Michael Gielen Edition 3
Aufnahmen 1989-2005
SWRmusic SWR19022CD
5 CD • 5h 19min • 1989-2005
21.10.2016
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Das jahrzehntelang gewachsene, kulturfördernde Engagement öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten drückt sich in so gewichtigen Klangkörpern wie dem SWR Sinfonieorchester aus. Die Schätze an musikalisch-hochkarätigem Archivmaterial dürften unermesslich sein. Also tun die Sendeanstalten gut daran, die vielen gesendeten und aufgenommenen Aufführungen durch Neuveröffentlichungen für die Nachwelt zu erhalten. In dieser Hinsicht ist die aktuelle Michael Gielen-Edition ein vorbildhaftes Großprojekt, das aktuell in raschen Zeitintervallen neue Fortsetzungen erfährt.
Folge 3 konzentriert sich auf das Verhältnis des Dirigenten Michael Gielen zu Johannes Brahms und dies auf gleich fünf CDs. Brahms, der das klassische Erbe kultiviert und für die Moderne vorbildhaft bleibt, ist auch für Gielen ein zentrales künstlerisches Thema, obschon Gielen nach eigenem Bekunden zu dessen Klaviermusik mehr persönliche Nähe als etwa zu seiner Sinfonik empfand. Ob diese Selbsteinschätzung daran schuld ist, dass Gielens verdienstvolle Interpretationen der Brahmsschen Sinfonik immer etwas unterschätzt geblieben sind?
Tatsache ist: Michael Gielen und das SWR-Sinfonieorchester sind in den dokumentierten Brahms-Interpretationen einmal mehr eine bestens aufeinander eingeschworene Einheit. Zwischen 1989 und 2005 gesendet und zum Teil jetzt zum ersten Mal öffentlich zugänglich gemacht, belegt dieses Material die langjährige fruchtbare Symbiose zwischen Dirigent und Rundfunkorchester. So etwas gelingt in keinem kurzfristigen Projekt oder Gastspiel. Die klangliche Umsetzung ist so, wie sie einem Orchester zur Ehre gereicht, welches ständig sendefähige Resultate zu liefern hat: Klarheit, Transparenz und Disziplin, aber auch ein hohes Maß an dynamischer Impulskraft gepaart mit viel Wärme im Klang garantieren eine lebendige Deutung.
Eröffnet wird Gielens Brahms-Gesamtschau mit der Tragischen Ouvertüre d-Moll. Gielen schwört seine Musiker auf stringente Bündelung musikalischer Energien ein – Mittel zum Zweck sind hier betont straffe Tempi, für die Gielens Dirigat ohnehin bekannt ist. Tugenden wie diese setzen sich in den dramatischen Ausbrüchen im Kopfsatz der ersten Sinfonie bezwingend fort.
Eine kompromisslose Ausgestaltung ohne viel Effekthascherei erschließt beim aufmerksamen Hören viele Tiefendimensionen der Musik. Kantabler und mit mehr heiterem Schwung setzt sich diese in der zweiten Sinfonie fort. Dramatischer kommen die dritte und vierte Sinfonie daher - wobei sämtliche stürmischen Ausbrüche nach wie vor der eingeschlagenen Richtung folgen.
Ein „anderer“ Brahms offenbart sich in dieser CD-Edition in den bemerkenswerten Variationen über ein Thema von Haydn. Brahms als romantischer Sinfoniker versteht unter dem Variationen-Prinzip etwas völlig anderes als die Tonsetzer in der Wiener Klassik, wo nicht selten ein ganzes feinziseliertes Figurenspiel regelrecht improvisatorisch anmutet. Die Variationen des op. 56 setzen auf dramatische Verdichtungen und eruptive Überhöhungen der Ausgangsmelodie sowohl in Dynamik als auch orchestraler Differenzierung. Ähnlich funktioniert dass Schicksalslied für Chor und Orchester: Sehr verinnerlicht und introvertiert trägt der Chor in den ersten Strophen seine elegischen Farben auf, dann werden die in diesem Lied besungen verinnerlichten Empfindungen in hell leuchtender Farbenpracht zu etwas Neuem und Großen erweitert. Gerhard Opitz ist Solist im Klavierkonzert Nr. 1 d-Moll – und damit hat eine weitere solistische Sternstunde in den Archiven geschlummert. Warum nicht viel öfter die Kombination von Violine und Violoncello für ein solistisches Doppelkonzert herangezogen wurde, fragt man sich im Konzert für Violine, Violoncello und Orchester a-Moll. Mark Kaplan und David Geringas lassen ihre ausdruckstarken und virtuosen Solostimmen im organischen Dialog verschmelzen und das SWR Sinfonieorchester unter Gielens Leitung liefert hierzu das hervorragend aufeinander abgestimmte Umfeld.
Mit reichen dynamischen Impulsen und vielen Kontrasteffekten „funktioniert“ jenes Klavierquartett Nr. 1 g-Moll, das Schönberg neu arrangierte, um nach eigenem Bekunden mehr Ausgewogenheit aller Beteiligten herbei zu führen. Michael Gielen und das SWR-Orchester erweisen sich auch hier als ideale Vermittler mit viel Respekt vor der Komposition und deren lebendiger Ausgestaltung.
Stefan Pieper [21.10.2016]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Johannes Brahms | ||
1 | Tragische Ouvertüre d-Moll op. 81 | 00:12:38 |
2 | Sinfonie Nr. 1 c-Moll op. 68 | 00:44:48 |
CD/SACD 2 | ||
1 | Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 73 | 00:39:32 |
5 | Variationen über ein Thema von Haydn op. 56a | 00:17:34 |
CD/SACD 3 | ||
1 | Sinfonie Nr. 3 F-Dur op. 90 | 00:34:40 |
5 | Sinfonie Nr. 4 e-Moll op. 98 | 00:38:45 |
CD/SACD 4 | ||
1 | Konzert Nr. 1 d-Moll op. 15 für Klavier und Orchester | 00:45:42 |
4 | Schicksalslied op. 54 für Orchester und gemischten Chor | 00:14:44 |
CD/SACD 5 | ||
1 | Konzert a-Moll op. 102 für Violine, Violoncello und Orchester | 00:30:10 |
4 | Klavierquartett Nr. 1 g-Moll op. 25 | 00:39:05 |
Interpreten der Einspielung
- Gerhard Oppitz (Klavier)
- Mark Kaplan (Violine)
- David Geringas (Violoncello)
- WDR Rundfunkchor Köln (Chor)
- SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg (Orchester)
- Michael Gielen (Dirigent)