Remembering
Nørgård & Saariaho
Cello Concertos
BIS 2602
1 CD • 83min • 2015, 2016
02.11.2021
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Bereits vor fast zehn Jahren hat der Cellist Jakob Kullberg für das norwegische Label Aurora ein Album mit zeitgenössischen nordischen Cellokonzerten eingespielt, und in vielerlei Hinsicht kann seine neue BIS-SACD als Fortsetzung jener Produktion angesehen werden: wiederum stehen Konzerte des dänischen Altmeisters Per Nørgård (mit dem Kullberg eine seit vielen Jahren bestehende Kooperation verbindet) sowie der Finnin Kaija Saariaho auf dem Programm, und zwar die zur Vorgänger-CD komplementären Werke. Im Falle Nørgårds ist dies nun also sein Cellokonzert Nr. 1 Between, im Falle Saariahos ihr De-facto-Konzert Notes on Light. Als drittes Konzert hat Kullberg seine eigene Bearbeitung von Nørgårds Bratschenkonzert Remembering Child ausgewählt, das fast zur selben Zeit entstand wie Between und insofern einen reizvollen Vergleich liefert. Orchester und Dirigent variieren von Werk zu Werk.
Expressivität, dramatische Verdichtung und Suggestivkraft
Nørgårds Cellokonzert Nr. 1 liegt eine Art Programm zugrunde: am Beginn steht ein Satz, in dem es dem Solisten nicht gelingen mag, sich mit dem Orchester auf eine gemeinsame Linie zu verständigen; stattdessen füllt er die Lücken, die das Orchester lässt, ist also „dazwischen“ statt „mittendrin“ (so die frei übersetzten Titel der Sätze eins und drei). Als Scharnier, als „Wendepunkt“ fungiert dabei der kurze zweite Satz, eine Art Andeutung eines Lieds, im Tonfall Alban Berg nicht unähnlich. Konfliktlos ist der Schlusssatz deshalb noch lange nicht, und die im Beiheft vertretene These, er ähnele dem Finale eines traditionellen Solokonzerts, würde ich so nicht unterschreiben; dagegen spricht allein schon der fast beiläufige Schluss. Ein Werk, das sich durch seine Expressivität, dramatische Verdichtung und Suggestivkraft auszeichnet; gerade im Kopfsatz beeindruckt Nørgårds Vermögen, dramatischen Entwicklungen Raum zu geben. Schwächer wirkt auf mich das Finale, das das Werk nicht völlig zufriedenstellend abrundet.
Insgesamt homogener, in sich geschlossener wirkt Remembering Child, dessen Titel auf die gerade einmal 13-jährig verunglückte Samantha Smith anspielt, die sich in den frühen 1980er Jahren für nukleare Abrüstung einsetzte. Hier dominieren innige, kindliche Schlichtheit und (verhaltene) Trauer, was mit klareren tonalen Bezügen und prägnanteren melodischen Elementen (teils in Zitatform) einhergeht. In der Summe sicherlich das zugänglichere, letztlich auch überzeugendere der beiden Werke. Kullbergs Bearbeitung geht über eine unmittelbare Umschrift des Notentexts hinaus und ergänzt diesen etwa um kadenzierende Abschnitte. Über kleinere Details mag man streiten (mir erscheint z.B. der – sehr vereinzelte – Einsatz der Stimme des Cellisten nicht recht motiviert), insgesamt aber eine Bereicherung des Cellorepertoires.
Stilles Funkeln in luftiger Orchestrierung
Saariahos Cellokonzert Notes on Light verrät, wie für das Schaffen der Komponistin insgesamt charakteristisch, deutliche französische Einflüsse; ein still funkelndes, raffiniert orchestriertes, atmosphärisch geprägtes Werk. Diese Musik ist weitgehend atonal und verwendet allerhand erweiterte Spieltechniken (der Celloklang wird z.B. immer wieder durch Spiel am Steg aufgeraut), aber durch die tendenziell reduzierte Dynamik, die luftige Orchestrierung und dadurch, dass Saariaho ihre Musik gerne auf einem Fundament aus lang ausgehaltenen Grundtönen aufbaut, ist das Werk eigentlich nicht besonders schwer rezipierbar. Für mich ist dieses Konzert insgesamt schwächer als die Werke Nørgårds, der ein deutlich ausgeprägteres Gespür für Dramaturgie besitzt. Bei Saariaho dominiert die Klanglichkeit, und letztlich wirkt ihr Konzert, zumal bei einer Gesamtspielzeit von mehr als 30 Minuten, (zu) statisch, eher Moment als Momentum.
Hervorragende Neueinspielungen
Jakob Kullberg ist ein exzellenter Anwalt für diese Werke. Nørgårds Between ist alternativ auch von Kullbergs Lehrer Morten Zeuthen eingespielt worden (Dacapo Records). Zu beiden Einspielungen kann man getrost raten, allerdings ist Zeuthens Aufnahme mittlerweile vergriffen. Klarer unterscheidet sich Kullbergs Lesart von Saariahos Notes on Light von der Alternativeinspielung mit dem Widmungsträger Anssi Karttunen; Kullberg wählt in der Totale die langsameren Tempi (wobei der zentrale dritte Satz noch durch eine eigene Kadenz erweitert wird) und eine distanziertere, von kühler Expressivität geprägte Lesart. Hochklassig sind auch die Leistungen seiner Partner am Pult und im Orchester, und die Klangqualität bewegt auf gewohnt hohem Niveau. Abgerundet wird die Produktion durch ein ausführliches, manchmal allerdings etwas preziös-mystifizierend wirkendes (vgl. den Abschnitt Konzert als Methode) Beiheft.
Holger Sambale [02.11.2021]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Per Nørgård | ||
1 | Violoncellokonzert Nr. 1 (Between) | 00:29:07 |
Kaija Saariaho | ||
4 | Notes on Light für Violoncello und Orchester | 00:33:15 |
Per Nørgård | ||
9 | Violakonzert Nr. 1 (Remembering Child; Arr. für Violoncello: Jakob Kullberg, 2013) | 00:20:09 |
Interpreten der Einspielung
- Jakob Kullberg (Violoncello)
- BBC Philharmonic Orchestra (Orchester)
- Michael Francis (Dirigent)
- John Størgårds (Dirigent)
- Sinfonia Varsovia (Orchester)
- Szymon Bywalec (Dirigent)