Klavierfeuerwerk in schillernden Farben
Semifinale im Fach Klavier beim 74. Internationalen Musikwettberwerb der ARD

Im Fach Klavier waren insgesamt 58 Bewerber angetreten, aus denen für das Semifinale im Prinzregententheater sechs ausgewählt wurden. Das zu beherrschende Repertoire bestand aus Mozarts ersten Klavierkonzerten der Wiener Zeit, nämlich KV 413-415, dazu auch KV 459 und 488, aus zwei Haydn-Konzerten (die nicht gewählt wurden) und aus dem zweiten Beethoven-Klavierkonzert, dazu kam das Auftragswerk: Zaun für Klavier solo von Eno Poppe. Das beginnt taumelnd und kreiselnd, reichert sich immer mehr mit Klang an, eine schüchterne Melodie wird attackiert von rasend schnellen Akkorden, alles endet sterbend. Das Münchener Kammerorchester unter der Konzertmeisterin Yuki Kasai begleitete alle Konzerte mit unermüdlicher Energie und immer hochanimiert.
Kraftvolles Spiel
Misora Ozaki aus Japan (KV 488) wirkte etwas in sich gekehrt, übernahm hörbar die Führung, kommunizierte aber nicht sichtbar mit dem Orchester. Ihr Ton war selbstbewusst kraftvoll, geradezu drahtig-bestimmt, die Läufe ließ sie laufen, setzte das Nebenthema im Kopfsatz deutlich ab, gestaltete die Phrasen großbogig und gab auch Pausen ihr Gewicht. Im Adagio knetete sie jeden Ton, ließ es aber trotz Wehmut an Spiritualität fehlen. Das Finale begann sie quirlig voranstürmend, vermied es aber, solistisch aufzutrumpfen, um das geistvolle Mozart’sche Spiel genießen zu können. Den Zaun spielte sie als einzige aus den Notenblättern, sehr aufmerksam und hellwach – und hier war ihr „drahtiges“ Spiel wörtlich am Platz.
Animiert und inspiriert
Mit leichten Kopfbewegungen animierte Sherri Hoi-Ching Lun aus Hongkong (KV 414) das Orchester in der Einleitung, spielte selbstverständlich und wie verwachsen mit ihrem Instrument. Sehr lebendig war ihre Interpretation, sie zeigte, dass eine Themen-Melodie ein vielgliedriger Kosmos ist, aus der Mozart alles entwickelt. Bei ihr gab es keine einzige unwichtige Phrase, Triller arbeitete sie als maßgebliches Themenmotiv heraus und entwickelte Mini-Ritardandi, Melodieaufschwünge und Triolen als selbständige Motive. Im Andante ließ sie die choralartigen Akkorde zu Beginn leuchten und die Melodie schwingen und schweben und badete sich geradezu in der Mollschattierung, verzahnte sich nahtlos mit dem Orchester und bot dann ein spritzig-geistvolles Finale. Das Publikum applaudierte heftig. Durch ihren lebendigen Ton wurde Poppes Zaun verletzlicher, das Kreiseln verzweifelter und die schüchterne Melodie flehentlicher und die ersterbenden Töne samtiger.
Befeuernder Schwung
Mit Elan und befeuertem Schwung übernahm Jiwon Yang aus Südkorea (Beethoven 2) mit kraftvoll leuchtendem Ton sofort die Führung und dirigierte das Orchester mit Kopfnicken. Sie ließ die Motive organisch auseinander hervorwachsen und ineinanderfließen, ließ freudige Arpeggien hören und in der Kadenz geradezu Liszt‘schen Furor. Im Adagio verströmte sie Poesie, bettete sich weich in die Synkopen und Vorhalte, spielte die Triolen genussvoll aus und überzeugte überhaupt mit souveränem Auftreten. Im Finale gelang ihr das Kunststück, organisch mit dem Orchester zu sein und dennoch zu führen, lächelnd genoss sie den kauzigen Beethoven’schen Humor mit Synkopen und rhythmischen Akzentverschiebungen. Mit vibrierend-lebendigem Ton machte sie aus dem Zaun ein spannendes Geschehen.
Spielerische Leichtigkeit
Ausgesprochen gewinnend war das Auftreten von Liya Wang aus China (KV 414). Mit verschränkten Armen und einem Lächeln im Gesicht wartete sie auf ihren Einsatz, um dann mit spielerischer Leichtigkeit und natürlichem Fluss der Melodien loszulegen, sonnte sich im Mozart-Sound, hüpfte vergnügt auf dem Hocker herum, genoss vergnügt den Überschlag der Hände und lachte und lächelte ständig, als wäre das Klavierspielen die reinste Freude. Groß war die Bandbreite ihres Anschlags, vollgriffig rauschend die Kadenz im Kopfsatz, empfindungsreich und tiefgefühlt erklang das Andante mit feinfühligen Trillern und wohligem Eintauchen in die Moll-Passage. Anmut und Liebreiz, nicht Ausgelassenheit, herrschte im Finale, indem Liya Wang immer das Sangliche suchte. Dafür schien sie mit dem Zaun zu fremdeln: Sehr langsam stanzte sie da die Töne und wirkte eher pflichtgemäß als eigenständig gestaltend.
Auf der sicheren Seite
Bei Jinzhao Xu aus China (KV 414) hörte sich alles richtig an – aber meist „nur“ richtig. Obwohl ein Gestaltungswille spürbar war und er das Hüpfende im Thema des Kopfsatzes suchte und die Kadenz durchaus virtuos anlegte, wirkte alles neutral. Auch im Andante bewegte er nicht die Herzen der Zuhörer, nutzte die Vorhalte nicht als dramatisches Moment und nahm den Umschlag ins Moll als selbstverständlich, zu wenig aufregend. Auch das Finale war durchaus lebendig mit zarten Ton-Tupfern – aber eben neutral, „nur“ richtig. Doch im Zaun blühte er auf, begann das manische Kreiseln der Musik beinahe tänzerisch wirbelnd und man merkte, wie diese Musik immer wieder neu beginnt und sich motorisch steigert und wie das Frage-Antwort-Spiel diese Musik charakterisiert.
Mitreißend
Den Schluss machte Elias Ackerley aus Großbritannien (Beethoven 2). Fein perlend begann er das Beethoven-Konzert, um dann umso energischer und stürmischer fortzufahren, und diese Antithetik prägte das ganze Spiel. Das gewählte zügige Tempo erzeugte Sturm und Drang, das Thema stanzte er oft mit feuriger Bravour heraus. Sehr bestimmt und nicht ätherisch, dazwischen aber wie (nach)sinnend nahm er das Adagio, um dann temperamentvoll und hurtig jagend im Finale loszustürmen. Er riss das Orchester mit, das ihm gerne folgte, wenn er das Rondo-Thema immer wieder neu abschattierte und die Synkopen immer neu akzentuierte. Den Zaun begann er energisch gespannt und so wirbelnd, als stürzten die in sich kreiselnden Bewegungen des Themas übereinander, und mit so eifrigem Feuer und so souverän, als wär‘s ein pianistisches Bravourstück von Liszt.
Die Jury unter dem Vorsitz von Homero Francesch entschied sich – im Einklang mit dem Publikum – für folgende Teilnehmer beim Finale: Elias Ackerley, Jiwon Yang und Liya Wang.
Rainer W. Janka (12.09.2025)