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ARD-Musikwettbewerb Ein Fenster zu... Kompass

ARD-Musikwettbewerb

Nur der dritte Preis für den Besten

Finale der Klarinettisten beim 74. Internatinalen Musikwettbewerb der ARD

Für das Finale konnten die mit Geburtsjahren von 2000 bis 2003 noch recht jungen, aber bereits außerordentlich versierten Finalisten zwischen den Konzerten von Carl Nielsen, Aaron Copland und Sándor Veress wählen. Zwei Teilnehmer entschieden sich für das Nielsen-Konzert, von dem der Widmungsträger und Uraufführungsinterpret Auge Oxenvad grantelte, dass Nielsen die Klarinette sehr genau kennen müsse, da er systematisch die am schwierigsten zu spielenden Noten benutze. Deshalb gilt Nielsens op. 57 wohl auch knapp hundert Jahre nach seiner Entstehung als das anspruchsvollste Werk seiner Gattung. Der dritte Finalist wählte das wesentlich eingängigere, für Benny Goodman geschriebene Copland-Konzert.

Gedankentiefes Werk

Nielsens Konzert lässt eine Reihe von interpretatorischen Ansätzen zu. Ist es ein humoristisches Portrait des Widmungsträgers, dem man eine gewisse bipolare Launenhaftigkeit und Streitsucht nachsagte? Ist es als vorletzte große Komposition eine Bewältigung der Angst vor der eigenen Endlichkeit eines schwer herzkranken Komponisten? Schildert es womöglich in Parsifal-Manier den Weg des kleinen Hans – das leitmotivisch das gesamte Stück durchziehende, kinderliedartige Anfangsthema ist ja eine quasi Umkehrung von „Hänschen klein“ – durch die „Stahlgewitter“ des ersten Weltkriegs, der ja 1928 erst 10 Jahre zurücklag? Für die letztere Annahme mag die Konzeption als „Concert militaire“ als Konzertstück von eher kurzer Dauer mit ineinander übergehenden Sätzen sprechen, in dem die kleine Trommel – „Snare Drum“ – den Kampf zwischen dem Solisten und dem Orchester sowie zwischen den tonalen Zentren F und E immer wieder anheizt. Überhaupt ist die Instrumentierung mit 2 Hörnern, 2 Fagotten, denen häufig dankbare Soli zufallen, Militärtrommel und Streichern recht ungewöhnlich. Womöglich steht das Versprechen Nielsens dahinter, jedem der Solisten des Kopenhagener Bläserquintetts ein Konzert zu schreiben, wozu ihm aber nach den Konzerten für Flöte und Klarinette die Kraft fehlte, die er in sein letztes Werk die Commotio für Orgel op. 58 zu investieren gedachte.

Unterschiedliches Niveau der Konzerte

Gegen dieses gedankentiefe Schwergewicht nimmt sich das relativ kurze, für den Solisten effektvolle, mit Streichern, Klavier und Harfe ebenfalls originell instrumentierte, aber technisch und koordinatorisch um Längen leichtere Copland-Konzert wesentlich publikumswirksamer aus. Der langsame Kopfsatz in ABA-Form ist süße, für eine ausgedehnte Liebesszene geeignete Filmmusik. Das schnelle Rondo-Finale mit kubanisch-jazzigen Einflüssen greift Techniken aus Strawinskys Dumbarton Oaks und dessen Ebony-Concerto auf. Leonard Bernsteins – allerdings ein paar Jahre später entstandene – West-Side Story grüßt bereits aus der Ferne.

Sternstunde beseelten Musizierens

Als Erster der drei Finalisten betrat der Russe Lev Zhuravskii das Konzertpodium. Ihm gelang bereits im Semifinale eine äußerst überzeugende, spielfreudige Interpretation des Mozart-Konzerts. Sein Nielsen-Konzert entwickelte sich in eine absolute Sternstunde beseelten Musizierens. Er machte sowohl die Tragik als auch den typisch nördlichen trockenen Humor des Werks erfahrbar. Jede Phrase war sauber durchdacht und emotional abgetönt. Sein Farbenspektrum reichte vom gehauchten Pianissimo, über ein warmes, oder wo nötig gläsernes Piano und Mezzoforte, bis zu einem strahlenden Forte und gelegentlich bewusst grellem, ansonsten edel metallischem Fortissimo. Das Timing der virtuosen Passagen erfolgte ungemein überzeugend aus dem vom Komponisten Intendierten. Und dazu diese überwältigende Lyrik aus Verständnis des Gefühlten. Meisterhaft! Lev Zhuravskii hat es vermocht, mir die Augen für die Tiefendimensionen des Nielsen Konzert zu öffnen.

Sirenengleicher Gesang

Elad Navon aus Israel hatte sich das eingängigere, jedoch für den Publikumspreis des anwesenden Publikums wesentlich geeignetere Copland-Konzert ausgesucht, das naturgemäß aufgrund seiner weitaus eingänglicheren Substanz für das Fachpublikum gegenüber Nielsen abfallen musste. Trotzdem gebührt ihm Bewunderung für die Ruhe, die er gleich zu Beginn und ohne jegliche Nervosität seinen langgezogenen Phrasen verleihen konnte. Selbstverständlich vermag auch er auf seinem Instrument sirenengleich zu singen. Sein Timing in der Kadenz und im Rondo sprüht vor pfiffigem Witz und dennoch schweiften meine Gedanken bei seinem Vortrag immer wieder ab.

Technische Brillanz im Übermaß

Dem Chinesen Hongyi Jiang gelang als jüngstem Teilnehmer die wohl technisch überlegenste Interpretation des äußerst anspruchsvollen Nielsen-Konzerts. Allerdings zwang er mich weniger als Lev Zhuravskii dazu, ihm wirklich zuzuhören, weil seine Phasierung noch nicht dermaßen durchdacht war. Er sollte darauf achten, Auftakten weniger Druck mitzugeben, damit seine durchaus intelligente Phrasierung den zusätzlichen Fluss und Zug nach vorn erhält, die das Zuhören des Publikums erst erzwingt. Da ihm technische Brillanz und manuelle Geschmeidigkeit bereits im Übermaß zu Gebote stehen, sollte er weiter an Expressivität und Eloquenz arbeiten.

Meiner Meinung wäre die Reihenfolge der Preisvergabe mit Lev Zhuravskii, Hongyi Jiang, Elad Navon, an dessen statt mir der Franzose Yan Maratka durchaus lieber gewesen wäre, eindeutig richtig gewesen. Die Jury entschied sich jedoch für die Reihenfolge Elad Navon, Hongyi Jiang und Lev Zhuravskii.

Thomas Baack (11.09.2025)

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