O, wie beseligend
Clara Schumann & Fanny Hensel
hänssler CLASSIC HC20026
1 CD • 61min • 2021
02.09.2022
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Clara Schumann (1819-1896) und Fanny Hensel (1805-1847) sind für das heutige Publikum längst aus dem Schatten von Robert und Felix, des komponierenden Ehemannes respektive Bruders, hinausgetreten und zählen im historischen Rückblick zu den wenigen Frauen der Romantik, die sich in einer männlichen Domäne behauptet haben. Das war aus ihrer Zeit betrachtet allerdings wesentlich komplizierter. Clara, eine arrivierte Pianistin, fühlte in sich kein Talent zum Komponieren, tat es nur Robert Schumann zuliebe und schrieb nach seinem Tode 1856 keine Zeile mehr. Fanny fand in ihren Arbeiten zwar durchaus die Anerkennung ihres Bruders Felix Mendelssohn-Bartholdy, doch die bürgerliche Konvention, in der ihre Familie befangen war, erlaubte es ihr nicht, das Komponieren zum Beruf zu machen und damit Geld zu verdienen. Relativ spät erst konnte sie einige ihrer Werke auch drucken lassen. Das gesamte Œuvre von über 460 Titeln macht deutlich, dass das Komponieren für sie kein Zeitvertreib, sondern eine Berufung war.
„Variable schöpferische Potenz“
Man tritt Clara Schumann nicht zu nahe, wenn man sie demgegenüber als eine Gelegenheitskomponistin bezeichnet, denn sie wollte selbst gar nicht mehr sein. Fanny Hensel dagegen war, wie man heute sagen würde, ein kompositorischer „Profi“, stilistisch mit vielen Wassern gewaschen und immer spontan in der musikalischen Erfindung. Diether de la Motte rühmte zu Recht „die Variabilität ihrer schöpferischen Potenz“. Auch wenn sie zu den großen Formen strebte, für den privaten Gebrauch Chor- und Orchesterwerke komponiert hat, so kommt doch ihrem Liedschaffen eine besondere Bedeutung zu. Immerhin 250 klavierbegleitete Solo-Lieder hat sie hinterlassen, daneben nimmt sich das auf 30 Titel beschränkte vergleichbare Œuvre von Clara Schumann (unlängst bei MDG komplett veröffentlicht) eher bescheiden aus. Sie begann mit einfachen Strophenliedern, entwickelte aber gegen Ende der 1820er Jahre den Klavier- wie den Gesangspart immer differenzierter und näherte sich zunehmend der Form des durchkomponierten Liedes an.
Für Fanny Hensel war die Übereinstimmung von Dichtung und Musik ein erklärtes Ziel. Und sie hat deshalb Texte vertont, zu denen sie eine tiefere Beziehung hatte, Gedichte ihres Mannes Wilhelm Hensel, der ihr angeblich jeden Morgen eines auf den Frühstückstisch gelegt haben soll, oder ihrer Freundin, der von Heine verehrten und besungenen Friederike Robert (1795-1832), der Schwägerin Rahel Varnhagens. Die ist hier mit drei Titeln vertreten, die ihrer poetischen Kraft, aber auch ihrem Humor (Wanderlied) ein gutes Zeugnis ausstellen. Doch auch Meister Heine selbst hat hier in drei Gedichten eine überzeugende musikalische Umsetzung erfahren. Die lebenslange Italien-Sehsucht Fannys, die erst 1839 ihre Erfüllung fand, zeigt ihren Niederschlag bereits 14 Jahre früher in der Adaption von Franz Grillparzers lyrischer Impression Zwischen Capua und Gaeta. Überhaupt eignet den Liedern Fannys eine heitere, südländisch-sinnliche Grundnote, spürbar auch im Allegretto grazioso aus Vier Lieder für das Fortepiano.
Stimmungen gut erfaßt
Clara Schumanns Lieder zeichnen sich eher durch nordischen Ernst aus. Einige Titel wie Die stille Lotosblume oder Liebst du um Schönheit haben sich mittlerweile einen Nischenplatz im Konzert-Repertoire erobert. Ein Autor wie Friedrich Rückert kommt ihrem Musikertemperament entgegen. Gemeinsam mit ihrem Mann arbeitete sie an dessen Zyklus Liebesfrühling. Doch hat sie insgesamt nicht so ein genaues Textverständnis wie Fanny Mendelssohn. Bei Heines Loreley, Robert 1843 zum Geburtstag geschenkt, geht sie in die Vorwärtsverteidigung, baut Spannung auf, aber erfaßt die Doppelbödigkeit der Vorlage nicht. Sehr interessant ist eine Klavierkomposition der 15jährigen, das Notturno in F-Dur im Stile Frédéric Chopins.
