Georg Philipp Telemann
Donner-Ode • Late Church Music

cpo 555 546-2
1 CD • 81min • 2022
08.04.2024
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Wohl nur wenige Komponisten konnten sich ihre Schaffenskraft bis ins achte Lebensjahrzehnt erhalten, ohne auf alte Muster zurückzugreifen. Viele erreichten dieses Alter gar nicht erst. Die, die es wie Heinrich Schütz, Richard Strauss und Igor Strawinsky erreichten, griffen auf bereits Bewährtes zurück. Anders Georg Philipp Telemann (1681-1767), der die literarischen Strömungen in jeder Lebensphase aufmerksam verfolgte. Als die Dichtung von Oden im erhabenen Stil durch F. G. Klopstock und Johann Andreas Cramer modern wurde, nutzte er Texte dieses antikisierenden Genres für seine späten Kompositionen und passte kompositorisch seinen Stil der zeitgenössischen Dichtung an.
„Es donnert“
Dass Telemanns Donnerode, wie Karl Wilhelm Ramler, der den Text für deren ersten Teil (1756) aus den Psalm-Nachdichtungen von Johann Andreas Cramer zusammengestellt hatte, an Johann Wilhelm Ludwig Gleim schrieb, – Telemann vertonte u.a. die Dichtungen Der Tod Jesu und Die Hirten an der an der Krippe dieses um 45 Jahre jüngeren „deutschen Horaz“ – ein Reflex auf das verheerende Erdbeben von Lissabon 1755 ist, wird in der Forschung mittlerweile bestritten. Das glanzvoll-dramatische Werk preist – luxuriös instrumentiert – die Macht und Gewalt Gottes. Dies hatte in Zeiten, in denen einen der Tod in jedem Moment ereilen konnte, durchaus den Charakter eines Abwehrzaubers, auf dass man selbst von solchem Unbill verschont bleiben möge. Telemann ergänzte 1760 einen zweiten Teil, der ebenfalls auf den Psalmbearbeitungen Cramers beruht und dirigierte diese Fassung als guter Achtziger noch mehrfach.
Kompositionstechnisch interessant sind die große Rondeau-Form, in welche die Arien vom am Ende der beiden Teile wiederholten Eingangschor als großes Couplet eingebettet werden und der völlige Verzicht auf verbindende Rezitative, der den strophischen Charakter der Ode umso deutlicher werden lässt. Zudem spielen die Pauken als „Donnermaschine“ eine tragende Rolle. Gerade diese Tonmalereien dürften Haydn zu Ähnlichem in Schöpfung und Jahreszeiten angeregt haben.
CD-Premiere
Wie aufwändig damals Pastoren-Einführungen gefeiert wurden, beweist Wie lieblich sind auf den Bergen mit 3 Trompeten und Pauken des 81-jährigen Komponisten, das gemeinsam mit Dich rühmen die Welten auf einen Text des damaligen Johanneums-Schülers und späteren Shakespeare-Übersetzers und Literaturhistorikers Johann Joachim Eschenburg hier seine CD-Premiere erhält. Hierzu ist interessant, dass Telemann, der selbst ein talentierter Poet war, die dortigen Schüler zu dichterischen Arbeiten ausdrücklich anregte.
Schließlich ist bemerkenswert, dass Telemann – hierin ein Vorreiter Beethovens und Schumanns: – alle Tempoanweisungen auf Deutsch formulierte: „Munter“ statt Allegro, „Mäßig“ statt Moderato, „Etwas geschwind“ statt Vivace ma non troppo.
Gelungene Interpretation
Solomon’s Knot und Les Passions de l’Âme musizieren die prunkenden Werke schwung- und prachtvoll. Dem jeweiligen Affekt wird Rechnung getragen. Die Besetzung der Chöre mit einem Doppelquartett entspricht der Aufführungspraxis der Entstehungszeit und sorgt für die der Aufklärung wichtige Deutlichkeit. Es wird präzise artikuliert ohne jedoch Drive und Linie zu verlieren. Allerdings benötigt die Donnerode zwei Bassisten, die lange Triller zumindest im Mezzoforte konsequent durchziehen können, woran beide im Gegensatz zu ihren Kollegen bei Richard Hickox und Hermann Max scheitern, die zudem beide mit 2‘11“ statt 2’52 schneller unterwegs sind. Hier wäre eine frühbarocke Rhythmisierung in Form einer Ribattuta mit anschließendem Trillo auf derselben Tonhöhe wahrscheinlich geschickter gewesen. Allerdings entstand die Aufnahme im Jahr 2022 noch unter den Corona-Einschränkungen, deshalb gibt es keinen Punktabzug.
Die Technik vermittelt ein transparentes und farbiges Klangbild. Für den ausgezeichneten Booklet-Text zeichnet der Telemann-Kenner Ralph-Jürgen Riepsch verantwortlich, dem beim Korrekturlesen allerdings hätte auffallen können, dass auch der zweite Teil der Donnerode auf Texten von Johann Andreas Cramer und nicht auf solchem seines im Jahr 1760 erst achtjährigen Sohnes Carl Friedrich beruht.
Fazit: Gelungene CD mit späten Kompositionen Telemanns, die sich bereits der Klassik annähern und einfach Freude bereiten, darunter zwei Ersteinspielungen. Da darf eine klare Empfehlung trotz kleiner Abstriche nicht ausbleiben.
Vergleichsaufnahmen: Richard Hickox (Chandos), Hermann Max (Capriccio).
Thomas Baack [08.04.2024]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Georg Philipp Telemann | ||
1 | Dich rühmen die Welten TWV 1:329 (zu Michaelis) | 00:23:44 |
10 | Wie ist dein Name so groß TWV 6:3a (Donner-Ode, Teil 1; zum 17. Sonntag nach Trinitatis) | 00:21:51 |
18 | Wie lieblich sind auf den Bergen TWV 3:61 | 00:18:43 |
25 | Mein Herz ist voll, vom Geiste Gottes erhoben TWV 6:3b (Donner-Ode, Teil 2) | 00:16:52 |
Interpreten der Einspielung
- Solomon's Knot (Vokalensemble)
- Jonathan Sells (Leitung)
- Les Passions de l'Âme (Ensemble)
- Meret Lüthi (Leitung)