Viktor Ullmann
Der Kaiser von Atlantis oder Die Tod-Verweigerung
BR Klassik 900339
1 CD • 53min • 2021
27.04.2022
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Das Konzentrationslager in Theresienstadt verschaffte dem dort internierten Komponisten Viktor Ullmann (1898-1944) nach eigener Aussage einen regelrechten „Kreativitätsschub“, für den das gemeinsam mit dem zwanzig Jahre jüngeren Literaten und Maler Peter Kien geschaffene knapp einstündige Spiel Der Kaiser von Atlantis das beste Beispiel ist. Wie kann man unter solch deprimierenden äußeren Umständen ein solch abgründig-witziges und im inneren Wesenskern sogar heiteres Werk schaffen? Als „eine Art Oper in vier Bildern“ wird es im Prolog vom Lautsprecher angekündigt, und diese Bezeichnung ist zutreffend, denn es wird zwar gesungen wie in der Oper, doch handelt es sich um eine theatralische Mischform, die viel dem Brettl und dem Cabaret verdankt.
Die Handlung spielt in einem totalitären Staat im sagenhaften Atlantis, dessen Kaiser Overall „man schon seit vielen Jahren nicht gesehen hat denn er ist in seinem Riesenpalast eingeschlossen, ganz allein, um besser regieren zu können…“. Durch seinen Trommler lässt er „den Krieg aller gegen alle“ verkündigen. Aber er hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Denn der Tod „in abgetragener k. und k. Uniform“ hat keine Lust mehr auf seinen Job, trauert den Zeiten nach, wo man ihm noch in prächtigen Gewändern entgegentrat, wenn es in den Krieg ging. Durch seinen Streik entsteht Chaos im Land, die Schlachten bleiben ohne Todesopfer, ein mehrfach hingerichteter Attentäter bleibt einfach am Leben. Und inmitten des Schlachtfeldes finden zwei gegnerische Soldaten (ein Junge und ein Mädchen) in Liebe zueinander. Zuletzt dankt der Kaiser ab und überlässt dem Tod die Herrschaft, der das Ende des Krieges ankündigt.
Anspielungsreiche Collage
Kien hat das Libretto mit vielen mehr oder weniger deutlichen Anspielungen an die Diktatur des Dritten Reiches versehen und gibt auch Querverweise auf Texte anderer Autoren wie Karel Čapeks Die weiße Krankheit. Und Ullmann hat diese Anspielungen durch eine kompositorische Collagentechnik noch potenziert. Da kommt viel zusammen, was eigentlich nicht zusammengehört und in der unmittelbaren Konfrontation doch dramaturgischen Sinn macht: Jazz und Tanzmusik der 20er Jahre mischt sich mit ehrwürdigen Kirchenchorälen, herkömmliche Opernformen wie Arie, Duett und Terzett erscheinen in verkürzter Form wie Zitate. Nur Overall ist vor seinem Abgang eine lange „Abschieds“-Arie vergönnt. Die Wiedererkennungseffekte waren durchaus beabsichtigt. Der Trommler verwendet in seiner Auftrittsarie das Deutschlandlied in einer verfremdeten Form, der Schlusschoral mit Dank an den Tod demontiert Ein feste Burg ist unser Gott. Auch Motive aus Mahlers Lied von der Erde und Josef Suks Asrael kommen in verändertem Kontext zum Einsatz.
Stil und Atmosphäre gut getroffen
Zu einer Aufführung des Stücks in Theresienstadt kam es nicht. Komponist wie Autor wurden ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert, wo sie bald den Tod fanden. Die Uraufführung fand erst 1975 in Amsterdam statt, Stuttgart folgte zehn Jahre später und seither ist der Kaiser von Atlantis schon fast ein Repertoirestück geworden, das an großen wie auch ganz kleinen Theatern gespielt wird. In der sehr verdienstvollen, aber kommerziell wohl nicht sehr erfolgreichen Edition „Entartete Musik“ hat Decca 1994 bereits eine Gesamtaufnahme (unter Lothar Zagrosek mit dem Leipziger Gewandhausorchester) herausgebracht. Sie wurde der Eigenart des Werkes durchaus gerecht.
Trotzdem ist die Neuaufnahme des BR hochwillkommen, denn das Münchner Rundfunkorchester unter dem jungen Patrick Hahn, der mittlerweile GMD in Wuppertal ist, geht das Werk mit einer gewissen Leichtigkeit an, die seinem satirischen Inhalt wie seinem musikalischen Stil angemessen ist. Gleich mit dem ersten „Hallo, hallo“ des Lautsprechers wird der Zuhörer in eine Art Zirkus- oder Varieté-Atmosphäre hineingezogen und Lars Woldt bekommt in dieser Rolle, „die man nur hört, aber nicht sieht“, eine starke physische Präsenz. Überaus plastisch stehen auch die anderen Figuren vor dem Auge des Hörers: der traurige Narr des lyrischen Tenors Johannes Chum (der die Rolle des jungen Soldaten mit übernimmt), die verliebte Soldatin Bubikopf der aus dem Münchner Opernstudio hervorgegangenen Koloratursopranistin Juliana Zara und der glanzvoll auftrumpfende Trommler der Mezzosopranistin Christel Lötzsch. Adrian Eröd ist als Diktator Overall beinahe eine Mitleid erweckende Figur, eine Art leidender Amfortas, Tareq Nazmi schließlich ein alles andere als müder Tod, vielmehr ein eloquenter Philosoph, dessen Verweigerung sachlich begründet erscheint.
Ekkehard Pluta [27.04.2022]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Viktor Ullmann | ||
1 | Der Kaiser von Atlantis oder Die Tod-Verweigerung | 00:52:53 |
Interpreten der Einspielung
- Juliana Zara (Bubikopf, ein Soldat - Sopran)
- Christel Loetzsch (Der Trommler - Mezzosopran)
- Johannes Chum (Harlekin - Tenor)
- Adrian Eröd (Kaiser Overall - Bariton)
- Lars Woldt (Der Lautsprecher - Baß)
- Tareq Nazmi (Der Tod - Baß)
- Münchner Rundfunkorchester (Orchester)
- Patrick Hahn (Dirigent)