Vivaldi
Janine Jansen
Decca 475 6907
1 CD • 38min • 2004
27.06.2005
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Nun hat sich auch Janine Jansen – zweifellos von Management und Plattenfirma „bestens“ beraten – dazu entschieden, eine Einspielung von Vivaldis Kassenschlager vorzulegen, die ebenso halbseiden geriet wie die acht Porträtaufnahmen der Künstlerin. In antiken Gemäuern, barocken Sesseln und historisch anmutenden, freizügigen Kleidern zeigt sich die Geigerin ungeniert im Weichzeichner-Look der Siebziger Jahre, auch wenn sie sich insgesamt durchaus züchtig gibt – anders als seinerzeit Vanessa Mae mit ihrem berühmten „Wet-T-Shirt-Look“.
Janine Jansen selbst kommt im Beiheft mit einem einseitigen Text zu Wort, in dem man wenig über das Stück, jedoch ungewollt viel über die hier bedienten Klischees erfährt. Der Text liest sich wie eine Abwehrreaktion auf die historisch informierte Aufführungspraxis, die insbesondere all jene Virtuosen als Bedrohung empfinden müssen, die ihren eigenen Unwillen zum Studium aufführungspraktischer Voraussetzungen stets entschuldigen mit der Berufung auf das eigene Künstlertum, auf den persönlichen Geschmack und auf das vermeintliche Recht, Musik lediglich als Medium für den Ausdruck der eigenen Empfindung zu betrachten.
Die hier als Novum anonncierte solistische Besetzung des begleitenden Streichquintetts mag zwar in unserer Zeit ausgefallen wirken – zumal Kammerorchester aller Art mit den Vier Jahreszeiten weltweit die Säle füllen. Diese reduzierte Begleitung war jedoch selbst noch zu Mozarts Zeiten nahezu die Regel, wie Musikwissenschaftler anhand von Archivuntersuchungen erhaltener Aufführungsmaterialien nachweisen konnten. Die Zeiten von Vivaldi-Bearbeitungen für Orchester sind schon seit Leonard Bernstein vorbei, der 1964 seine New Yorker Philharmoniker verblüffte, als er bei der ersten Aufnahmesitzung die meisten Streicher nach Hause schickte und sogar den Continuo-Part selbst am Cembalo improvisierte (Sony SMK 63161). CD-Einspielungen von Barock-Konzerten in solistischer Besetzung der Begleitung gibt es nunmehr auch schon seit 30 Jahren auf dem Markt...
Die ganze Aufmachung dieses Produkts sagt eigentlich auch schon das meiste über die hier vorgelegte Interpretation der Vier Jahreszeiten: Der allgemeine Klangcharakter entspricht dem Talmi-Barock der Coverphoto-Ausstattung. Dynamik, Phrasierung und Artikulation sind zwar sehr stark ausgearbeitet und die kleine Besetzung sorgt für Transparenz. Doch das abrupte Nebeneinander von extrem breitem und extrem kurzen Spiel wirkt ausgesprochen manieriert – eine gekünstelte Art der Klangrede, die oft wie eine Parodie wirkt. Kennt man den ganzen Reichtum der Ornamente, Verzierungen und Spielweisen bei Streichinstrumenten, wie er sich aus zeitgenössischen Traktaten (und auch etlichen historisch informierten Einspielungen) erschließt, ist man geradezu bestürzt über die in dieser Einspielung zum Ausdruck kommende Beschränktheit des Repertoires an „improvisatorischer Freiheit“ (vgl. etwa mit der 1983 vom gleichen Label Decca vorgelegten, damals revolutionär wirkenden Gesamteinspielung mit der Academy of Ancient Music unter Christopher Hogwood, MCPS 417 515 2). Dies gilt insbesondere für die führenden Streicherstimmen, weniger für die kundig agierende, mit Cello, Baß, Theorbe und alternierend Cembalo und Orgel farbig besetzte Continuo-Gruppe. Hinzu kommt noch, das natürlich mit Vibrato gespielt wird, wo immer möglich (auch wenn es sich nicht um schweren romantischen Zuckerguß, sondern allenfalls eine Glasur handelt, die gleichwohl klebrig bleibt).
Janine Jansen tat letztlich genau das, was sie im Beiheft auch ankündigte: „Am Ende ist es nur eine Sache des Geschmacks. Ich versuche, diese wunderbar lohnende Musik auf meine Weise zu spielen.“ Diese CD wird sicherlich ein breites Publikum finden – ungeachtet der kurzen Spielzeit von 38 Minuten –, denn das unverwüstliche Stück kommt einfach immer gut an. Ich persönlich werde mit der Einspielung beim besten Willen nicht warm. Zu frisch habe ich noch die begeisternde Bestürzung in Erinnerung, die das erste Hören der fantastischen Einspielungen von Simon Standage (English Concert, Trevor Pinnock DGG 474 616 2, 1981), Andrew Manze (Amsterdam Baroque, Ton Koopman, Erato/Warner 4509-94811, 1993) und jüngst Giuliano Carmignola (Venice Baroque Orchestra, Andrea Marcon, Sony 87733, 2001) in mir auslöste ...
Dr. Benjamin G. Cohrs [27.06.2005]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Antonio Vivaldi | ||
1 | Le quattro stagioni op. 8 |
Interpreten der Einspielung
- Janine Jansen (Violine)
- Candida Thompson (Violine)
- Henk Rubingh (Violine)
- Julian Rachlin (Viola)
- Maarten Jansen (Violoncello)
- Stacey Watton (Kontrabaß)
- Elizabeth Kenny (Theorbe)
- Jan Jansen (Cembalo)