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Besprechung CD/SACD stereo/surround

Eduard Tubin

Chamber Music

MDG 903 2370-6

1 CD/SACD stereo/surround • 62min • 2025

13.09.2025

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 8
Klangqualität:
Klangqualität: 8
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 8

Seit der „Singenden Revolution“ (1987–1991), dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ und der damit erfolgten Unabhängigkeit Estlands, Lettlands und Litauens von der Sowjetunion ist die baltische Musik auch in Zentraleuropa unaufhaltsam auf dem Vormarsch. Komponistinnen und Komponisten wie etwa Pēteris Vasks, Arvo Pärt, Ēriks Ešenvalds, Erkki-Sven Tüür oder Raminta Šerkšnytė sind heute – vor allem in der Chormusik-Szene – längst kein „Geheimtipp“ mehr, sondern fest etablierte „Größen“. Weitaus weniger im Fokus der zentraleuropäischen Aufmerksamkeit stehen leider immer noch die baltischen Komponisten, der „Schostakowitsch-Zeit“, die ihre Kunst entweder unter der Knute der Sowjets oder im Exil ausüben mussten und den Fall der Mauer(n) nicht mehr oder, falls doch, nur noch gegen Ende ihres Lebens erleben durften.

Zu ihnen zählt auch der Este Eduard Tubin, der 1905 in dem kleinen estnischen Dorf Torila zur Welt kam, 1944 vor den Sowjets ins Exil nach Schweden floh und dort in Stockholm 1982 starb. Wenn überhaupt, ist Tubin mit seinen insgesamt zehn Sinfonien (die Elfte aus seinem Todesjahr blieb unvollendet) hierzulande nur als Sinfoniker bekannt, von denen es zwei veritable Gesamteinspielungen gibt. Die eine, ältere, mit dem Dirigenten Neeme Järvi (BIS), die andere, jüngere, unter der Leitung von Arvo Vollmer (Alba). Die vorliegende SACD mit Kammermusik zeigt den Komponisten von einer anderen Seite und präsentiert viele der hier zu hörenden Werke als Weltersteinspielungen.

Die Bratsche im Fokus

Die aus Estland stammende Pianistin Kärt Ruubel, Zwillingsschwester der hier ebenfalls agierenden Geigerin Triin Ruubel, schreibt im Booklet: „Mit diesem Album wollten wir zeigen, wie sich [Tubins] Tonsprache entwickelte, und gleichzeitig einen Teil seine Schaffens beleuchten, der bislang eher im Schatten stand: Werke, die einen helleren, verspielteren, manchmal fast heiteren Tubin zeigen. Diese Klangwelt wurde zum Ausgangspunkt unserer Inspiration.“ Im Fokus der Aufnahme steht jedoch ganz klar Tubins 1965 im schwedischen Exil entstandene Sonate für Viola und Klavier, die alles andere als hell, verspielt und heiter, sondern vielmehr „tiefgründig, authentisch und voll innerer Stärke“ ist, um es mit Kärt Ruubel zu sagen. Seit ihrem Studium in Rostock habe sie diese Bratschensonate nicht mehr losgelassen, so Ruubel weiter. „Als ich [den aus Südafrika stammenden Dirigenten und Bratschisten] Xandi van Dijk kennenlernte […], war mir sofort klar: Wir müssen diese Sonate zusammen aufnehmen. 2025 – Tubins 120. Geburtstag – erschien uns dafür als der perfekte Zeitpunkt.“ Tatsächlich haben die Interpreten dem Jubilar (und vor allem den Freunden des vergleichsweise raren Genres Viola-Kammermusik) ein großartiges Geschenk gemacht. Ob man dieses auf eine faszinierende Art spröde Werk mit seiner eher unkonventionellen Satzabfolge (das „Largo“ erklingt nicht in der Mitte, sondern am Schluss der Sonate) neben die Bratschenwerke der von Ruubel genannten Komponisten Robert Schumann, Charles Villiers Stanford und Rebecca Clarke stellen darf, müssen die Zuhörenden selbst entscheiden.

