Felix Mendelssohn Bartholdy
Organ Works
Christian Schmitt
cpo 555 484-2
3 CD/SACD stereo • 2h 58min • 2021
12.08.2024
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Felix Mendelssohn-Bartholdy komponierte und improvisierte seit seinem 11. Lebensjahr recht fleißig an der Orgel, veröffentlichte jedoch zu Lebzeiten nur die 3 Präludien und Fugen op. 37 und die 6 Sonaten op. 65. Diese passen mit gut 90 Minuten Spielzeit sehr bequem auf zwei CDs. Nachdem für die neue Leipziger Ausgabe der Werke von Felix Mendelssohn Bartholdy auch die in Krakau und Berlin befindlichen Manuskripte ausgewertet wurden, kamen neben den 12 (Präludien und Fugen in op. 37 einzeln gezählt) gedruckten Werken, weitere Kompositionen für die Gruppe MWV W des Werkverzeichnisses, in der sich die Orgelkompositionen befinden, hinzu, die mittlerweile in unterschiedlichen Ausgaben bei den Verlagen Novello, Bärenreiter und Breitkopf (Text der GA) mehr oder weniger vollständig vorliegen. Diese verdoppeln die Spieldauer auf knapp drei Stunden.
Präludien, Fugen und Sonaten
Mendelssohns Präludien und Fugen weisen durchaus noch deutliche Einflüsse der von den Bach-Söhnen geprägten Berliner Schule auf. Deren vom Sturm und Drang inspirierte Musik war von erheblichem Einfluss auf die frühe Romantik, die sie mit den harmonischen Wendungen und der Motivverarbeitung des mittleren Beethoven kombinierte. Teilweise klingen musterhafte Kompositionen J. S. Bachs (Fantasie g-Moll, große e-Moll Fuge) deutlich an.
Ebenso geht die Idee der mehrsätzigen Orgelsonate auf Bachs Triosonaten BWV 525-530 zurück. C.P.E. Bach griff sie in den 6 Sonaten für Amalia von Preußen (manualiter) auf, konnte auf diese Weise aber keine weitere Entwicklung auslösen. Zwischen 1770 und 1830 geriet die Orgelkomposition ins Stocken, da die Wiener Klassiker – von Gelegenheitsarbeiten abgesehen – hier wenig Interesse zeigten und derartige Werke den Spezialisten Justin Heinrich Knecht (1752-1817), Johann Christian Kittel (1772-1809) und Christian Heinrich Rinck (1770-1846) überließen, was auch daran lag, dass auf bis gegen 1840 gebauten Instrumenten nur eine Terrassendynamik darstellbar war.
Mendelssohns – teilweise aus bereits vorhandenen Sätzen zusammengestellte – Sonaten waren dann beispielhaft für die nachfolgende Generation. Ohne sie sind die gleichnamigen Werke von Joseph Gabriel Rheinberger und Alexandre Guilmant nicht denkbar. Charles Marie Widor und Louis Vierne bezeichneten ihre monumentalisierten Versionen als Sinfonien. César Franck griff die Idee, einen Choral mit sonatenmäßig durchgeführtem Rahmenmaterial zu versehen, wie wir ihn zu Beginn der f-Moll-Sonate finden, in seinen 3 Chorälen für Orgel auf. Max Reger machte sich die Form der Choralvariationen mit nachfolgender Fuge der d-Moll-Sonate in seinen Choralfantasien zu eigen und wendete sie im Gigantismus der Gründerjahre. Das Finale der D-Dur-Sonate nimmt bereits die französische Form der „Toccata mit Melodie“ à la Leon Boellmann, Eugéne Gigout und Widor vorweg.
Nur im Manuskript überlieferte Werke
Unter den im Manuskript überlieferten Werken finden sich einige für die späteren Sonaten nochmals überarbeitete Werke wie das Andante recitativo (CD 1, 19;CD3, Tr. 11 zum Vergleich auf beiden Orgel eingespielt), das in die erste Sonate einfloss oder eine schwierigere Version des Finales der B-Dur Sonate mit gerader Skalenbewegung statt „Treppen“ im Pedal als Allegro con brio (CD2 Tr. 6). Hier bietet der Vergleich mit der Endfassung Anschauungsmaterial für Tendenz Mendelssohns zur Perfektionierung.
Ansonsten findet sich unter diesen Einzelsätzen diverse reizvolle Sätze für den gottesdienstlichen Gebrauch.
