
Testament SBT4 1392
4 CD • 3h 49min • 1955
07.03.2006
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Komplette Live-Mitschnitte der Ring-Tetralogie aus dem Bayreuther Festspielhaus wurden offiziell bisher erst vier veröffentlicht: aus dem Jahr 1956 unter Hans Knappertsbusch (Orfeo), 1966 unter Karl Böhm (Philips), 1980 unter Pierre Boulez (Philips) und 1991/92 unter Daniel Barenboim (Teldec). Kurioserweise ist der erste überhaupt in Bayreuth von der Firma Decca 1955 vollständig mitgeschnittene Ring – der erste in Stereo, noch vor der Studioaufnahme unter Solti – über fünfzig Jahre lang in den Archiven liegen geblieben. Aus diesem Jahr wurde nur Der fliegende Holländer von der Decca als Bayreuther Live-Dokument veröffentlicht. Die Hintergründe für die Nichtveröffentlichung des Rings durch den Decca-Produzenten John Culshaw, der Live-Mitschnitte nicht schätzte und damals bereits seinen Studio-Ring mit Solti plante sowie dank der taktischen Schachzüge des EMI-Produzenten Walter Legge, der Hans Hotter und Astrid Varnay unter Exklusivvertrag hatte, werden im Beiheft detailliert erläutert, wenn auch in manchem Punkt nicht schlüssig erklärt.
Was diesen Live-Mitschnitt von allen anderen vorliegenden – legalen, halblegalen und illegalen – Dokumenten aus der Frühzeit von Neu-Bayreuth unterscheidet, ist die herausragende Aufnahmequalität, die das damalige Tonmeisterteam der Decca erzielen konnte. So präsent, plastisch und vollklingend sind Orchester und Sänger im Bayreuther Festspielhaus auch danach kaum je eingefangen worden. Ein Verdienst auch des überragenden Dirigats von Joseph Keilberth, der sich künstlerisch mit dem ebenfalls exzellent musizierenden Clemens Krauss (1953) auf ebenbürtigem Niveau befindet. Es ist dies die neben Krauss’ Mitschnitt – aber diesem klangtechnisch weit überlegen – faszinierendste Live-Aufnahme des Rings überhaupt. Auch die Sängerleistungen werden auf keinem anderen Live-„Ring“ überboten. Man bedenke, daß zu Zeiten der Solti-Produktion drei der Hauptprotagonisten, Hotter, Windgassen und Neidlinger, gut zehn Jahre älter waren und daß hier die Live-Bedingungen einen zusätzlichen Bonus an Intensität und Präsenz bedeuten. Insbesondere Wolfgang Windgassen, der in Soltis Studioaufnahme zunächst nur zweite Wahl gewesen war und erst zum Zug kam, als der eigentlich als Siegfried vorgesehene Ernst Kozub die Partie zurückgeben musste, profitiert maßgeblich von den Live-Bedingungen. So temperamentvoll agierend und so stimmlich überzeugend ist der Tenor auf keiner anderen Aufnahme zu erleben. Sogar für die heikle Konfrontation mit der imponierend auftrumpfenden Atsrid Varnay im Schluss-Duett hat Windgassen noch ausreichend Reserven. Nimmt man dann noch Paul Kuens prägnanten, nie übertreibenden Mime hinzu, Maria von Ilosvays pastose Erda und Josef Greindls dröhnend bedrohlichen Fafner, dann rundet sich dieses Solistenteam zur Traumbesetzung. Auf die weiteren, für die nächsten Monate angekündigten Teile dieses Rings darf man schon jetzt gespannt sein.
Walter Fritz † [07.03.2006]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Richard Wagner | ||
1 | Siegfried |
Interpreten der Einspielung
- Wolfgang Windgassen (Siegfried - Tenor)
- Astrid Varnay (Brünnhilde - Sopran)
- Hans Hotter (Wanderer - Baß)
- Gustav Neidlinger (Alberich - Baß)
- Paul Kuen (Mime - Tenor)
- Maria von Ilosvay (Erda - Mezzosopran)
- Josef Greindl (Fafner - Baß)
- Ilse Hollweg (Waldvogel - Sopran)
- Orchester der Bayreuther Festspiele (Orchester)
- Joseph Keilberth (Dirigent)