Johann Sebastian Bach
...con passione
MDG 921 2311-6
1 CD • 76min • 2023
21.04.2024
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Die in Riga geborene Cembalistin Tatjana Vorobjova lebt inzwischen in der Nähe von Köln; sie hat sich eine erfolgreiche internationale Solistenkarriere aufgebaut und kann mittlerweile auf eine ansehnliche Diskographie verweisen. Darunter eine SACD mit Sonaten von Domenico Scarlatti unter der Überschrift „…ma cantabile“, die mir vor anderthalb Jahren zur Besprechung vorlag und mich rückhaltlos begeisterte. Diese Veröffentlichung mit Werken von J. S. Bach steht unter dem Titel „… con passione – mit Leidenschaft“: Bach, wenn auch im gleichen Jahr geboren wie Domenico Scarlatti, stellt den Cembalisten vor ganz andere musikalische und solistische Anforderungen – so war ich gespannt, ob Tatjana Vorobjova mich in gleicher Weise würde überzeugen können, zumal sie auf demselben großartigen Instrument spielt: einem Ruckers-Nachbau aus dem Jahr 2004 von Titus Crijnen, der ihrer Virtuosität und musikalischer Gestaltungskraft schon bei Scarlatti ein ebenbürtiger Partner war.
Sprechende Untertitel
Den Titel „…ma cantabile“ für ein Programm mit Musik von Domenico Scarlatti zu wählen, der so oft durch das sprühende Temperament seiner Sonaten begeistert, und „… con passione“ für ein solches mit Cembalowerken J. S. Bachs, der gerade durch seine Satzkunst zum Vorbild für Jahrhunderte wurde – das zeigt einen Aspekt bei der jeweiligen Werkauswahl, der neue Horizonte der Deutung verspricht: Genauso, wie Tatjana Vorobjova 2021 dem gesanglichen Aspekt der Cembalokunst Domenico Scarlattis auf der Spur war, stehen hier Kompositionen von J. S. Bach auf ihrem Programm, die von der Eigenart expressiver musikalischer Stimmungen geprägt sind.
Abwechslungsreiche Suitenkunst
Die Künstlerin eröffnet ihr Programm mit der dreisätzigen Suite in f-Moll BWV 823, die lediglich in einer Abschrift von Johann Peter Kellner (1705-1772) überliefert ist – Kellner wird als Bach-Schüler vermutet; erwiesen ist das freilich nicht, die zahlreichen Abschriften von Werken J. S. Bachs von ihm und aus seinem Umkreis sprechen allerdings für eine hohe Wertschätzung des Bachschen Schaffens.
Spannend ist das Werk allemal, allein durch seine Tonart f-Moll, mit der Bach stets besondere Expressivität verband, und die Ketil Haugsand im Kommentarinterview zu seiner Einspielung bei der Niederländischen Bachvereinigung „schwarz“ und die „Tonart des Todes“ nennt. Das Stück, dessen Entstehungszeit den einen unbekannt ist, von anderen um 1715 verortet wird, bietet einen vorzüglichen Einstieg in Tatjana Vorobjovas Reise in das expressive Innere von Bachs Cembalomusik. Zwei Partiten – Nr. 3 a-Moll BWV 827 und die Nr. 6 e-Moll BWV 830 – die Teil seines 1731 im Druck veröffentlichten Abschlusses der Suiten für Cembalo solo sind – vervollständigen das Porträt der Künstlerin von J. S. Bach als maßgeblicher Komponist deutscher Cembalomusik seiner Zeit. So vereint Vorobjova hier Cembalowerke aus Bachs früherem Schaffen mit Suiten, die er später als mustergültige Stücke der Musik für Cembalo solo veröffentlichte.
Zentralgestirn deutscher Claviermusik des 18. Jahrhunderts
Höhepunkt dieser SACD ist allerdings ein Stück ohne Vorbild und ohne Nachfolger in der deutschen Claviermusik des 18. Jahrhunderts. Die Chromatische Fantasie und Fuge d-Moll BWV 903 vereint Expressivität und außerordentliche Satzkunst und wird zu Recht zu den Höhepunkten der Claviermusik von J. S. Bach gezählt. Neuere Deutungen bringen das Werk gar in Zusammenhang mit dem Tod von Bachs erster Ehefrau Maria Barbara, seine Cousine zweiten Grades, die im Jahr 1720 nach fast dreizehnjähriger Ehe starb, während er selbst mit seinem Dienstherrn Leopold von Anhalt-Köthen auf einer Reise nach Karlsbad war: Das Rezitativ der Fantasie soll eine Klage auf den Tod von Maria Barbara darstellen.
Hochrangiger Wettstreit der Kollegen
Tatjana Vorobjova lässt es einerseits nicht an Virtuosität fehlen, die diesem Werk durchaus ansteht, und die ja auch bei den hochrangigen Solisten der Vergleichsaufnahmen keinesfalls im Hintergrund steht. Gerade aber bei der Fuge fällt auf, dass die Künstlerin sich auf sehr ähnlichen Pfaden bewegt wie Christopher Hogwood, wiewohl er für seine Aufnahme des Stückes im Jahr 2001 das intime Clavichord wählte, dem die Fama eine besondere Verbundenheit von Johann Sebastian Bach zuweist. Wenn also Tatjana Vorobjova hier eine ähnlich würdevolle Haltung einnimmt wie Christopher Hogwood und sich nicht zu einer eher konstruktivistischen Deutung verleiten lässt wie ihr Kollege Léon Berben, liegt die Folgerung nahe, dass sie – wie auch Hogwood – den inneren Zusammenhang der beiden Teile von BWV 903 besser verstanden hat.
Encore
Gewissermaßen als Zugabe fügt Tatjana Vorobjova ihrem Bach Programm noch ein eigenes Arrangement des Adagios aus dem Orgelwerk Toccata, Adagio und Fuge C-Dur BWV 564 hinzu: Das Stück zeigt sich als sehr geeignete Zugabe, die diesem glanzvollen Programm einen kontemplativen Abschluss zufügt.
Vergleichseinspielungen: BWV 823: Ketil Haugsand (Cembalo, Martin Skowroneck, Bremen, 1985), AD: 2017 www.bachvereniging.nl/nl/bwv/bwv-823
BWV 903: Christopher Hogwood (Clavichord), AD: 2001, CD: MET CD 1056; Léon Berben (Cembalo), AD: 2009, CD: MYR001CD.
Detmar Huchting [21.04.2024]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Johann Sebastian Bach | ||
1 | Suite f-Moll BWV 823 | 00:06:31 |
4 | Partita Nr. 3 a-Moll BWV 827 | 00:19:29 |
11 | Chromatische Fantasie und Fuge d-Moll BWV 903 | 00:12:12 |
13 | Partita Nr. 6 e-Moll BWV 830 | 00:35:13 |
20 | Adagio aus Toccata, Adagio und Fuge C-Dur BWV 564 | 00:02:47 |
Interpreten der Einspielung
- Tatjana Vorobjova (Cembalo)