Carus 83.211
2 CD • 1h 41min • 2004
02.01.2007
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Der Autor des gediegenen, faktenorientierten Einführungstextes kommt am Ende zu der Einsicht, daß „die lange und teils verwickelte Entstehungsgeschichte der h-Moll-Messe” die Größe des Werkes „nur noch unbegreiflicher” mache. Das ist gewiß wahr, vor allem dann, wenn man diese Komposition – wie wir’s gelernt haben – aus der Betrachtung des Nacheinander zu begreifen versucht und nicht, wie es für Bach wohl noch gewesen sein dürfte, als ein bereits vorhandenes Ganzes, das ungeachtet der verschiedenen Stadien, in denen es niedergeschrieben wurde, ebenso einfach „da” ist wie jede Fuge, jeder Kanon, jedes Choralvorspiel dieses Mannes, dessen Weltbild einem selbst aus der einfachsten Invention in seiner ganzen Geschlossenheit entgegentritt.
Über das Wunder dieser Kreation könnte ich an dieser Stelle lange fabulieren – wie immer, wenn ich das Gefühl habe, daß mir ein Werk und seine Interpretation die Gretchenfrage stellt. Doch ich werde mich kurz fassen und nur einige der markantesten Aspekte nennen, derentwegen ich die vorliegende Aufnahme für außerordentlich und über die Maßen gelungen halte.
Da ist zunächst einmal die Wahl der Tempi, die von Anfang bis Ende ungemein durchdacht, durchgehört und empfunden sind – bis hin zu dem eigenartigen Moment des „Et ressurexit”, das deshalb so unglaublich schnell genommen scheint, weil der Vorgang selbst, von dem hier die Rede ist, ja auch etwas „unglaubliches” ist. Restlos begeisterte mich auch die Gestaltung der heiklen Übergänge: Was sonst gern als Sollbruchstelle empfunden wird – die Einsätze des „Et in terra” im Gloria etwa oder des „Expecto” im Credo –, das ist hier mit Bedacht (nicht: bedächtig!) und beispielhafter Behutsamkeit, unter Verzicht auf jedes pseudo-exegetische Geschmachte, realisiert worden. Wie weit das gehen kann, zeigt schließlich das Agnus Dei, durch das ohne die geringste Neigung zum Verschleppen der schmerzlich-schwerfällige Gang zur Schädelstätte den Takt vorgibt.
Weiterhin ist der Gesamtklang, von einigen ganz wenigen räumlich engen Momenten im ersten Kyrie und einem leicht schrillen Chor am Ende der zweiten CD abgesehen, mit großem Vergnügen zu goutieren. Die feinen Instrumentalsoli – sogar der Flauto traverso hat Volumen –, der noble Ensembleklang, dazu ein bestens vorbereiteter Chor (man höre beispielsweise im ersten Satz die elegant gestalteten Ketten des sonst manchmal nervtötenden „ehe-he-he-le-ison”) und schließlich ein Basso continuo von greifbarer Eleganz, Grazie und Delikatesse machen die einhundert Minuten zu einer musikalischen Kurzweil erster Güte. Und noch haben wir kein Wort von den Solisten gehört, von denen ich, ohne die Verdienste der Kollegen schmälern zu wollen, doch den Altisten Daniel Taylor hervorheben muß: Seine Stimme ist so lupenrein, daß man auf den Gedanken kommen könnte, ihm sei als Kind widerfahren, was längst keinem Kinde mehr widerfahren dürfte. Geradezu erleichtert spürt man dann in ganz wenigen Augenblicken, daß er falsettiert...
Die Mischungsverhältnisse in den Duetten stimmen, die Solo-Arien sind wahre Gemütsergötzungen (daß der Bariton im „Quoniam tu solus” nicht vollends in die Tiefe will, macht er mit einem bezaubernden „Et in Spiritum Sanctum” mehr als wett) – kurzum, diese Messe in h-moll von Johann Sebastian Bach hätte eigentlich eine vorbehaltlose Zehn verdient. Und die bekommt sie auch. Nicht zuletzt, weil sie wieder einmal die Gretchenfrage stellt und eine plausible Antwort darauf gibt!
Rasmus van Rijn [02.01.2007]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Johann Sebastian Bach | ||
1 | Messe h-Moll BWV 232 für Soli, Chor und Orchester |
Interpreten der Einspielung
- Mechthild Bach (Sopran)
- Daniel Taylor (Altus)
- Marcus Ullmann (Tenor)
- Raimund Nolte (Bariton)
- Kammerchor Stuttgart (Chor)
- Barockorchester Stuttgart (Orchester)
- Frieder Bernius (Dirigent)