Vivaldi – Vespri per l'Assunzione di Maria Vergine

Opus 111 OP30383
2 CD • 2h 34min • 2003
19.03.2004
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
„Ich möchte nicht die Vesper versäumen, die heute in der Basilika des Apostelfürsten gesungen wird.“ – „Ich bedauere, nicht dabei sein zu können, wo ich doch ein großer Musikliebhaber bin, aber ich muß in eine schöne Komödie gehen.“ – „Da ist meine Vesper doch das erhabenere Spektakel, und ich muß keinen Eintritt bezahlen!“
So beschreibt der Vaerfasser des Buches L’ateista convinto im Jahr 1655 in einem Dialog etwas drastisch, aber zutreffend die Rolle der geistlichen Musik im barocken Italien. Religion und Ritus waren öffentliche Angelegenheiten, das kirchliche Leben spielte sich gewissermaßen unter freiem Himmel ab, und sei es auch nur der als Fresco gemalte offene Himmel mit Gott und seinen Heiligen an der Decke des Kirchenschiffs. Wie auf einer Theaterbühne erscheint auf diesen Gemälden die ganze Bandbreite religiöser Emotionen, in deren Betrachtung sich die einzelnen Gläubigen verlieren mögen. Auf ähnliche Weise bietet auch die geistliche Musik einen großen Reichtum an Affekten von der innigen Versenkung bis zum prachtvollen Lobpreis an, aus dem sich jeder Zuhörer seine Lieblingsstücke auswählen kann, um ihnen mit besonderer Andacht oder Begeisterung zu lauschen.
Mit ihrer Rekonstruktion einer großartigen Vesper zu Mariä Himmelfahrt, wie sie zu Vivaldis Zeiten hätte erklingen können, haben Rinaldo Alessandrini und sein Kollege, der Musikwissenschaftler Frédéric Delaméa, einer Anzahl von populären Kompositionen aus der Feder Vivaldis einen Rahmen gegeben, der bekannte Werke wie das Dixit Dominus, Laudate Pueri, Nisi Dominus, das Magnificat und das Salve Regina mit konzertanter Instrumentalmusik in einem großen Klangfresco vereint, das den Zuhörern dieses „Spektakels“ einen farbenprächtigen musikalischen Himmel öffnet.
Doch hat diese „Rekonstruktion“ eines Ereignisses, das nie stattgefunden hat, auch etwas Fragwürdiges: Wird hier nicht nur ein Pasticcio berühmter Stücke präsentiert, die durch Verbindungsstücke zusammengefügt werden, die teilweise nicht aus Vivaldis Feder stammen, sondern von Rinaldo Alessandrini mit viel Kunstverstand, das sei durchaus zugegeben, im Stil Antonio Vivaldis hinzukomponiert wurden? Verteidiger eines solchen Vorgehens mögen argumentieren, daß die Stücke durch die Einordnung in ein nachvollziehbares Ereignis in Zusammenhängen erlebt werden können, die Situationen ihrer Entstehungszeit entsprechen. Die Entscheidung über die Berechtigung einer solchen künstlichen Neuschöpfung eines barocken Großwerks liegt bei jedem Einzelnen. In jedem Fall ist die ehrliche Berichterstattung über die Vorgehensweise bei der Erstellung dieser Vesper zu Mariä Himmelfahrt im Beiheft zu loben.
Die Namen der Interpreten, die Rinaldo Alessandrini für diese Einspielung verpflichtet hat, sind bereits aus anderen Veröffentlichungen der Vivaldi-Edition von Opus 111 bekannt, zu Recht gelten sie inzwischen als Spezialisten für die Musik des prete rosso. Besonders die Altistin Sara Mingardo übt eine unwiderstehliche Faszination aus. Diese herausragende Einzelleistung verdeckt allerdings in keiner Weise die hervorragenden Ensembleleistungen der Vokalsolisten und die makellose Übereinstimmung der stimmlichen Parts mit dem Orchester.
Bei allem denkbaren Einspruch gegen die musikwissenschaftliche Methode ihrer Entstehung bieten diese Vespri per l’Assunzione di Maria Vergine zwei Stunden ungetrübten Hörgenusses, der durchaus ein „erhabenes Spektakel“ im Sinne des eingangs zitierten Dialogs darstellt.
Detmar Huchting [19.03.2004]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Antonio Vivaldi | ||
1 | Concerto F-Dur RV 584 | |
2 | Domine ad adiuvandum me festina G-Dur RV 593 | |
3 | Ascende laeta RV 635 | |
4 | Dixit Dominus D-Dur RV 594 | |
5 | Laudate pueri Dominum c-Moll RV 600 | |
6 | Laetatus sum: In odorem unguentorum RV 607 | |
7 | Nisi Dominus g-Moll RV 608 | |
8 | Lauda Jerusalem: Pulchra es et decora RV 147 | |
9 | Magnificat RV 610 | |
10 | Concerto C-Dur RV 581 für Violine und Streicher (Per la SS. Assunzione di Maria Vergine) | |
11 | Salve Regina RV 616 |
Interpreten der Einspielung
- Gemma Bertagnolli (Sopran)
- Roberta Invernizzi (Sopran)
- Anna Simboli (Sopran)
- Sara Mingardo (Alt)
- Gianluca Ferrarini (Tenor)
- Matteo Bellotto (Bariton)
- Concerto Italiano (Ensemble)
- Rinaldo Alessandrini (Leitung)