Die Sopranistin Bettina Pahn und die Cembalistin Christine Schornsheim, die sich vor allem auf dem Gebiet der Barockmusik einen Namen gemacht haben, finden sich sehr gut auf dem romantischen Terrain zurecht. Frau Schornsheim spielt auf einem Hammerklavier von 1835 mit einem sehr lockeren Anschlag und – bei zügigen Tempi – sehr imaginativer Einfühlung. Eine gewisse Schwerelosigkeit vermittelt auch der Vortrag der Sängerin, deren Stimme ihren jugendlich lyrischen Glanz bewahrt hat. Die Textgestaltung könnte prägnanter sein, oft werden Silben verschluckt, aber die Grundstimmung der Lieder ist jeweils gut erfasst. Das Booklet enthält die brauchbare Werkeinführung von Cornelia Preissinger und die Biographien der Künstlerinnen auf deutsch und englisch, die Liedtexte aber nur im deutschen Original. Auch sind da einige Fehler unterlaufen, Friederike Roberts Zauberkreis etwa wird Friedrich Rückert zugeschrieben. Die notorische schwäbische Sparsamkeit von hänssler zeigt sich auch darin, dass die Trackliste nicht im Booklet enthalten ist, sondern etwas mühevoll (rötlich auf schwarzem Grund) auf dem Rückcover der Kassette entziffert werden muß.
Ekkehard Pluta [02.09.2022]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Fanny Mendelssohn-Hensel | ||
1 | Ave Maria | 00:01:52 |
Clara Schumann | ||
2 | Liebeszauber op. 13 Nr. 3 | 00:02:31 |
Fanny Mendelssohn-Hensel | ||
3 | Was will die einsame Träne | 00:03:37 |
4 | Zauberkreis | 00:02:38 |
Clara Schumann | ||
5 | Die stille Lotosblume op. 13 Nr. 6 | 00:02:40 |
Fanny Mendelssohn-Hensel | ||
6 | Zwischen Capua und Gaeta | 00:01:37 |
Clara Schumann | ||
7 | Loreley | 00:02:29 |
Fanny Mendelssohn-Hensel | ||
8 | Allegretto grazioso E-Dur op. 2 Nr. 3 (aus: Vier Lieder für das Pianoforte) | 00:02:54 |
Clara Schumann | ||
9 | O weh, des Scheidens das er tat | 00:02:42 |
Fanny Mendelssohn-Hensel | ||
10 | Schwanenlied op. 1 Nr. 1 | 00:02:26 |
11 | Wanderlied | 00:02:10 |
12 | Lebewohl | 00:01:54 |
Clara Schumann | ||
13 | Am Strande | 00:02:17 |
Fanny Mendelssohn-Hensel | ||
14 | Andante G-Dur op. 2 Nr. 1 (aus: Vier Lieder für das Pianoforte) | 00:03:46 |
15 | Frühlingslied | 00:01:18 |
Clara Schumann | ||
16 | Liebst du um Schönheit op. 12 Nr. 4 | 00:01:54 |
Fanny Mendelssohn-Hensel | ||
17 | Die furchtsame Träne | 00:02:12 |
18 | O, wie beseligend | 00:00:39 |
19 | Nacht | 00:01:50 |
Clara Schumann | ||
20 | Nocturne F-Dur op. 6 Nr. 2 | 00:05:04 |
21 | Er ist gekommen in Sturm und Regen op. 12 Nr. 2 | 00:02:28 |
22 | Ich hab in deinem Auge op. 13 Nr. 5 | 00:01:49 |
Fanny Mendelssohn-Hensel | ||
23 | Am leuchtenden Sommermorgen | 00:01:06 |
24 | Lied der Fee | 00:01:36 |
25 | Gebet in der Christnacht | 00:03:08 |
Clara Schumann | ||
26 | Die gute Nacht | 00:02:17 |
Interpreten der Einspielung
- Bettina Pahn (Sopran)
- Christine Schornsheim (Cembalo)