Nach dem Zweiten Weltkrieg dirigierte Schumann das Oratorium wieder in der ursprünglichen Version, doch geriet der einstige Welterfolg bald in Vergessenheit. Dass es durch diese Aufnahme nun wieder ermöglicht wird, sich von einem gewichtigen Beitrag zur Oratorienliteratur der Spätromantik einen klingenden Eindruck zu verschaffen, ist deshalb sehr zu begrüßen.

Norbert Florian Schuck [08.05.2025]

Anzeige

Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Georg Schumann
1Ruth op. 50 01:46:30

Interpreten der Einspielung

Das könnte Sie auch interessieren

13.01.2025
»zur Besprechung«

Paul Büttner, Symphony No. 2 • A Vision • Heroic Overture

20.02.2023
»zur Besprechung«

Paul Lincke, Overtures Vol. 2

28.11.2022
»zur Besprechung«

Paul Lincke, Overtures Vol. 1

Anzeige

Klassik Heute - Ihr Klassik-Portal im Internet

Anzeige