Naxos 8.557446
1 CD • 62min • 2003
09.07.2004
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Zunächst war es künstlerische Neugier, sogar schöpferische Lust, die Dmitri Schostakowitsch verlockten, Filmmusik zu schreiben. Schliesslich hatte er in ganz frühen Jahren sein Geld als Pianist im (Stummfilm-)Kino verdient. Später war es für sowjetische Komponisten gewissermassen Pflichtaufgabe, Musik für die wichtigste aller Künste (wie Lenin behauptet hatte) zu liefern. Die rund drei Dutzend Filmpartituren Schostakowitschs, alle korrekt mit Opusnummern garniert, erweisen sich somit kaum zufällig als Mischung zwischen offizieller Pflichterfüllung und individueller Kreativität. Am häufigsten und längsten, rund vierzig Jahre, hat der Komponist mit dem Regisseur Grigori Kosinzew zusammengearbeitet. Am Ende ihrer Kooperation standen zwei Shakespeare-Adaptionen: Hamlet (1964) und König Lear (1970). Beide Filme drehen sich um – echte oder falsche – wahnsinnige Menschen, beide Male wird das Einzelschicksal zum sozialen Fall erhöht: die Zerstörung des Individuums. Das geschieht, zumal in Hamlet, mit düsterem und oft schwer lastendem Pathos. Davon ist auch in der Musik einiges zu spüren, obwohl Schostakowitsch feiner arbeitet. Ein Beispiel: das zirpende Cembalo, das für die Ophelia-Sphäre steht.
Die Angelegenheit ist insofern verzwickt, als Schostakowitsch zweimal Hamlet-Musiken verfertigt hat. Bereits 1932 hatte er die Begleitung für eine Schauspielaufführung – die Tragödie als heitere Farce – verfasst. Von den tönenden Frechheiten des 26jährigen ist drei Jahrzehnte später nicht allzu viel übrig geblieben. Erstmals ist jetzt die vollständige Musik zu Kosinzews Film zu hören; sie dauert mehr als eine Stunde, also rund doppelt so lang wie die von Schostakowitschs Freund Lew Atowmian besorgte Suite. Zugegeben, die eigentlichen Treffer – auch ein Schostakowitsch war bei derartigen Unternehmen bisweilen mehr Akkordarbeiter als inspiriertes Genie – finden sich in den acht Sätzen dieser Suite. Deutlicher tritt im kompletten Gefüge freilich die entwickelte Leitmotivtechnik mit charakteristischen Themen für die wichtigsten Personen hervor – und manchmal auch das bewusste Unterlaufen von Erwartungen. In einem Fall, beim Ball mit bemerkenswert süffiger Musik, sind sogar Passagen zu hören, die im Film dem Schnitt zum Opfer gefallen sind.
Das Russische Philharmonische Orchester, einst genau für solche Aufgaben wie die Einspielung von Filmmusik ins Leben gerufen, leistet unter seinem neuen Chef Dmitry Yablonsky – der als Cellist einen guten Namen besitzt – ansprechende Arbeit. Zwar ist man mehr aufs Pauschale als auf Finessen erpicht, aber da liegen sie in diesem besonderen Fall nicht einmal daneben.
Mario Gerteis † [09.07.2004]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Dimitri Schostakowitsch | ||
1 | Hamlet op. 116 (vollständige Filmmusik) |
Interpreten der Einspielung
- Russian Philharmonic Orchestra (Orchester)
- Dmitry Yablonsky (Dirigent)