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Besprechung CD

Brahms • Schönberg

Streichquartette

Onyx 4166

1 CD • 73min • 2015

20.01.2017

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 9
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

Dass Arnold Schönberg in der Musik Johannes Brahms‘, besonders in ihrer thematischen Arbeit die Wurzeln für seine eigene Kompositionstechnik angelegt sah, ist hinlänglich bekannt. Es sind allerdings nicht nur strukturelle Merkmale, die gerade im 1. Satz von Schönbergs Streichquartett Nr. 2 fis-Moll op. 10 an Brahms gemahnen. Vielmehr verblüfft der typische Brahms-Tonfall, den Schönberg hier anschlägt. Die vorliegende Koppelung mit Brahms‘ Streichquartett Nr. 3 B-Dur op. 67 birgt für mich aber noch etwas wirklich Aufregendes. Noch nie habe ich Brahms‘ B-Dur-Quartett als so avantgardistisch, als so zukunftsweisend empfunden. All die rhythmischen, harmonischen und variationstechnischen Finessen, selbst die unterschiedlichen Ausdrucksebenen – all das vermittelt mir zum ersten Mal den Eindruck, als sei diese Musik auf der Suche oder auf dem Weg zu etwas, was sich erstaunlicherweise in Schönbergs zweitem Quartett zu erfüllen scheint. Doch mögen sich die Hörer ein eigenes Bild machen. Verantwortlich für diesen Eindruck ist in erster Linie die ungemein beseelte Herangehensweise des Kuss Quartett und wie dieses die bisweilen herbe Harmonik Brahms‘, aber auch die herbe Kantabilität Schönbergs mit einer Sinnlichkeit anreichert, die keineswegs aufgesetzt wirkt, sondern völlig natürlich wirkt.

2003, zum Beginn seiner Karriere, habe ich das Kuss Quartett bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen erlebt, u.a. mit Brahms‘ Streichquartett a-Moll op. 51/2. Schon damals faszinierte mich die große Homogenität seines Ensembleklangs, die gleichzeitig dem Individuellen der Instrumente bzw. der Stimmen genügend Raum zur Entfaltung gewährte. Nichts geschah nur so am Rande, alles an seiner leidenschaftlichen Ensemblekunst war Ausdruck pur. Und genau darauf treffe ich nun wieder bei der Brahms- und Schönberg-Deutung der vier Musker. Jana Kuss (Violine), Oliver Willie (Violine), William Coleman (Viola) und Mikayel Hakhnazaryan (Cello) begegnen dem lebhaften Kopfsatz des B-Dur-Quartetts op. 67 von Johannes Brahms nicht nur mit rhythmischem Übermut und anspringender Brillanz, sondern legen bereits hier ein immenses Ausdrucks- und Farbenspektrum an den Tag, was auch die weiteren Sätze und später ihre Schönberg-Sicht maßgeblich charakterisiert. Ob attackierend und auftrumpfend wie im 1. Satz oder verführerisch bis grüblerisch wie in dem einem Lied ohne Worte gleichenden Andante – die Vier treffen zwischen ätherischen Momenten und kräftigen Ausbrüchen immer den richtigen Ton. Dabei sitzt jedes Detail, selbst dem kleinsten Stimmungsumschwung wird nachgespürt. Doch nichts wirkt kalkuliert, alles fließt ganz natürlich. Gedankliche Tiefe? Sie ist jederzeit spürbar, aber ohne in eine drückende Gedankenschwere umzuschlagen. Einen Kritikpunkt kann ich mir allerdings nicht verkneifen: Der Satzbezeichnung „Agitato“ des 3. Satzes und dem das Variationsfinale bestimmenden Übermut hätte ein wenig mehr Aufmerksamkeit durchaus gut gestanden.

Und Schönbergs Streichquartett Nr. 2 fis-Moll op. 10, dieses Schlüsselwerk, das den Übergang von der Tonalität zur Atonalität markiert und dessen kryptische und emotional so zerrissene Sprache genau darin ihre ideale Entsprechung findet? Das Kuss Quartett präsentiert hier eine fiebrige Ausdruckskunst, die kaum steigerungsfähig erscheint. Wäre da nicht die Sopranistin Mojca Erdmann, die den lebensabgewandten Texten Stefan Georges im 3. Satz („Litanei“) und im Finale („Entrückung“) eine derart abgründige Tiefe ablauscht und sich zu einer fast schon beängstigenden Intensität steigert, die – in Verbindung mit einer unglaublich sicher durch alle Lagen geführten Stimme – wahre Gänsehautmomente erzeugt. Nicht weniger fesselnd ist die verführerische Gelöstheit, mit der sie in drei Brahms-Liedern die vorangegangene emotionale Achterbahnfahrt geradezu beschwichtigend ausklingen lässt.

Christof Jetzschke [20.01.2017]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Johannes Brahms
1Streichquartett Nr. 3 B-Dur op. 67 00:35:11
Arnold Schönberg
5Quartett Nr. 2 fis-Moll op. 10 für 2 Violinen, Viola, Violoncello und Sopran 00:31:40
Johannes Brahms
9Wie Melodien zieht es mir op. 105 Nr. 1 00:01:55
10Sommerabend op. 85 Nr. 1 00:02:17
11Mondenschein op. 85 Nr. 2 00:01:59

Interpreten der Einspielung

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