Carl Heinrich Graun
Der Tod Jesu
Hyperion CDA67446
2 CD • 1h 41min • 2003
12.07.2004
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Klassik Heute
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Seit seiner Uraufführung 1755 war Der Tod Jesu des königlich-preußischen Hofkapellmeisters Carl Heinrich Graun (1704-1759) für mehr als hundert Jahre das erfolgreichste deutsche Passionsoratorium. Im 19. Jahrhundert wurde es alljährlich für den königlichen Hof in Berlin aufgeführt, bis man 1858 zu Bachs Matthäuspassion wechselte. Ab 1866 stand auf Wunsch von König Wilhelm I. Der Tod Jesu wieder auf dem Programm; bis 1884 hielt das Werk am Berliner Hof seine Favoritenstellung inne.
Im Gegensatz zur oratorischen Passion, die das Geschehen um den Kreuzestod Jesu jeweils auf der Grundlage eines der vier Evangelientexte dramatisch gestaltet, stellt Grauns Der Tod Jesu ein meditatives Passionsoratorium dar, in dem die menschliche Nachempfindung der Leidensgeschichte das Übergewicht gegenüber der theatralischen Nacherzählung des Opfertodes des Erlösers Jesu Christi als heilsgeschichtliches Zentralgeschehen erhält. Die Betrachtung der Passion durch die gläubige Seele, in den Bachschen Passionen durch die Arien vertreten, wird in Grauns Passionsoratorium das zentrale Element. Wenn uns auch heute Bachs Passionen allein durch den Umstand näher stehen, daß sie sich seit Generationen einen festen Platz im alljährlichen Programm der Kirchenmusik der Passionszeit erobert haben, zeigt der Ansatz von Grauns Librettisten Wilhelm Ramler (1725-1798) einen geistesgeschichtlichen Ansatz, der deutlich in die Zukunft weist: Religiosität wird im Laufe des 18. Jahrhunderts von einer heilsgeschichtlichen Realität zu einer Angelegenheit des persönlichen religiösen Gefühls. Privatsache ist die Religion auch bis heute geblieben, und die Rezeption der Passionen Johann Sebastian Bachs beweist, daß der Thomaskantor offensichtlich mit seiner Musik ein Wunder bewirkt hat, das über die Zeiten hinweg auf die Menschen eine bleibende Wirkung ausübt – hierfür sind allein die vielen aufführungspraktischen Ansätze von Aufführungen mit großem Chor, Solisten und Sinfonieorchester bis hin zu rein solistischer Besetzung mit historischen Instrumenten ein Beweis. Graun seinerseits macht sich seine reiche Erfahrung als Opernkomponist auch bei der Umsetzung seines vordergründig eher undramatischen Stoffes außerordentlich effektiv zunutze.
Sigiswald Kuijken läßt in dieser Einspielung Carl Heinrich Graun volle Gerechtigkeit widerfahren. Mit seinen hervorragenden Ensembles und hochkarätigen Solisten hält Kuijken vorzüglich die Waage zwischen der empfindsamen Ästhetik der Entstehungszeit des Werks und dem romantischen Empfinden des 19. Jahrhunderts, als Der Tod Jesu immer noch populär war. Damit bringt er heutigen Zuhörern den bedeutenden Charakter dieses Werks gerade durch die Darstellung seiner Geschichtlichkeit nahe. Und seine immense Musikalität läßt diese facettenreiche Darstellung zu einer in sich geschlossenen Interpretation reifen.
Detmar Huchting [12.07.2004]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Carl Heinrich Graun | ||
1 | Der Tod Jesu (Passionskantate) |
Interpreten der Einspielung
- Uta Schwabe (Sopran)
- Inge van de Kerkhove (Sopran)
- Christoph Genz (Tenor)
- Stephan Genz (Baß)
- La Petite Bande (Orchester)
- Ex Tempore (Chor)
- Sigiswald Kuijken (Dirigent)