Georg Philipp Telemann
VI Ouvertures à 4 ou 6
L'Orfeo Barockorchester • Carin van Heerden

cpo 555 519-2
1 CD • 81min • 2021
22.09.2025
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Georg Philipp Telemann brachte 1736 seine VI Ouvertures à 4 ou à 6 im Selbstverlag heraus. Diese sechs Orchestersuiten bilden die jüngeren, besetzungstechnisch weniger anspruchsvollen Geschwister der drei großbesetzten virtuosen Ouvertüren der Tafelmusik, die eher für große Hofkapellen und die Collegia musica der bedeutenden Universitätsstädte geeignet waren. Nur ein einziges Exemplar dieses Drucks hat sich erhalten, was womöglich auf eine nur kleine Auflage zurückzuführen ist, da Telemann um diese Zeit auf Zinkplatten statt Kupfer umstieg, die leichter zu bearbeiten waren, sich jedoch schneller abnutzten. Allerdings existieren zusätzliche Abschriften aus dem Umfeld von Telemanns kollegialem Freund Christoph Graupner in Darmstadt.
Für jede Besetzung geeignet
Die Stimmen der VI Ouvertures sind auf Französisch als „Dessus“, „Haute-Contre“, „Taille“ und „Basse“ bezeichnet, was die Tonlage bezeichnet, die Zuordnung der Instrumente jedoch dem jeweiligen Ensembleleiter überlässt. Die beiden Hörner können in den ungeraden Nummern hinzugezogen oder auch weggelassen werden, da sie primär der Klangverstärkung dienen und entweder parallel mit den beiden Oberstimmen gehen, oder als harmonische Füllstimmen fungieren. Bemerkenswert ist hierbei, dass auch die zweite Stimme nicht unter das c1 geführt wird, sodass einer Besetzung mit 2 Oboen, Oboe da caccia – von J. S. Bach zumeist als „Taille“ bezeichnet – und Fagott als „Wassermusik“ im Schlosspark nichts im Wege steht. Zur Tafel im Festsaal reicht ein Streichquartett, wobei die Oberstimmen mit Bläsern verdoppelt werden können. Standardmäßig kommen hier Oboen in Frage. Genauso gut können auch Blockflöten, die Standard-Zweitinstrumente der Barockoboisten, oder Traversen eingesetzt werden.
Schließlich ist – zumindest für die Tanzsätze – auch eine Trio-Version unter Weglassung der Bratschen und mit einer entsprechend aufgefüllten Ausführung des Continuo-Parts nicht undenkbar.
Ouvertüren-Fan Telemann
Telemann hat um die 200 Orchestersuiten komponiert, da ihm der französische Stil grundsätzlich stärker lag und leichter von der Hand ging als die „italienische Concerten-Manier“. Ihren Ursprung haben diese Werke in der tanzlustigen französischen Oper J. B. Lullys, die geradezu dazu einlud, ihre Ouvertüre mit nachfolgenden Tanzsätzen zu einem orchestralen Querschnitt als Tafelmusik zu verbinden. Die ersten eigenständigen Versuche in diesem Genre auf deutschem Boden stammen kurioserweise von zwei katholischen Hof- und Kirchenmusikern, nämlich Georg Muffat und Johann Caspar Ferdinand Fischer. Da Telemann eine natürliche Neigung zu Humor und musikalischer Malerei hatte, kamen ihm die Tanzformen für Charakterstücke entgegen, wovon Titel wie Les Coureurs (die Läufer, aber auch Schürzenjäger, Track 18), Les Gladiateurs (Track 20), Les Querelleurs (die Streithähne, Track 21) und Harlequinade (Track 42) Zeugnis ablegen.
Kundige elegant-tänzerische Interpretation
Carin van Heerden und ihr L’Orfeo Barockorchester haben offensichtlich ausgiebige persönliche Erfahrung mit den Tänzen des Barock. So werden immer zweit Takte als Einheit gesehen, was den Bewegungsfiguren entspricht und die Stücke erst beschwingt wirken lässt. Dadurch wird schlüssig phrasiert und abwechslungsreich artikuliert. Das Ganze mit deutlich inégalem französischem Akzent und absolut stilsicheren Verzierungen à la Hotteterre und La Barre. Dabei spielt Frau van Heerden ihre Oboe außerordentlich farbenreich von schmeichelnder Süße bis hin zu trompetenhaftem Schmettern. Dass sie und ihr Partner Philipp Wagner nach historischem Vorbild zur von Telemann ja durchaus geschätzten Blockflöte greifen, erhöht die Farbigkeit der Produktion. Somit eine rundum gelungene Einspielung auf höchstem Niveau!
Ein sehr informativer Booklet-Text von Peter Huth und eine das Niveau der Ausführenden unterstützende Tontechnik runden den Eindruck ab.
Fazit: Höchst gelungene Einspielung von bisher eher vernachlässigten Orchestersuiten Telemanns, die zumindest bei Barock-Affinen für helle Begeisterung sorgen dürfte. Die Partituren stehen für Interessenten in der Ausgabe des leider jüngst verstorbenen Mario Bolognani auf baroquemusic.it kostenlos zur Verfügung. Klar empfohlen und für die Jahresliste vorgemerkt.
Thomas Baack [22.09.2025]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Georg Philipp Telemann | ||
1 | Ouverture Nr. 1 F-Dur TWV 55:F1 | 00:15:09 |
8 | Ouverture Nr. 2 A-Dur TWV 55:A1 | 00:12:03 |
15 | Ouverture Nr. 3 Es-Dur TWV 55:Es1 | 00:13:29 |
22 | Ouverture Nr. 4 a-Moll TWV 55:a1 | 00:13:17 |
29 | Ouverture Nr. 5 D-Dur TWV 55:D2 | 00:14:59 |
36 | Ouverture Nr. 6 g-Moll TWV 55:g1 | 00:11:24 |
Interpreten der Einspielung
- L' Orfeo Barockorchester (Orchester)
- Carin Heerden (Leitung)