Mendelssohn
Symphonien 1 & 4
Orfeo C 914 161 A
1 CD • 72min • 2012, 2013, 2014
09.05.2016
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
„Wie in einem Konzertprogramm ist es unser Wunsch, dass durch die Gegenüberstellung mit den Strukturen und Klängen aus unserer Zeit das Unerhörte, die Dissonanzen, der Farb- und Erfindungsreichtum der herrlichen Mendelssohn-Symphonien noch einmal ganz anders und neu erfahrbar werden. Und natürlich verstehen wir unsere Interpretation der Mendelssohn-Symphonien selbst als ein glühendes Plädoyer für diese genialisch durchglühten und inspirierten symphonischen Landschaften.“ Diesen aus dem CD-Booklet zitierten Wunsch erfüllt sich Jörg Widmann selbst ohne jegliche Abstriche: mit der Einspielung der Symphonien Nr. 1 c-Moll op. 11 und Nr. 4 A-Dur op. 90 Italienische sowie seines eigenen Konzertstücks für Trompete und kleines Orchester Ad absurdum (2002) – mit einem bestens aufgelegten Irish Chamber Orchestra und einem die Grenzen des Machbaren auslotenden Sergei Nakariakov.
Beginnen möchte ich mit „den Strukturen und Klängen aus unserer Zeit“, mit Widmanns Konzertstück, welches Virtuosität an sich und den Virtuosenkult mit seiner übersteigerten Selbstdarstellung auf die Spitze treibt, eben ad absurdum führt: eine irrwitzige Tour de force, die den Beteiligten eine überirdisch erscheinende Bravourtechnik abverlangt, allen voran Ausnahmetrompeter Sergei Nakariakov, dem Widmann dieses unvergleichliche Konzert auf den Leib geschrieben hat. Es scheint schier unmöglich, dass irgendjemand diesen fünfzehnminütigen rauschhaften Taumel bewältigen könnte. Das Stück beginnt bereits mit einer unglaublichen Rasanz, mit einem nicht mehr steigerungsfähigen Tempo, das bis zum Ende durchgehalten wird und beinahe jegliche Entwicklungsmöglichkeiten schon im Keim erstickt. Der gehetzte ununterbrochene Sechzehntel-Puls mit seinen „Sechzehntel-Salven, Collegno-Attacken der Streicher und durchgeknallten Pizzicati“ (Wolfgang Stähr in seinem Einführungstext) müsste eigentlich jeden bis zur Erschöpfung, den Solisten bis zur Atemlosigkeit treiben. Doch davon keine Spur. Dank Zirkular-Atmung gelingt Nakariakov sein unspielbar wirkender Part geradezu mühelos; und dem steht das Orchester vor allem mit Blick auf eine permanente gestalterische Hochspannung um nichts nach. Da bleibt nur Staunen.
Was dem Irish Chamber Orchestra in Widmanns Ad absurdum verwehrt blieb, das kann es in den Mendelssohn-Symphonien voll ausspielen: eine bestechende Klangkultur zwischen einfühlsamer Zartheit und scharfer Attacke, die in Verbindung mit einem vital schwingenden Ton überall für Klarheit sorgt; es blitzt und blinkt allerorten. Ausgehorchte Detailzeichnungen sowie eine minutiöse Feinarbeit in Sachen Dynamik und Artikulation lassen Mendelssohns kraftvollen und stürmisch drängenden symphonischen Erstling, die Symphonie Nr. 1 c-Moll op. 11 in einem überaus spannenden Licht erscheinen. Wie einem Jungbrunnen entstiegen, so wirkt auch die Italienische. Jörg Widmann setzt auf zugkräftige Virtuosität, kombiniert mit einer sprachmächtigen und immer zielgerichteten Lesart, deren Ausdruckstiefe mitverantwortlich ist für die bezwingende Innenspannung, die jedem Satz, ja sogar jeder Phrasenbildung innewohnt. Bei diesem faszinierend wendigen Drive kommt im zweiten und dritten Satz eine für meinen Geschmack doch nötige Eleganz und Leichtigkeit etwas zu kurz. Das trübt aber in keiner Weise das Gesamtbild. Tatsächlich klingt alles so, als hätte Widmann seinen Mendelssohn komplett zerlegt und mit einem untrüglichen Gespür für Farbe, Dynamik und Rhythmik neu zusammengesetzt. Dazu hätte es der Gegenüberstellung mit dem Ad-absurdum-Konzert gar nicht bedurft. Einen so transparenten, straffen und pittoresken Mendelssohn habe ich noch nicht gehört, weder bei Roger Norrington noch bei Thomas Hengelbrock. Bravo!
Christof Jetzschke [09.05.2016]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Felix Mendelssohn Bartholdy | ||
1 | Sinfonie Nr. 1 c-Moll op. 11 | 00:29:36 |
Jörg Widmann | ||
5 | Ad absurdum für Trompete und kleines Orchester (Konzertstück) | 00:15:17 |
Felix Mendelssohn Bartholdy | ||
6 | Sinfonie Nr. 4 A-Dur op. 90 (Italienische) | 00:27:18 |
Interpreten der Einspielung
- Sergej Nakariakov (Trompete)
- Irish Chamber Orchestra (Orchester)
- Jörg Widmann (Dirigent)