Hans Winterberg
Chamber Music Vol. 2

eda records EDA 053
1 CD • 70min • 2023, 2024
28.01.2025
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Bei der Rezeption des deutschsprachigen Prager Juden Hans Winterberg (1901-1991), der nach kurzer Internierung in Theresienstadt 1945 seine zweite Lebenshälfte in Bayern verbrachte, hat sich in den letzten drei Jahren einiges getan. Insbesondere durch den unermüdlichen Einsatz von Winterbergs leiblichem Enkel Peter Kreitmeier und Frank Harders-Wuthenows – sowohl beim Musikverlag Boosey & Hawkes als auch als verantwortlicher Produzent bei eda records – werden viele Werke des Komponisten, nach seinem Tode lange unter Verschluss, nun in erstaunlichem Tempo als Notenmaterial und auf Aufnahmen zugänglich gemacht. Vor allem aber kommt es zunehmend wieder zu Aufführungen seiner Musik.
Vielschichtige Kammermusik
Die Kammermusik Winterbergs spiegelt dessen stilistische Entwicklung – beginnend in Prag als Schüler Fidelio F. Finkes, Alois Hábas und Alexander Zemlinskys bis zu einer „vielleicht sehr freien Variante der seriellen Komposition“ (Winterberg) – recht gut wider. Nach zwei CDs des Toccata-Labels erschien erst im letzten Herbst die erste Kammermusik-Veröffentlichung auf eda (sh. http://www.klassik-heute.de/4daction/www_medien_einzeln?id=24835&Kompo48800), die es gleich auf die Vierteljahres-Longlist des Preises der Deutschen Schallplattenkritik geschafft hat. Unter den sechs Werken auf Vol. 2 sind zum Glück wieder vier echte Ersteinspielungen: Das beginnt mit dem faszinierenden Trio für Klarinette, Cello & Klavier (1950), das in vier kontrastreichen Sätzen wie eine kleine Reise durch musikhistorische Echos der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wirkt: vom fast idyllischen Kopfsatz bis zum klar auf Bartók Bezug nehmenden Allegro barbaro – enorm spannend vorgetragen von Stephan Mörth, Adele Bitter und Holger Groschopp.
Zeit der Unsicherheit und erstarktes Selbstbewusstsein
Die beiden knappen Suiten für Violine bzw. Klarinette und Klavier von 1942 und 1944 sind einerseits Dokumente der Unsicherheit und Angst in den letzten Kriegsjahren, allerdings nur sublimiert, denn die Musik ist trotzdem musikalisch dankbar und kraftvoll. Die Klarinettensuite erscheint in der Neueinspielung mit Stephan Mörth und Groschopp überzeugender als die mit Glazier/Gibson, nicht nur wegen der für den Rezensenten schlüssigeren Temponahme im ersten Satz. Die Violinsuite mit den für Winterberg typisch komplexen rhythmischen Verzahnungen gelingt Clemens Linder gleichermaßen innig wie virtuos. Die 2. Trompetensuite (1952) strotzt dann nur so von Selbstbewusstsein – ein echtes Kabinettstückchen für Andre Schoch.
Werfel-Lieder und eine merkwürdige Sudeten-Suite
Neben obigem Trio sind die vier Lieder Dort und hier (1936/37) – für die rare Besetzung Sopran plus Klaviertrio und auf Gedichte von Franz Werfel – der Höhepunkt der CD. Werfel greift in seinen Texten universelle Themen auf, etwa die Erfahrung des Ausgeliefertseins in „Madonna mit den Krähen“. Hier und im abschließenden „Schneefall“ versetzt Winterberg den Hörer in eine eisig-einsame Landschaft, mittels mehrschichtiger Ostinati und mit emotionaler Tiefe und Intensität durchaus auf dem Level entsprechender Topoi in Schuberts „Winterreise“. Ania Vegry übertrumpft noch mit besserer Textverständlichkeit und mehr Anteilnahme die bereits sehr gute Darbietung von Troupová/Dušek – beeindruckend! Aus dem Rahmen fällt dann die Sudeten-Suite – nicht etwa „Sudetendeutsche Suite“, wie Harders in seinem exzellenten Booklettext bemerkt. Dieses Klaviertrio vertont programmatisch und ganz tonal Landschaftsbilder – Schneekoppe, Plöckenstein und die Elbe-Quellen –, somit keineswegs ein Bekenntnis zum Deutschtum. Dafür erhielt der Komponist jedoch 1963 den Kulturpreis der Sudetendeutschen Landsmannschaft; eigentlich eine Ironie des Schicksals. Auch dieses Stück wird äußerst geschmackvoll gespielt und erweist sich spätestens nach dem zweiten Hören gleichfalls als niveauvolle Musik. Da neben den vorzüglichen Interpreten ebenso die Aufnahmetechnik gefällt, verdient dieses das Repertoire einmal mehr bereichernde Album eine eindeutige Empfehlung.
Vergleichsaufnahmen: [Suite für Klarinette & Klavier]: Jackie Glazier, Tannis Gibson (Toccata TOCC 0491, 2017); [„Dort und hier“]: Irena Troupová, Jan Dušek (Arcodiva UP 238, 2019).
Martin Blaumeiser [28.01.2025]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Hans Winterberg | ||
1 | Trio für Klarinette, Violoncello und Klavier | 00:17:00 |
5 | Suite für Violine und Klavier | 00:06:45 |
8 | Suite Nr. 2 für Trompete und Klavier | 00:11:26 |
11 | Dort und Hier für Sopran und Klaviertrio (auf Gedichte von Franz Werfel) | 00:15:53 |
15 | Suite für Klarinette in B und Klavier | 00:08:17 |
18 | Trio für Violine, Violoncello und Klavier (Sudeten-Trio) | 00:10:35 |
Interpreten der Einspielung
- Adele Bitter (Violoncello)
- Holger Groschopp (Klavier)
- Clemens Linder (Violine)
- Stephan Mörth (Klarinette)
- Andre Schoch (Trompete)
- Anja Vegry (Sopran)