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Besprechung CD

Reinhard Keiser Passion Music

cpo 999 821-2

1 CD • 79min • 2009

01.04.2010

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 10
Klangqualität:
Klangqualität: 9
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 10

Klassik Heute
Empfehlung

Reinhard Keiser (1674-1739) gehört zu den profiliertesten deutschen Komponisten des Hochbarock. Als Sohn eines Organisten in Teuchern (heute Sachsen-Anhalt) geboren, machte er als junger Musiker von 19 Jahren am neuen Braunschweiger Opernhaus von sich reden und wechselte 1697 nach Hamburg über, wo seit 1678 Deutschlands erstes öffentliches, für jedermann zugängliches Opernhaus existierte. An der Oper am Gänsemarkt war er für mehrere Jahrzehnte künstlerischer Leitstern: Über hundert Opern bezeugen seine fabelhafte Produktivität, und die hohe Qualität seiner Musik machte ihn für seine Zeitgenossen zum führenden Opernkomponisten Deutschlands. Keiser wirkte in enger Zusammenarbeit mit Johann Mattheson (1681-1764) und dem jungen Händel, der 1703 als blutjunger Geiger ins Orchester der Hamburger Oper eintrat und ihr für drei Jahre eng verbunden war. Händels Weggang von Hamburg wurde von Friedrich Chrysander in seiner 1919 erschienenen Biographie mit den Worten kommentiert: „Händel, kann man sagen, kam über Hamburg hinaus, weil Hamburg nicht über Keiser hinaus kam.“ Bei aller Achtung für einen Nestor der Händel-Forschung ist festzustellen, dass Händel selbst hier Widerspruch einlegt: Zwar wandte er der reichen Kaufmannsstadt an der Elbe den Rücken, nicht aber dem von ihm hochgeschätzten Komponisten Reinhard Keiser – dessen Musik hat er wie die kaum eines anderen Zeitgenossen in den eigenen Werken verarbeitet und zitiert.

Die reiche Stadt Hamburg war zwar damals eine erstrangiges deutsches Kulturzentrum, doch stellte sich die Situation für die Kirchenmusik keinesfalls befriedigend dar: Eine streng lutherisch-orthodoxe geistliche Obrigkeit achtete darauf, dass keine dramatischen Elemente in die gottesdienstliche Musik eindrängen und der amtierende Kantor Joachim Gerstenbüttel hielt sich streng an die musikalischen Vorgaben, die seit den Zeiten des 1675 gestorbenen Johannes Hammerschmidt die Kirchenmusik der Stadt beherrschten. Der Hamburger Dom allerdings befand sich als ehemalige Bischofskirche außerhalb der hamburgischen Gerichtsbarkeit; das Domkapitel, das die Geschicke der Domgemeinde lenkte, setzte sich aus norddeutschen Adligen und Mitgliedern einflussreicher Hamburger Familien zusammen und war schon lange ein Förderer moderner Tendenzen in der Kirchenmusik. Kantor an dieser Kirche war Freund und Kollege Johann Mattheson – er musste keine kleinlichen Einmischungen befürchten, wenn er seine Erfahrungen als Opernkomponist auch in den Dienst dramatischer Werke für den Gottesdienst stellte. Überdies war am Dom den Frauen nicht die Teilnahme an der Kirchenmusik untersagt, wie dies in den übrigen Kirchen Hamburgs der Fall war, der Domkantor konnte also auch auf Sängerinnen der Hamburger Oper am Gänsemarkt zurückgreifen. In oratorischen Passionen, die einem Evangeliumsbericht folgen, und frei gedichteten Passionsoratorien konnte somit das Sängerpersonal der Oper in der Passionszeit Beschäftigung finden, während der die Oper natürlich geschlossen war. Keiser schrieb das erste deutsche Passionsoratorium Der blutige und sterbende Jesus, das schon 1704 uraufgeführt wurde – leider ist nur das Textbuch des Dichters Christian Friedrich Hunold erhalte, die Musik ist verloren gegangen. 1728 beerbte Keiser den ertaubenden Mattheson als Kantor am Dom und entfaltete in den letzten 11 Jahren seines Lebens eine rege kirchenmusikalische Tätigkeit.

Die auf dieser CD eingespielten Werke stammen indessen einer früheren Zeit von Keisers Wirken in Hamburg; sie zeigen, dass sich die einengenden Vorschriften der Hamburger geistlichen Obrigkeit außerhalb der Hauptkirchen doch umgehen ließen, so beispielsweise an St. Gertrud oder im Remter, dem ehemaligen Refektorium des Doms. Das früheste Stück dieser Einspielung ist vermutlich die Motette Ich liege und schlafe von ungefähr 1700. Wir gingen alle in die Irre ist das Fragment einer Lukas-Passion, die dem unter Kantor Gerstenbüttel gepflegten Stil einer liturgischen oratorischen Passion ein neues expressives Element entgegensetzt – sie ist lediglich in einer Abschrift überliefert, die leider mitten im Prozess gegen Jesus abbricht. 1715 veröffentlichte Keiser unter dem Titel Seelige Erlösungs-Gedancken Auszüge aus seinem Passionsoratorium Der zum Tode verurteilte und gecreuzigte Jesus aus dem Jahr 1711. Hier ist die musikdramatische Vorbildfunktion der Oper für Keisers Passionsmusik am deutlichsten zu fassen und die barocke Frömmigkeit findet hochaffektiven Ausdruck.

Thomas Ihlenfeldt, eine vorzüglich zusammengestellte Sängerbesetzung und die Capella Orlandi Bremen (die in ihrem Namen eine schöne Anspielung auf das Bremer Wahrzeichen des Rolands verbirgt) zeichnen ein eindringliches Porträt Reinhard Keisers, der viel zu lange im Schatten seiner beiden berühmten Generationsgenossen Bach und Händel stand – einzig der Umstand, dass von Keiser nicht ausreichend Musik überliefert sein dürfte, wird verhindern, dass sich eine der Telemann-Renaissance vergleichbare Rehabilitierung dieses Komponisten absehen lässt. So ist diese CD eine wirkliche Entdeckung für alle, die Keisers Musik bisher noch nicht begegnet sind und ein absolutes Muss für alle, die die schmale Diskographie dieses bedeutenden Meisters des deutschen Barocks bereits besitzen.

Detmar Huchting [01.04.2010]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Reinhard Keiser
1Ich liege und schlafe ganz mit Frieden 00:21:02
9Wir gingen alle in der Irre (Fragment einer Lukas-Passion) 00:31:37
30Seelige Erlösungs-Gedancken 00:26:28

Interpreten der Einspielung

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