Maria Cecilia Bartoli
Decca 475 9077
1 CD • 80min • 2006
14.11.2007
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Auf eine Zeitreise der besonderen Art nimmt uns dieses neueste Recital der Mezzosopranistin Cecilia Bartoli mit. Diesmal ist kein verkannter oder großenteils unbekannter Komponist zu entdecken, sondern eine Sängerin des frühen 19. Jahrhunderts, um deren kurzes Leben (1808-1836) und glanzvolle Karriere sich Legenden ranken: Maria Malibran, die Tochter des ebenso legendären Tenors Manuel García.
Die Malibran war – anders als man von ihrem Repertoire schließen mag – keine Sopranistin, sondern wie Cecilia Bartoli ein Mezzosopran. Aber anders als heute, wo man dieses Stimmfach gerne Sängerinnen zuordnet, die weder Höhe noch Tiefe haben, verfügte sie über einen Stimmumfang von drei Oktaven. Und dass sie diese Möglichkeiten auch voll ausreizte, zeigt die vorliegende Sammlung von Arien und Paradestücken, die für sie komponiert oder umarrangiert wurden.
Der Hörer macht dabei Funde über Funde. Wer kennt schon die Konzertarie „Infelice“, die Felix Mendelssohn-Bartholdy 1834 in London auf einen alten Text von Metastasio der Malibran „auf die Stimme geschrieben“ hat? Oder die lustige Tirolienne mit Variationen und einem Jodel-Refrain, die Johann Nepomuk Hummel der Sängerin gewidmet hat? Nicht zu reden von den heute längst vergessenen Opern Pacinis, Persianis oder Rossis, in denen die Primadonna in ihrer Zeit Furore machte. Und nach dem Vorbild ihres komponierenden Vaters schrieb sie sich fallweise ihre Bravourstückchen auch selbst, wenn ihr das Angebot der Komponisten nicht zusagte. So im Falle von Donizettis „L’elisir d’amore“, wo ihr die finale Arie der Adina zu unattraktiv erschien.
Ein Zentrum ihres Bühnenrepertoires waren indes die Opern Vincenzo Bellinis und da staunt man doch, wie sie sich Partien des „Nachtigallen“-Faches wie Sonnambula und Elvira („I Puritani“) für ihre Mezzostimme zurechtlegte. Im ersten Falle mit aberwitzigen, halsbrecherischen Koloraturen in der Cabaletta „Ah! Non giunge!“, im zweiten mit einer transponierten Version, die noch mehr emotionale Tiefe hat als die Originalfassung.
Dass Maria Malibran keine kühle Virtuosin gewesen sein kann, sondern eine singuläre Ausdruckskünstlerin gewesen sein muß, macht diese Hommage ihrer Kollegin Cecilia Bartoli deutlich. Die nutzt das Repertoire der großen Vorgängerin nicht zu anmaßender Vereinnahmung und eitler Selbstdarstellung, sondern vertieft sich mit einer solchen Besessenheit in die selbstgestellte Aufgabe, dass sie ganz darin aufgeht und als Eigenperson verschwindet. Und siehe da: die Geisterbeschwörung gelingt perfekt. Genau so könnte die Malibran geklungen haben, denkt sich nicht nur der naive Hörer. Mit einer unglaublichen Leichtigkeit surft Bartoli durch die Register vom orgelnden Contralto bis zur zirpenden Koloratursoubrette, haucht mal elegisch vor sich hin und dreht dann wieder zu mächtigen Jubeltönen auf, doch immer mit einem deutlichen Bezug zum gesungenen Text und zur dramatischen Situation. Das bringt insbesondere in den Bellini-Opern ganz neue, auch von den größten Primadonnen noch nicht bekannte Farben und Nuancen in die Musik. Ob man ihre Norma mag, ist ganz sicher Geschmackssache, aber ihre Evokation der „Casta diva“ ist doch so ungewöhnlich intim, dass man gespannt zuhört. Cecilia Bartoli ist eine Malerin mit der Stimme, die versucht, ihre Palette ständig zu erweitern. Ihr dabei zuzuhören, ist eine faszinierende und einzigartige Erfahrung. Zumal auch das künstlerische Umfeld stimmt. Nicht nur der Dirigent Adam Fischer, auf den sie bestens eingespielt ist, auch die mit ihr konzertierenden Instrumentalsolisten erweisen sich als ideale Partner. Das üppige Booklet enthält nicht nur die gesungenen Texte in vier Sprachen, sondern auch wissenschaftlich fundierte und äußerst lesenswerte Kommentare.
Ekkehard Pluta [14.11.2007]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Giovanni Pacini | ||
1 | Se un mio desir ... Cedi al duol | 00:03:45 |
2 | Ira del ciel | 00:02:22 |
Giuseppe Persiani | ||
3 | Cari giorni | 00:04:09 |
Felix Mendelssohn Bartholdy | ||
4 | Konzertarie "Infelice! già dal mio sguardo" op. 94 für Sopran und Solovioline | 00:12:14 |
Manuel García | ||
5 | Yo que soy contrabandista | 00:02:23 |
Vincenzo Bellini | ||
6 | Ah! Non credea mirarti (aus: La Sonnambula) | 00:04:18 |
7 | Ah! non giunge uman pensiero (from: La Sonnambula) | 00:03:24 |
Johann Nepomuk Hummel | ||
8 | Air à la Tirolienne avec variations | 00:07:24 |
Manuel García | ||
9 | E non lo vedo ... Son Regina | 00:07:02 |
Maria Malibran | ||
10 | Rataplan (Chansonette, publiziert als Nr. 6 im "Album lyrique") | 00:02:26 |
Giovanni Pacini | ||
11 | Dopo tante e tante pene (für Rossinis "Tancredi") | 00:03:14 |
Vincenzo Bellini | ||
12 | O, rendetemi la speme (Arie der Elvira - aus: I Puritani) | 00:05:20 |
13 | Vien, diletto, è in ciel la luna (Arie der Elvira - aus: I Puritani) | 00:02:48 |
Jacques Fromental Halévy | ||
14 | Come dolce a me favelli | 00:04:37 |
Lauro Rossi | ||
15 | Scorrete, o lagrime | 00:02:33 |
Maria Malibran | ||
16 | Prendi, per me sei libero (für Donizettis "L'elisir d'amore") | 00:04:15 |
Vincenzo Bellini | ||
17 | Casta Diva (aus: Norma) | 00:06:48 |
Interpreten der Einspielung
- Cecilia Bartoli (Mezzosopran)
- Luca Pisaroni (Bassbariton)
- Celso Albelo (Tenor)
- Maxim Vengerov (Violine)
- Orchestra La Scintilla (Orchester)
- International Chamber Soloists (Chor)
- Adam Fischer (Dirigent)