Gelungene Interpretation
Christian Schmitt tendiert zu eher flotten Tempi, was der bei Mendelssohn recht häufigen nazarenischen Sentimentalität und seiner Neigung zur Symmetrie viertaktiger Perioden ideal entgegenwirkt. Das hat durchweg einen schwungvollen Zug nach vorn. Seine Artikulation ist mustergültig, seine Registerwahl in jedem Moment überzeugend.
Sehr gut, die Idee, die Werke auf Orgeln einzuspielen, die der Komponist noch gekannt haben könnte und die das grundtönige Ideal der Spätromantik noch nicht zum Exzess treiben, Hier zeigt sich Eberhard Friedrich Walcker durchaus von den Idealen seines Lehrmeisters Aristide Cavaille-Coll beeinflusst.
Die Aufnahmetechnik ist stark vom gewählten Medium abhängig. Was auf SACD exzellent klingt, wirkt bei hochauflösendem Streaming bereits weniger präsent und in Standard CD-Qualität etwas überhallig und dumpf. So müsste man hinsichtlich Klangqualität eigentlich Werte von 10 (SACD) bis 8 (CD) vergeben. Das Booklet ist grundsätzlich gelungen, die Werkbeschreibungen passen, die Dispositionen der Walcker-Orgeln in Schramberg und Hoffenheim werden vollständig mitgeteilt. Nur unpraktisch, dass die MWV-Nummern nicht im Tracklisting aufgeführt sind.
Fazit: Gekonnte, schwungvolle und bis auf ein paar Fragment gebliebene Kompositionen vollständige Einspielung des Orgelwerks von Felix Mendelssohn Bartholdy. Den Ausübenden als Anregung für Programme und Registrierungen mit den maximalen Mitteln der Entstehungszeit, den Liebhabern zum Genuss klar empfohlen.
Thomas Baack [12.08.2024]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Felix Mendelssohn Bartholdy | ||
1 | Orgelsonate f-Moll op. 65 Nr. 1 | 00:15:05 |
5 | Präludium d-Moll W 2 | 00:04:02 |
6 | Präludium und Fuge d-Moll op. 37 Nr. 3 | 00:09:11 |
8 | Andante con moto g-Moll W 19 | 00:01:20 |
9 | Andante sostenuto f-Moll W 26 | 00:03:52 |
10 | Fuga pro Organo pleno d-Moll W 13 | 00:04:20 |
11 | Andante D-Dur W 6 | 00:02:41 |
12 | Nachspiel D-Dur W 12 | 00:04:36 |
13 | Fughetta D-Dur W 19 | 00:02:49 |
14 | Andante recitativo f-Moll W 55 | 00:03:22 |
15 | Orgelsonate c-Moll op. 65 Nr. 2 | 00:09:36 |
CD/SACD 2 | ||
1 | Orgelsonate A-Dur op. 65 Nr. 3 (über den Choral "Aus tiefer Not schrei ich zu dir") | 00:09:21 |
3 | Andante D-Dur W 32 | 00:05:20 |
4 | Fuga C-Dur W 25 | 00:04:08 |
5 | Fuga f-Moll W 26 | 00:04:29 |
6 | Allegro con brio B-Dur W 48 | 00:04:25 |
7 | Präludium c-Moll W 28 | 00:02:49 |
8 | Präludium und Fuge G-Dur op. 37 Nr. 2 | 00:08:13 |
10 | Andante F-Dur W 30 | 00:03:02 |
11 | Orgelsonate B-Dur op. 65 Nr. 4 | 00:13:37 |
CD/SACD 3 | ||
1 | Orgelsonate D-Dur op. 65 Nr. 5 | 00:08:10 |
4 | Fuga g-Moll W 4 | 00:02:13 |
5 | Fuga e-Moll W 24 | 00:04:23 |
6 | Präludium und Fuge c-Moll op. 37 Nr. 1 | 00:07:59 |
8 | Passacaglia c-Moll W 7 | 00:05:31 |
9 | Allegretto d-Moll W 31 | 00:02:17 |
10 | Allegro d-Moll W 33 | 00:07:34 |
11 | Andante recitativo f-Moll W 55 | 00:03:06 |
12 | Allegro B-Dur W 47 | 00:02:42 |
13 | Fuga B-Dur W 54 | 00:03:35 |
14 | Orgelsonate d-Moll op. 65 Nr. 6 | 00:13:55 |
Interpreten der Einspielung
- Christian Schmitt (Orgel)