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Besprechung CD

Vergessene Lieder, vergessene Lieb

Forgotten Songs by Willy Heinz Müller

Prospero Classical PROSP0087

1 CD • 55min • 2023

08.06.2024

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 8
Klangqualität:
Klangqualität: 8
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 8

Während der Corona-Zeit entdeckte die Schweizer Sopranistin Mélanie Adami in ihrem Musikzimmer durch Zufall, direkt neben den Liedern von Richard Strauss liegend, einen Stapel von Notenmanuskripten ihres Urgroßvaters Willy Heinz Müller (1900-1974). Nach langem sorgfältigem Studium entschloss sie sich, diese Lieder bekannt zu machen, nicht nur aus familiärem Pflichtgefühl, sondern auch im Bewusstsein ihrer hohen Qualität. Die 13 hier erstmals eingespielten Titel sind eingebettet in ebenso unbekannte Lieder von Müllers künstlerischen „Ahnherren“, zu denen neben Ernst von Dohnányi auch heute vergessene Kleinmeister wie Franz Ries, A. Béla Laszky, Eugen Hildach und Carl Götze zählten. Der Titel des Albums stammt aus einem Gedicht von Victor Heindl, das von Ernst von Dohnányi vertont wurde. Liebesfreud und Liebesleid in allen sanften Variationen kommen in dieser Sammlung zum Ausdruck, Rosen und Veilchen zieren die Liebeswege, aber Stürme der Leidenschaft oder Liebestragödien haben keinen Platz. Über allem schwebt der Geist der Beschaulichkeit.

Karriere im Winkel

Die musikalische Laufbahn von Urgroßvater Müller war im Ganzen unspektakulär, aber durchaus effektiv. In Wien geboren und im Kulturkreis der k. und k. Monarchie großgeworden, kam er nach dem Musikstudium als Geiger bei den Wiener Symphonikern unter. Infolge der Wirtschaftskrise arbeitslos geworden, verdingte er sich 1926 im fernen St. Gallen als Geiger und Pianist in einem Lichtspielkino. Doch mit dem Aufkommen des Tonfilms verlor er auch diesen Job und schlug sich in der Folge als freier Musiker (u.a. im dortigen Tonhalle-Orchester) erfolgreich durch und verstärkte seine Aktivitäten als Komponist. Während des 2. Weltkriegs wurde er in der Schweiz eingebürgert und war dort in den folgenden Jahrzehnten in verschiedenen Funktionen, vor allem als Dirigent und Musikpädagoge tätig. Von den hier vorgestellten Liedern stammen die ersten (Träumen op. 7 und Schließe mir die Augen beide op. 9) noch aus seiner Wiener Zeit (1921/23) und zeigen Reflexe auf die Musik von Mahler und Berg. Seine Schweizer Arbeiten aus den 30er Jahren sind harmonisch einfach und sehr textbezogen, wobei die konzise und griffige Poesie des Thurgauer Dichters Hugo Binder seinem von Othmar Schoeck und Ernst von Dohnányi beeinflussten Stil ideale Vorlagen bot.

Die Ahnherren

Der Ungar Dohnányi (1877-1960) gehörte zu den Komponisten, die von Müllers Mutter Clementine, einer gelernten Opernsängerin, besonders geschätzt wurden. Anders als seine Landsmänner Béla Bartók und Zoltán Kodályi der musikalischen Avantgarde abhold, stellte er sich mit den Klavierliedern op. 14 (1905/1906) auf Texte von Victor Heindl ganz in die Tradition von Schumann und Brahms. Franz Ries (1846-1932), auch einer von Clementines Favoriten, war seinerzeit ein gefeierter Geiger, der seine Laufbahn wegen eines Nervenleidens früh aufgeben musste und danach als Komponist, Musikalienhändler und Musikverleger nicht weniger erfolgreich war. Seine Sechs Lieder op. 31 pflegen einen gehobenen Salonton der Belle Époque, vergleichbar den italienischen Kanzonen Francesco Paolo Tostis. Eugen Hildach (1849-1924) wiederum war ein komponierender Sänger (Bariton), der oft gemeinsam mit seiner Frau Anna auftrat, einer Sopranistin. Das Duett Abschied der Vögel nach einem Gedicht von Eichendorff ist ein Dokument dieser Zusammenarbeit. Der Liszt-Schüler Carl Götze (1836-1887) schließlich war viele Jahre Theaterkapellmeister und hat auch einige Opern geschrieben. Das Duett Still wie Nacht, tief wie das Meer rundet hier den Reigen der Liebeslieder ab.

Liebevolle Umsetzung

Diese Sammlung von Petitessen, nicht für die Ewigkeit geschrieben, kann dennoch – auch teilweise mehr als hundert Jahre später – eine geneigte Hörerschar entzücken, da sich die Melodien einschmeicheln und die Texte zum Träumen anregen. Sie wollen auch nicht mehr scheinen als sie sind. In der vorliegenden, liebevoll gestalteten Einspielung entwickeln sie jedenfalls einen ganz spezifischen Charme, wobei Mélanie Adami den Liedern ihres Urgroßvaters viele intime Nuancen abgewinnt, der Bariton Äneas Humm die Gesänge von Franz Ries mit der nötigen Emphase und Klangfülle ausstattet. In den Duetten von Laszky, Hildach und Götze vereinen sich die Stimmen harmonisch. Die am Piano überaus feinfühlig agierende Judit Polgar ist gleichsam die Seele des löblichen Unternehmens.

Ekkehard Pluta [08.06.2024]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Béla Laszky
1Auf einen Zweig von Rosen 00:03:06
Willy Heinz Müller
2Träumen op. 7 00:01:28
3Schließe mir die Augen beide op. 9 00:02:27
Ernst von Dohnányi
4Was weinst du, meine Geige? op. 14 Nr. 1 00:04:29
5So fügt sich Blüt'- an Blütezeit op. 14 Nr. 2 00:03:05
6Vergessene Lieder, vergessene Lieb op. 14 Nr. 6 00:01:59
Willy Heinz Müller
7Von unserer Liebe op. 11 00:02:45
8Ich habe gegraben op. 12 00:02:45
9Blümlein steht am Walde op. 13 Nr. 1 00:01:06
10Sonne op. 13 Nr. 2 00:01:15
Franz Ries
11Es muss was Wunderbares sein op. 31 Nr. 1 00:02:07
12Du bist die Herrlichste von Allen op. 31 Nr. 2 00:02:05
13Abends auf der See op. 31 Nr. 3 00:01:40
14Wenn ich auf der Lauer liege op. 31 Nr. 4 00:01:40
15Veilchen freue dich mit mir op. 31 Nr. 5 00:01:08
16Abschied op. 31 Nr. 6 00:01:41
Eugen Hildach
17Abschied der Vögel op. 14 Nr. 1 00:02:55
Willy Heinz Müller
18Ich hab' dich lieb op. 14 Nr. 1 00:01:20
19Lass mich an deine Liebe op. 14 Nr. 2 00:01:57
20Jüngst träumt es mir op. 14 Nr. 3 00:01:53
21Ich weiß ein Fleckchen Erde op. 14 Nr. 4 00:01:47
22Fallende Blätter op. 14 Nr. 5 00:01:11
23Wende op. 14 Nr. 6 00:02:35
24Erkenntnis op. 14 Nr. 7 00:02:20
Carl Götze
25Still wie die Nacht, tief wie das Meer 00:04:46

Interpreten der Einspielung

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