cpo 777 674-2
1 CD • 64min • 2011
18.07.2014
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
August Enna (1859-1939), dänischer Enkel eines Sizilianers, ist nicht in Dänemark wiederentdeckt worden, sondern in Deutschland, weil sich cpo-Repertoirechef und Executive Producer Burkhard Schmilgun für sein Schaffen nachhaltig begeisterte. So liegt nun nach der Oper Heiße Liebe (wie hier unter dem Dirigenten Hermann Bäumer) und der Zweiten Sinfonie (wie hier mit der Hannover’schen Radio Philharmonie) die dritte Folge seiner Musik vor. Dass Ennas Stil zutiefst in der Romantik verankert ist und dieser nie den Rücken zugekehrt hat, ist typisch für seine Generation, der ja auch Chausson, Ysaÿe, Elgar, Humperdinck, Reznicek, Mahler, Wolf, Delius und Weingartner angehören. Dezidierte Neuerer wie Debussy, Strauss, Sibelius, Nielsen, Dukas, Busoni oder Janácek waren unter den um 1860 herum geborenen Meistern eher die Ausnahme, und dies überwiegend erst nach der Jahrhundertwende.
August Ennas Orchestermusik knüpft an Mendelssohn, den großen norwegischen Nationalromantiker und seinerzeit in Kopenhagen legendären Dirigenten Johan Severin Svendsen und den italienischen Verismo mit einem gelegentlichen Schuss Wagner-Nachklang an. Sie liebt die reiche Palette des Wohlklangs des vollen Orchesters und ist kaum dialektisch entwickelnd angelegt, sondern episodisch und rhapsodisch oder auf konventionellen Formmodellen angelegt. Als Harmoniker ist er sehr geschmeidig, wenngleich nicht allzu originell und interessant, und bezüglich Kontrapunkt beschränkt er sich zurückhaltend auf wohlerprobte Mittel. Seine große Stärke liegt auf dem Gebiet Belcanto-hafter Melodik und einer handwerklich vorzüglichen, strahlkräftigen, warm leuchtenden Orchestration. Sowohl in melodischer als in rhythmischer Hinsicht scheinen sich neben dem lichten Einfluss seines Freundes Svendsen immer wieder auch seine italienischen Wurzeln zu bestätigen, auf die er sich allerdings auch bewusst besann: das Hauptthema des langsamen und schönsten Satzes (Andante) des 1897 entstandenen Violinkonzerts zitiert, wie uns der ausgewogen informierende Booklettext von Jens Cornelius mitteilt, die Arie ‚Vesti la giubba’ aus Leoncavallos Bajazzo. Cornelius meint dazu: „Ein Selbstporträt Ennas, des unfehlbaren Entertainers, der enthüllt, was sich eigentlich hinter seiner Maske verbirgt.“
Das schöne daran ist vor allem, wie natürlich Enna diese Melodie fortspinnt, und es stellt sich nostalgisch romantische Ergriffenheit ein – ein sehr dankbares Stück für den Solisten, wie auch das behende unterhaltende Allegro scherzando-Finale, wogegen der Kopfsatz insgesamt langatmiger erscheint. Das Spiel der Solistin Kathrin Rabus erfreut mit Ehrlichkeit und Sinn für innige Wendungen, auch erfüllt sie das brillante Passagenwerk mit menschlichem Ausdruck und tritt den Beweis an, dass es sich durchaus um ein geigerisch idiomatisches Werk handelt, das auch gelegentlich im Konzertsaal zu hören sein dürfte.
Die vorangestellte Ouvertüre zur 1893 vollendeten Oper Kleopatra ist dünner in der Substanz, doch von prachtvoll sinnlicher Klangwirkung. Den Abschluss dieses ausgewogen konzipierten Programms bildet die 1930-31 komponierte Symphonische Fantasie, die anscheinend vor der vorliegenden Aufnahme nur zweimal aufgeführt wurde: 1936 unter dem durchaus seelenverwandten Zeitgenossen Ennas Launy Grøndahl und posthum noch einmal 1974 in Odense – ein hartes Schicksal für ein Werk, das nun doch einiges an melodischem Reiz und glanzvollem Aufbau in den Ecksätzen zu bieten hat. Die Symphonische Fantasie ist ein Bekenntnis zu unverbrüchlicher nachromantischer Tradition, fernab jeglicher Neuerungen der vorangegangenen Jahrzehnte. Man hat diese Musik denn auch komplett ignoriert, und Ennas Verbitterung sollte sich auch in der neiderfüllten Gegnerschaft zum erfolgreichen Genius der dänischen Musik, Carl Nielsen, niederschlagen (dies eine offenkundige Parallele zum 34 Jahre später geborenen, autodidaktischen ‚Berlioz der dänischen Musik’, dem rebellischen Anti-Nielsenianer Rued Langgaard). Der gemächliche Scherzo-Mittelsatz der Symphonischen Fantasie ist in seiner Einfallslosigkeit das mit Abstand schwächste Stück dieser CD, und auch frage ich mich in Ermangelung einer Partitur, ob die redundante Betonung der Takteinsen vom Komponisten vorgeschrieben oder eine interpretatorische Fehlleistung ist. Der Molto moderato-Kopfsatz mit seinen weit ausgreifenden Unisono-Melodiebögen ist ein elegisches instrumentales Gesangsstück und in dieser Eigenschaft schlicht verzaubernd, und das prunkvoll anhebende und zugleich unüberhörbar Wehmut atmende Finale wird allen gefallen, die sich nach einer harmonischeren Stilepoche vor den alles verändernden Umwälzungen der klassischen Moderne, in eine vermeintlich ‚heile Welt’ zurücksehnen. Die orchestrale Leistung der NDR-Radiophilharmonie unter Hermann Bäumer ist bei allem Al fresco-Gestus grundsolide und aufnahmetechnisch transparent eingefangen.
Christoph Schlüren [18.07.2014]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
August Enna | ||
1 | Cleopatra (Ouvertüre) | 00:08:38 |
2 | Konzert D-Dur für Violine und Orchester | 00:25:54 |
5 | Sinfonische Fantasie |
Interpreten der Einspielung
- Kathrin Rabus (Violine)
- NDR Radiophilharmonie (Orchester)
- Hermann Bäumer (Dirigent)