Naxos 8.557460-62
3 CD • 2h 58min • 2005, 2004
21.12.2005
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Viel Konkurrenz hat diese Produktion nicht zu fürchten. Der deutsche Katalog nennt derzeit als einzige Gesamtaufnahme die zwanzig Jahre alte EMI-Veröffentlichung mit dem Royal Philharmonic Orchestra unter Enrique Bátiz, und für die sprechen beim ersten Hinschauen die prominentere Solistin der Nummer 5, das renommiertere Orchester sowie die deutlich flotteren Spielzeiten, mit denen man sich seinerzeit zusätzlichen Raum für das Gitarrenkonzert erspielte. Wir können jedoch diese vermeintlichen Pluspunkte, insbesondere das Thema der Aufführungsdauern, getrost ignorieren: Obwohl man in Nashville fast durchweg erheblich langsamer ist, wirken die Tempi, die Kenneth Schermerhorn anschlagen ließ, immer „richtig”. Alles ist gründlich ausgehorcht und ausgelotet, fließt so selbstverständlich, daß die Effekte – wie sich’s gehört – von der Musik herkommen und nicht den interpretativen Launen des Dirigenten entspringen. Überall dominiert der weiträumige, schön empfundene und gut geatmete Bogen, der stets bis zum Bersten gespannt ist, aber nur ein einziges Mal zu reißen droht – und zwar im Kopfsatz der Bachianas Nr. 3 für Klavier und Orchester, der auf halber Wegstrecke in seinen kostbaren Klängen steckenbleiben will.
Ansonsten aber ist, ich sagte es bereits, nichts auszusetzen an dieser Einspielung, die sich auch im Dauertest, will sagen: beim wiederholten Durchhören aller Neune als tragfähig erweist. Es gibt praktisch keinen Satz, der nicht auf ganz eigene Art zu fesseln vermöchte, ohne daß er unnötig interessant „gemacht” würde. Der natürlich wirkende Puls entzerrt beispielsweise die dichten, komplexen Schichten der Nummer 8, so daß die viel größere Tiefenschärfe das selten gespielte Stück zum wahren Vergnügen macht – wie überhaupt sämtliche Fugensätze von der Überlegtheit des Musizierens profitieren, da die für Villa-Lobos so typische Mischung aus Strawinsky-artigem Kalkül und ganz und gar unkalkulierbarem Feuer, die „glühende Sachlichkeit” gewissermaßen seiner Musik, immer wieder famos getroffen ist. Dennoch wird man nirgends auf die gehörige Sinnenfreude verzichten müssen: Die Aria der Nummer 5 klingt wie das Boudoir des Dr. Phibes; und das Saxophonsolo vom Anfang der zweiten Bachianas brasileiras ist gar für Zuhörer unter 16 Jahren nicht geeignet. Die können ja statt dessen mit der Eisenbahn spielen, die am Ende der Bachianas Nr. 4 so ungeheuer „echt” durch eine Henri Rousseau’sche Urwaldlandschaft rappelt ...
Als Kenneth Schermerhorn am 18. April dieses Jahres verstarb, war das erste Stück des Zyklus noch nicht aufgenommen. Andrew Mogrelia übernahm es einige Wochen nach dem Tode seines Kollegen, das dafür benötigte Cello-Orchester zu dirigieren, und seine Interpretation fügt sich nahtlos in die Gesamtkonzeption dieser Veröffentlichung ein, in der sogar das Duo für Flöte und Fagott (Bachianas brasileiras Nr. 6) nicht wie Schraubensalat mit Stacheldrahtsoße klingt, sondern eine angenehme Wärme entfaltet.
Rasmus van Rijn [21.12.2005]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Heitor Villa-Lobos | ||
1 | Bachianas Brasileiras Nr. 1 für 8 Violoncelli | |
2 | Bachianas Brasileiras Nr. 2 für Violoncello-Ensemble (1930) | |
3 | Bachianas Brasileiras Nr. 3 für Klavier und Orchester (1938) | |
4 | Bachianas Brasileiras Nr. 4 | |
5 | Bachianas Brasileiras Nr. 5 für Stimme und 8 Violoncelli (1938/1945) | |
6 | Bachianas Brasileiras Nr. 6 | |
7 | Bachianas Brasileiras Nr. 7 für Orchester | |
8 | Bachianas Brasileiras Nr. 8 | |
9 | Bachianas Brasileiras Nr. 9 (pour orchestre de voix) |
Interpreten der Einspielung
- Rosana Lamosa (Sopran)
- José Feghali (Klavier)
- Nashville Symphony Orchestra (Orchester)
- Kenneth Schermerhorn (Dirigent)
- Andrew Mogrelia (Dirigent)