Bezwingende Lesart

Tatsache aber ist, dass Ruubel und van Dijk eine bezwingende Lesart dieser Sonate gelingt, wobei ich zugeben muss, dass ich mir bei van Dijk einen dunkleren, erdigeren und wärmeren Bratschenton gewünscht hätte, der so typisch ist für dieses wundervolle Instrument. Noch mehr gilt das für die Sonate für Altsaxophon und Klavier von 1951, die hier in Tubins eigener Bearbeitung für Viola und Klavier erklingt. Da dieses Werk – vom dem vor allem das zentrale Adagio in Erinnerung bleibt, in welchem Tubin ein Troubadourlied aus dem 13. Jahrhundert verarbeitet – einen helleren und verspielteren Charakter hat als die schwermütige Sonate von 1965, kann ich mit van Dijks hier sehr hellem Bratschenton aber ganz gut „leben“. Was mich weitaus mehr stört, ist der (für meine Ohren) übertrieben in Szene gesetzte Stereo-Effekt der Bratschenwerke, der vor allem unter dem Kopfhörer „zu Buche schlägt“ und die Viola an den äußeren rechten Rand „drängt“. Bis auf diese Tatsache bietet das Album in Sachen Sound die gewohnt hohe MDG-Klangqualität.

Überraschend: Die kleinen Stücke

So interessant Tubins Bratschenwerke auch sind: zur eigentlichen Überraschung des Albums geraten die (ganz) kleinen und kurzen Stücke. Dazu zählen: Sarcasm (um 1930) und Sonnet (um 1928) für Solo-Klavier aus Tubins frühen Jahren, deren Noten Kärt Ruubel entdeckte (und deren Echtheit von Tubins Sohn bestätigt wurden), sowie die Ballade für Violine und Klavier (1939) und die Pastorale für Viola und Orgel (1956) die hier in einer Bearbeitung für Viola und Klavier von Ruubel und van Dijk erklingt. Was die Ballade betrifft, kann ich mich dem Urteil der Pianistin anschließen: „[Sie] zählt für mich zu den schönsten Werken für Violine und Klavier von Tubin. […] Die Musik ist nordisch und melancholisch, mit einem fast frostigen Klavierbeginn.“ Bei der Pastorale hätte ich mir lieber die Orgel anstelle des Klaviers gewünscht (Orgel und Bratsche sind für mich ein Dream-Team), das Ergebnis ist aber auch so mehr als nur passabel. Bei dem Titel des nur knapp zwei Minuten langen Stücks Sarcasm denkt man vielleicht zunächst an Schostakowitsch und dessen „sarkastische“ und „ironische“ Sätze, aber Tubins Miniatur klingt anders; sie ist feiner „gezeichnet“ und weniger plakativ als die m.E. weidlich überschätzten Sarkasmen des Russen. Das gut dreiminütige Sonnet ist romantisch konzipiert und sehr apart, aber vielleicht keine echte Trouvaille. Das Album endet mit dem Klavierquartett (1930) aus Tubins Studienzeit. Das einsätzige und gut 15 Minuten dauernde Stück sei für sie die „größte Entdeckung“ gewesen, schreibt Ruubel im Booklet. „[Hier] erleben wir einen jungen Tubin – leidenschaftlich, emotional, lebendig. In der dichten Klangtextur verbinden sich vielfältige Farben, Melodien und Ausdrucksformen zu einem schwungvollen musikalischen Erlebnis.“

Die Spielfreude und hohe Spielkultur der vier Musiker ist durchaus zu hören, Ruubels Enthusiasmus kann ich, bei aller Liebe zu dieser Entdeckung, nicht ganz teilen. Im Vergleich zu den beiden je dreisätzigen Bratschenwerken ist das Klavierquintett weniger konzise und stringent. Gleichwohl: Wer die baltische und/oder estnische Musik von einer anderen, weniger bekannten Seite aus kennenlernen will, ist mit diesem Album (sehr) gut bedient, zumal es sich hier, wie oben erwähnt, fast ausschließlich um Weltpremieren handelt, die auf hohem Niveau dargeboten werden. Für Freunde der (Viola-)Kammermusik des 20. Jahrhunderts sowie für alle „Tubin-Fans“ ist das Album ohnehin ein „Must-have“.

Dr. Burkhard Schäfer [13.09.2025]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Eduard Tubin
1Sarcasm ETW 32 00:01:44
2Sonate ETW 61 für Altsaxophon und Klavier 00:12:32
5Sonnet ETW 28 00:03:14
6Sonate ETW 63 für Viola und Klavier 00:17:47
9Ballade ETW 52 für Violine und Klavier 00:07:49
10Pastorale für Viola und Orgel (Fssg. für Klavier) 00:03:07
11Klavierquintett cis-Moll ETW 59 00:15:37

Interpreten der Einspielung

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