Carl Reinecke
Symphony No 2 • Overtures
cpo 555 115-2
1 CD • 80min • 2015, 2016
05.09.2024
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Auf dem Höhepunkt seiner Karriere war der aus Altona stammende Carl Reinecke (1824‒1910) einer der meistgespielten deutschen Komponisten. Obwohl lange in Leipzig tätig, – alleine 35 Jahre als Gewandhauskapellmeister – vertrat er ein konservatives Gegenmodell zur dortigen Neudeutschen Schule, das an Traditionen der Wiener Klassik festhielt und sich Mendelssohn, Schumann und Brahms zum Vorbild nahm. Reineckes Kompositionsklasse brachte dafür so zukunftsweisende Persönlichkeiten wie Albéniz, Grieg, Delius, Sinding und Busoni hervor. Dennoch hielt sich nur wenige Kammermusik im Repertoire. Die drei Symphonien führen diskographisch noch immer ein Schattendasein, und so vollendet diese CD der 2. Symphonie sogar die erste Gesamtaufnahme mit einem Orchester unter demselben Dirigenten; rechtzeitig zum 200. Geburtstag des Komponisten, den man unter den zahlreichen Jubilaren dieses Jahres anscheinend völlig vergessen hat.
Håkon Jarl – (k)eine Programmsymphonie?
Reineckes 2. Symphonie von 1874 (rev. 1888) spiegelt schon in dessen Vorbemerkungen zur Partitur den seinerzeitigen Konflikt wider: Den Titel Håkon Jarl dürfe das unter dem Eindruck von Adam Oehlenschlägers Tragödie über den norwegischen Regenten entstandene Werk eigentlich gar nicht haben – da ausdrücklich eben keine Programmmusik. Zugleich gibt hier der Komponist sogar noch den Einzelsätzen der formal strikt klassischen Symphonie programmatische Überschriften. Genau über diesen Gegensatz regte man sich dann auch in der musikalischen Beurteilung nach der wenig erfolgreichen Leipziger Uraufführung auf. Jedenfalls gelingt Reinecke hier ohne Zweifel eine beeindruckende Verknüpfung von klassischer Perfektion und Ausgewogenheit mit großem dramatischem Zug.
Bislang zwei sehr ähnliche Aufnahmen
Vergleicht man die vorliegende Darbietung mit der einzig greifbaren Konkurrenzaufnahme unter Howard Shelley, – immerhin bereits 25 Jahre alt – erstaunt sofort, wie ähnlich hier nicht nur die Temponahmen sind. Sowohl Shelley als auch der belgische, aus Guatemala stammende langjährige Konzertmeister des Münchner Rundfunkorchesters – Henry Raudales – nehmen den Wunsch des Komponisten nach metronomischer Präzision, bis in die agogischen Feinheiten hinein, vollkommen ernst. Das Ergebnis wirkt in beiden Versionen stimmig und spricht nach Meinung des Rezensenten für die klaren Vorstellungen Reineckes. Die Charakterisierungen der meisten Themen – das Hauptmotiv des Kopfsatzes im Legendenton hat bei Brahmsscher Harmonik etwas von Mendelssohns nordischen Ausflügen ebenso wie von Schumanns Vorwärtsdrang – ähneln sich gleichermaßen. Raudales geht allerdings an den dramatischeren Stellen mehr aus sich heraus, was dann zwar mal gröber klingen kann als beim tasmanischen Orchester, emotional jedoch direkter anspricht. Auch in Punkto Beweglichkeit können sich die Münchner an ein paar Stellen absetzen: Man höre nur im 3. Satz (Intermezzo) die repetitive Passage Un poco più animato (Track [03] ab 2:57), wo Raudales mit fast französischer Eleganz musizieren lässt. Schließlich gelingt die Steigerung zum Schluss des Finales mitreißender.
Starke Ouvertüren
Mehr als die halbe CD füllen vier wichtige Ouvertüren Reineckes, von denen sich lediglich die zu Dame Kobold (1855) im Konzertsaal gehalten hat. Obwohl ein früher Hit, darf man die späteren Werke, vor allem die Ouvertüre zu Zenobia oder den Prologus Solemnis (1893) als weitaus ausgereifter betrachten. Alle sind offenkundig hörenswert und erfahren unter Raudales‘ Händen eine angemessene, wirkungsvolle Wiedergabe. Ein volkstümliches Schmankerl hingegen ist der Tanz unter der Dorflinde – leicht zugänglich wie so manches Genrestück z.B. von Smetana. Die Aufnahmetechnik des Albums ist insgesamt in Ordnung: durchsichtig, nur im Forte teils ein wenig zu dick. Das Booklet informiert umfassend über die Stücke, wie bei cpo üblich. Wirklich überragende Interpretationen von Reineckes Orchesterwerken dürften sich freilich erst herauskristallisieren, wenn seine Musik deutlich öfter gespielt würde.
Vergleichsaufnahme: [Symphonie Nr. 2] Tasmanian Symphony Orchestra, Howard Shelley (Chandos CHAN 9893, 1999)
Martin Blaumeiser [05.09.2024]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Carl Reinecke | ||
1 | Sinfonie Nr. 2 c-Moll op. 134 | 00:34:40 |
5 | Ouvertüre zur Jubelfeier op. 166 | 00:09:58 |
6 | Prologus Solemnis op. 223 für Orchester | 00:09:50 |
7 | Tanz unter der Dorflinde op. 161 Nr. 5 | 00:03:49 |
8 | Ouvertüre zur Dame Kobold op. 51 | 00:11:23 |
9 | Ouvertüre nach Kleins Tragödie Zenobia op. 193 | 00:09:45 |
Interpreten der Einspielung
- Münchner Rundfunkorchester (Orchester)
- Henry Raudales (Dirigent)