Visions
Thorofon CTH2639
1 CD • 58min • 2016, 2017
03.11.2017
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Die Violine ist dank ihrer herausgehobenen Tonlage und ihrer Phrasierungsmöglichkeiten „das“ Melodieinstrument schlechthin – was liegt da näher, als sich auch mal große Melodien einzuverleiben, die ursprünglich für andere Instrumente geschrieben wurden. Dies dachte sich die Violinistin Caroline Adomeit, die ohnehin um mutige Grenzgänge und -erfahrungen nicht verlegen ist. Sie hat sich für ihr neues Album vor allem der Klavierliteratur angenommen und bildet mit ihrer Partnerin am Klavier Nadiya Kholodkova das sprichwörtliche symbiotische Duo.
Wer hier hörend erlebt, wie sich dieses Duo in Rage spielt, mit welcher Variabilität Caroline Adomeit ihren Ton aufblühen, wachsen, mutieren, strahlen und sich verändern lässt und wie tief sie gleichzeitig in die Atmosphäre der ausgewählten Kompositionen fallen lässt, der muss erst mal realisieren, dass diese Stücke nicht exklusiv für diese außergewöhliche Spielerin und auch nicht originär für dieses Instrument geschrieben wurden. Letzteres war für Caroline Adomeit am allerwenigsten ein Hinderungsgrund: Behutsam hat sie Sonaten, Charakterstücke, Etüden und Präludien aus verschiedenen Epochen seziert und vor allem die melodietragenden Stimmen, aber auch harmonische Bezüge dem eigenen Instrument zueigen gemacht.
Man darf sich hier nicht durch die etwas beliebig anmutende Titelgebung dieses Albums blenden lassen:Denn der Streifzug durch die Stilepochen gelingt in dramaturgisch stimmiger Weise. Caroline Adomeiot und Nadiya Kholodkova halten anscheinend jedem noch so kolossalen Rundumschlag durch eine fast schon beängstigende Spiellust und Stilsicherheit stand - wo andere sich im „zuviel“ verlieren würden.
Dieser Geigenton ist bei aller Intensität so wandelbar wie ein Chamäleon. Vibratoarm und tänzerisch kommt eine filigrane Virtuosität daher, um damit einem spätbarocken musikantischen Affekt gerecht zu werden – etwa in Henry Purcells Hornpipe, in François Couperins Les petits moulins à vent und mehreren sehr vielgestaltigen Scarlatti-Sonaten. Zuweilen verströmt Caroline Adomeits spielerischer Schwung eine gesunde Portion Folk. Mit breiten Pinselstrichen malt ihr Spiel hingegen die Walzerseligkeit bei Johannes Brahms aus, bevor sich das Spiel zu einem Wechselbad aus bittersüßem Schwung und Tragik aufschwingt.
Aber es ist noch nicht genug der Überraschungen: So jazzig wie hier hat man selten Debussy gehört – gemeint sind vor allem die lässig phrasierten Violintöne in La Fille aus cheveux de lin. Überhaupt bringen diese erstaunlichen Neubearbeitungen der originalen Klavierkompositionen eine ganz neue, zugleich völlig plausibel wirkende Perspektive, die dazu führt, dass man nach dem Hören diese ganzen Themen noch tagelang im Kopf und im Ohr hat. Das setzt sich fort im swingenden, flirrenden Gestus von Golliwoog's Cake-walk - die großen Jazzgeiger würden hier auch nicht mehr Feeling hinbekommen. Und bei all dem sorgt Nadia Kholdokovas Klavierspiel für orchestrale Raumwirkungen.
Sergei Prokofievs Visions Fugitives lässt delikate Ironie aufblitzen und eröffnet einen Parforceritt zwischen Moderne und ironisiertem Neoklassizismus, was sich, in immer neuen Facetten, in Schostakowitschs Prélude op.34 fortsetzt. Chopins c-Moll-Nocturne hatte es schon dem legenären Geiger Nathan Milstein angetan, der eine Violinversion daraus schuf. Caroline Adomeit legt mit dieser Hommage ihre eigene Verwandtschaft zu den großen Idolen offen – dann geht es mit Scriabins Etüde in Thirds und einer schwindelerregenden Polka italienne in die Zielgerade. Vermutlich könnte es noch ewig so weitergehen. Caroline Adomeits anscheinend nie versiegende Lust, sich in immer neue spielerische Abenteuerzu begeben, wird anscheinend nur von der auf 74 Minuten limitierten Spiellänge der CD gebremst.
Stefan Pieper [03.11.2017]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Henry Purcell | ||
1 | Hornpipe | 00:01:02 |
François Couperin | ||
2 | Les petits moulins à vent | 00:01:20 |
Domenico Scarlatti | ||
3 | Klaviersonate D major K 446 (Pastorale) | 00:02:47 |
4 | Sonata d minor K 34 – Larghetto | 00:02:16 |
Domenico Cimarosa | ||
5 | Sonate | 00:02:46 |
Domenico Scarlatti | ||
6 | Sonata C major K 132 L 457 – Cantabile | 00:01:50 |
Johannes Brahms | ||
7 | Walzer gis-Moll op. 39 Nr. 3 | 00:01:17 |
8 | Walzer h-Moll op. 39 Nr. 11 | 00:01:47 |
Franz Liszt | ||
9 | Valse caprice No. 6 (from: Soirées de Vienne S 0427) | 00:04:51 |
Robert Schumann | ||
10 | Der Vogel als Prophet op. 82 Nr. 7 (Bearb. für Violine und Klavier) | 00:03:03 |
Claude Debussy | ||
11 | La fille aux cheveux de lin (1910 - Bearb. für Violine und Klavier) | 00:03:07 |
12 | La Plus que lente L 121 | 00:05:07 |
13 | Golliwogg's Cake-walk (Children's Corner L 113) | 00:02:37 |
14 | Clair de Lune D flat major L 82/3 – Andante très expressif | 00:04:42 |
Sergej Prokofjew | ||
15 | Visions fugitives op. 22 | 00:01:49 |
16 | Visions fugitives op. 22 | 00:00:57 |
17 | Visions fugitives op. 22 | 00:02:09 |
Dimitri Schostakowitsch | ||
18 | Prelude cis-Moll op. 34 Nr. 10 | 00:02:04 |
19 | Prelude D flat major op. 34 No. 15 – Allegretto | 00:00:56 |
20 | Prelude b flat minor op. 34 No. 16 – Andantino | 00:01:05 |
21 | Prelude d minor op. 34 No. 24 – Allegretto | 00:01:15 |
Frédéric Chopin | ||
22 | Nocturne cis-Moll | 00:04:14 |
Alexander Scriabin | ||
23 | Etude c sharp minor op. 2 No. 1 | 00:01:56 |
Sergej Rachmaninow | ||
24 | Polka italienne TN ii/21 for Four Hand Piano | 00:02:36 |
Interpreten der Einspielung
- Caroline Adomeit (Violine)
- Nadiya Kholodkova (Klavier)