hänssler CLASSIC 98.221
2 CD • 1h 46min • 2004
04.08.2005
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Wunderknaben strahlen auf die profane Welt immer etwas Unheimliches und Befremdliches aus. Felix Mendelssohn-Bartholdy war dreizehn bis vierzehn Jahre alt, als er die Oper Der Onkel aus Boston komponierte. Man steht angesichts der früh entwickelten Perfektion des Orchestersatzes, der Stimmführung voll Bangigkeit und Staunen da und fragt sich vergeblich, wie so etwas Vollkommenes von einem Halbwüchsigen geschaffen werden konnte. Man staunt auch über die Tatsache, daß dieses umfangreiche, in jeder Hinsicht schwierige Werk (entstanden 1822/23) in privatem Rahmen, also großteils von Amateurmusikern, aufgeführt werden konnte. Den Schritt in die Bühnenpraxis hat dieses Paradestück einer „Hausoper“ nicht vollziehen können, dieser Vorgang war auch gar nicht angestrebt. Dennoch verwundert es, daß bei der weit verbreiteten musikalischen Grabungsarbeit unserer Tage gerade dieses kostbare Stück so lang unbeachtet geblieben ist. Die Edition bei Hänssler classic trägt somit den stolzen Titel „Worldpremiere“.
Es ist ein großes Verdienst Helmuth Rillings, daß er sich für das so gut wie unbekannte Werk mit allem Eifer eingesetzt hat. Die Bemühungen haben sich gelohnt, denn man kann hier mit gutem Gewissen von einer Entdeckung reden. Allein die groß dimensionierte Ouvertüre (fast acht Minuten) ist ein geniales, erfindungsreiches Musikstück, bester Mendelssohn. Auch die Ballettmusik und viele andere Nummern der großen Partitur sind von genialem Wurf. Das Problem des Werks ist die banale Handlung (verfaßt von einem Freund der Familie Mendelssohn, Johann Ludwig Casper), eine Verwechslungskomödie im damals gängigen Kotzebue-Stil. Das Konventionelle des Textes hat auch auf die Musik mancher Arien und Ensembles abgefärbt, daher stehen nicht alle Nummern auf gleichem Niveau. Aber es wäre vermessen, in diesem Fall noch mehr zu verlangen als vorhanden ist.
Helmut Rillings Engagement, seine Begeisterung belebt die Wiedergabe von Anfang bis Ende. Mit seinen bewährten Helfern, der Gächinger Kantorei und dem Bach-Collegium Stuttgart ist eine sehr saubere, belebte Aufführung zustande gekommen, die in ihrer halb-szenischen Darstellung auch via TV zu sehen war. Das Sängerensemble ist mit größtem Eifer bei der Sache und wird vom Publikum auch reichlich beklatscht, besondere Hörgenüsse werden allerdings nicht geboten. Einzig Lothar Odinius mit seiner gepflegten Tenorstimme steht in gutem Sinne außerhalb der Reihe. Aber man darf nicht außer Acht lassen: Mendelssohns Oper war für Amateursänger geschrieben, so besehen wird hier sogar ein passender Zustand erreicht. Da die Prosastellen der Oper nicht vollständig erhalten sind, wurden sie in dieser Wiedergabe zur Gänze weggelassen. Es wird sie wohl niemand ernstlich vermissen.
Clemens Höslinger [04.08.2005]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Felix Mendelssohn Bartholdy | ||
1 | Der Onkel aus Boston oder Die beiden Neffen (Komische Oper in drei Akten) |
Interpreten der Einspielung
- Kate Royal (Fanny - Sopran)
- Carsten Süß (Carl - Tenor)
- Julia Bauer (Lisette - Sopran)
- Lothar Odinius (Theodor - Tenor)
- Bernd Valentin (Tauber - Bariton)
- István Kovács (Baron von Felsig - Baß)
- Andreas Daum (von Burg - Baß)
- Gächinger Kantorei Stuttgart (Chor)
- Bach-Collegium Stuttgart (Orchester)
- Helmuth Rilling (Dirigent)