Naxos 8.554745-46
2 CD • 2h 22min • 1999
01.06.2001
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Man sollte vorsichtig sein mit lobenden Superlativen, aber in diesem speziellen Fall haben wir es mit einer definitiven, für die nächsten Jahre oder Jahrzehnte wegweisenden, die Konkurrenz fruchtbar irritierenden Modellinterpretation zu tun. Konstantin Scherbakov ist es mit diesem intellektuell anspruchsvollen, in vielen Phasen auch pianistisch schweißtreibenden, vor allem aber geomusikalisch und musikphilologisch abenteuerlichen Projekt gelungen, sowohl in den Ruhezonen von Schostakowitschs zeitloser Unerschütterlichkeit als auch in den grimassierenden, karrikierenden, des öfteren mehr als unterschwellig gesellschaftskritischen Barock-Maskeraden eine Form der musikalischen Darlegung auszuspähen, die im Unterschied zu den vorliegenden Gesamtaufnahmen geradezu testamentarisch anmutet. Ich rede nicht von Sviatoslav Richters Auswahl-Darstellung (u.a. auf Philips) und auch nicht von Emil Gilels allzu spärlichen Dokumentationen, aber im vergleichenden Hinblick etwa auf die gutmütige, in vielen Fragen der Text- und Tempoerörterung sehr freizügige Ashkenazy-Version muß man Scherbakov dankbar sein, wenn er einerseits genau das Geschriebene analysiert (und respektiert), andererseits in der Lage ist, etwa den leisen, verhärmten Präludien-Klagen genau jene Helligkeit zu verleihen, die in einem verordnet atheistischen Staatsgebilde a priori schon ein kriminelles Vergehen bedeutete und zumindest mit einer Vorladung in die unheiligen Halles des KGB bestraft werden konnte. Scherbakov macht Ernst mit den vordergründig lustigen, krampfhaft humorvollen Präludien und Fugen - und wie im Gegenzug verleiht er den betont akademischen Polyphonien einen Hauch von bewegter Gelassenheit, als ob Schostakowitsch unter Tränen durch die geniale, hochbürgerliche Mimik des alten Bach hindurchlächeln würde. Dies und manches mehr vermag ich in der oft gerühmten, sich in mancher Weise authentischen Nikolajewa-Deutung nicht zu erkennen, schon gar nicht in Roger Woodwords fleißiger, anstelliger Gesamtaufnahme, die freilich im Westen zu einem Zeitpunkt entstand, als die meisten Pianisten nicht im Traum daran dachten, sich an diesen Werkkomplex zu wagen. Vielleicht muß ein Musiker ein wenig verrückt sein, zugleich ein wenig auch Eremit - also eine gelungene Mischung aus Monomane und Heilsbringer -, um diese Musik in ihrer Kargheit, in ihrer Buntheit und in ihrer weltoffenen Weltverweigerung so einleuchtend, ja bewegend zu spielen wie Scherbakov das tut.
Peter Cossé † [01.06.2001]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Dimitri Schostakowitsch | ||
1 | 24 Präludien und Fugen op. 87 |
Interpreten der Einspielung
- Konstantin Scherbakov (Klavier)