Naxos 8.550533-34
2 CD • 2h 01min • 2005
16.05.2005
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Ginge es ausschließlich nach dem Konzept der Interpretation, mit dem sich Antoni Wit diesem unmöglichsten aller unmöglichen Werke der Musikgeschichte genähert hat, so stände die Höchstbewertung 10 völlig außer Frage. Daß diese am Ende nicht gegeben werden kann, liegt nicht an der dirigentischen Leistung, sondern an der recht disparaten Zusammenstellung des Solistenoktetts: Eine zweite Sopranistin, deren (irdisch schöne) Stimme zu schwer ist, um als Büßerin glaubwürdig dem Bilde Rosettis oder Beardsleys nachzustreben; eine erste Altistin, die als Mulier Samaritana zwar die gehörige Größe und Tiefe mitbringt, in den unteren Regionen aber doch merklich ins Gurgeln gerät; daneben die Maria Aegyptica mit einer etwas rauhen Oberfläche und ein Pater Marianus, dessen Wechsel ins höchste Register mit einer deutlichen Verengung einhergeht; und schließlich ein Pater Profundis, der nicht eben ein Muster an stimmlichen Reserven zu nennen ist – das sind, kurz gefaßt, die „Abzüglichkeiten” der Produktion, die sich allerdings meines Erachtens auf nicht mehr als einen Minuspunkt beziffern lassen, weil das Gesamte eine mehr als bewundernswerte Leistung darstellt, die entweder a.) bis in jedes Detail durchdacht und durchgeformt oder b.) das Ergebnis eines instinktiven Begreifens ist, wie man’s ähnlich vielleicht von Klaus Tennstedt kannte.
Bei Antoni Wit tippe ich allerdings ganz klar auf a), denn seine musikalische Umsetzung ist derart überlegt und – wo immer möglich – so transparent organisiert, daß spontane Rausch-Erlebnisse zugunsten eines enorm plastischen Formbewußtseins weit in den Hintergrund treten. Ganz eindeutig ist diese Achte in erster Linie eine Sinfonie mit einem zwar hypertrophen, zugleich aber eindeutig klassisch-romantischen Kopfsatz, einem Adagio, einem Scherzo und endlich auch, obwohl ja fast ständig gesungen wird, mit einem Schlußchor. Und so legt Wit eine Gangart vor, die dieses Ziel fest im Blick behält, ohne auf den verführerischen Nebenpfaden in emotionalen Morast zu geraten. Mehr noch: Wer das Werk nicht zum ersten Male hört und daher weiß, „was kommen wird”, der wird in seltener, unerhört zufriedenstellender Stringenz die Verstrebung der Motive und Themen vor sich sehen, die den Kolossalbau stützen. Auf diese Weise fallen entlarvende Schlaglichter auf die plakativen Schachzüge, mit denen Mahler die Architektur verschraubt hat; es zeigt sich aber auch ganz offen die Fragwürdigkeit der Begeisterung und die wahre Befindlichkeit des Komponisten, der sich hinter hymnischem Jubel verschanzt, weil er vergeblich darauf hofft, daß die euphorische Massierung seiner Kräfte auch die ganz alltäglichen, sprich vor allem: privatesten Probleme hinwegfegen könnte.
Sie konnte es nicht, und so hören wir am Ende des ersten Teils eine wunderliche Leere hinter der Fassade, die uns für gewöhnlich aus dem Sessel reißt: Schließlich ist ja auch vom erhofften Kommen und nicht von der erfolgten Ankunft des creator spiritus die Rede, und der läßt sich bekanntlich nicht durch quantitative Superlative aus der Reserve locken.
Folgerichtig klingt das Adagio im Anschluß an die scheinbare Ekstase wie das Eintauchen in verzweifelte Schönheit oder auch „schöne Verzweiflung”, die Antoni Wit nun mit außergewöhnlicher Eloquenz vortragen und ausleben läßt – wieder, ohne in die Breite, in die unbefestigten Randzonen dieser Musik zu geraten. Hier, wie vorher schon beim infirma nostri corporis und ähnlich delikaten Momenten, kann man nur staunen über die beeindruckende Verteilung der instrumentalen Mittel, ihre Anordnung in dem großen, weiten Klangraum, der nur dann akut einsturzgefährdet ist (die Technik wird geächzt haben!), wenn alles tönt, was im Studio tönen kann. Äußerst dezent „schwankt die Waldung heran”, aus der der ewige Wonnebrand des Pater Ecstaticus – er ist mit Abstand der fesselndste der Solisten und singt zudem ein vorbildliches Deutsch – wirklich glühend emporflammt; bezaubernd wird dem Chor der Büßerinnen der Boden bereitet, explosiv (trotz der eingangs angedeuteten stimmlichen Probleme) des Pater Marianus jähes, fürwahr zum „Aufblicken” angetanes Solo, und endlich erweist sich alles als die unablässige Suche nach der großen Hoffnung zweiter Teil: daß etwas Wahres an dem sei, was Goethe seinem mystischen Chor in den Mund dichtete ...
Am Ende schleudern Soli, Chöre und Orgel riesenhafte Lavabrocken aus dem kochenden Orchestergrund heraus, und wieder einmal scheint sich für Augenblicke die Sehnsucht des kleinen Mannes, der dieses Werk 1910 uraufgeführt hat, zu erfüllen. Beinahe jedenfalls: In der Ekstase bleibt trotz all ihrer überwältigenden Wucht ein Fragezeichen. Das ist die letzte Konsequenz einer konsequenten Einspielung.
Rasmus van Rijn [16.05.2005]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Gustav Mahler | ||
1 | Sinfonie Nr. 8 Es-Dur (Sinfonie der Tausend) |
Interpreten der Einspielung
- Barbara Kubiak (Sopran)
- Izabella Klosinska (Sopran)
- Marta Boberska (Sopran)
- Jadwiga Rappé (Alt)
- Ewa Marciniec (Alt)
- Timothy Bentch (Tenor)
- Wojtek Drabowicz (Bariton)
- Piotr Nowacki (Bass)
- Polish Radio Choir Krakow (Chor)
- Warsaw Boys Choir (Chor)
- Cardinal Stefan Wyszynski University Choir (Chor)
- Warsaw National Philharmonic Choir (Chor)
- Warsaw National Philharmonic Orchestra (Orchester)
- Antoni Wit (Dirigent)