Nachhall
Othmar Schoeck Orchesterlieder
Schweizer Fonogramm SF0015
1 CD • 63min • 2023
08.03.2024
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Etwa 400 Klavierlieder hat der Schweizer Othmar Schoeck (1886-1957) komponiert, die sozusagen das „Herzstück“ in seinem reichen und vielseitigen Werk bilden und auch im deutschen Konzertrepertoire einen festen Platz gefunden haben. In seinen letzten Jahren, seit längerem an den Folgen eines Herzinfarkts leidend, arbeitete er an einem Zyklus von Orchesterliedern, in denen er gleichsam die Summe seines Lebens und Schaffens zieht. Man ist dabei etwas an Vier letzte Lieder von Richard Strauss erinnert. Nachhall op. 70 (1954-56) ist eine sehr nachdenkliche Bestandsaufnahme. In elf Gedichten von Nikolaus Lenau, denen ein Epilog von Mathias Claudius folgt, werden Abschied, Einsamkeit und Erstarrung thematisiert. Resignation gibt den Ton an, auch in Schoecks kompositorischen Mitteln, die noch ganz der musikalischen Spätromantik verpflichtet sind. Die Schweizer Dirigentin Graziella Contratto, die sich seit einigen Jahren verstärkt mit dem Komponisten auseinandergesetzt hat, konfrontiert hier dieses Spätwerk mit einigen seiner frühesten Klavierlieder, für die sie selbst eigene Orchester-Arrangements geschaffen hat.
Der junge Schoeck
Diese suggerieren Kontinuität im Œuvre des Schweizers, der seinem persönlichen Stil – ähnlich wie Richard Strauss – über die Jahrzehnte hinweg treu geblieben ist und sich von den Herausforderungen der Avantgarde nicht allzu sehr hat irritieren lassen. Die Lieder op. 4 und op. 17 – letztere unabhängig voneinander geschrieben und erst vom Verleger in die Form eines Zyklus gebracht – stammen aus den Jahren 1904-1909, also aus Schoecks Leipziger Studienzeit (u.a. bei Max Reger), und zeigen schon in der Auswahl der Texte seinen literarischen Background: Heine, Eichendorff, Jacobi, Uhland, Mörike und vor allem Eichendorff. Bei dessen Gedicht Auf einer Burg lässt sich der Student mutig auf einen Vergleich mit der Vertonung des Gedichts durch Robert Schumann ein. Die Herangehensweise des Komponisten ist sehr respektvoll, in der Einfachheit der Melodie ganz den Dichtungen untergeordnet. Die Bearbeitungen Frau Contrattos, die nach eigener Aussage den Gesangspart unangetastet ließ und in der Begleitung keine Note hinzufügte, hatten das Ziel, „die verschiedenen pianistischen Begleitstrukturen in sinfonische Farben aufzufächern“.
Für und wider
Diese Versuche gelingen unterschiedlich. Gerade bei den Heine-Gedichten op. 4 wird die Simplizität der Melodieführung (speziell in Sommerabend) durch den Einsatz des spätromantischen Orchesters konterkariert. Die Lieder wirken manchmal aufgebläht, der pathetische Aufschrei („Warum verließest du mich?“ in Warum sind denn die Rosen so blass?) war Heines Sache nicht. Mit dem Einsatz von Harfe, Celesta, Glockenspiel und sordinierten Streichern kippt das souveräne Kunsthandwerk der Arrangeurin mitunter in Kunstgewerbe um. In einigen Fällen geht die instrumentale Begleitung erfolgreich über die nackte Klavierversion hinaus. In Eichendorffs Der frohe Wandersmann („Wem Gott will rechte Gunst erweisen“) wird mit dem neckischen Einsatz der Holzbläser ländliches Kolorit beschworen. In Mörikes Peregrina II, wo das lyrische Ich die untreue Frau verstoßen hat und sie nun doch sehnlichst zurückerwartet, wird dem Wechselbad der Gefühle mit einer symphonischen Konzeption der Orchesterbegleitung entsprochen.
Vorbildliche Präsentation
Mit gewachsener Sachkenntnis und hohem Engagement setzt sich Graziella Contratto mit dem Berner Symphonieorchester für den nicht unkritisch verehrten Landsmann ein und hat mit den beiden Sängern erstklassige Mitstreiter zur Seite. Der Bariton Stephan Genz ist ein tief in Text und Musik eindringender Interpret des Spätwerks und die ukrainische Sopranistin Olena Tokar ist in allen Gefühlslagen der frühen Lieder zuhause. Echte Schweizer Wertarbeit ist das üppige Booklet mit reichem Bildmaterial und einer längeren Werkeinführung der Dirigentin, die auch ausführlich Rechenschaft ablegt über ihre Verfahrensweise bei den Arrangements.
Ekkehard Pluta [08.03.2024]
Anzeige
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Othmar Schoeck | ||
1 | Nachhall op. 70 Nr. 1 | 00:03:43 |
2 | Einsamkeit op. 70 Nr. 2 | 00:04:52 |
3 | Mein Herz op. 70 Nr. 3 | 00:01:42 |
4 | Veränderte Welt op. 70 Nr. 4 | 00:01:30 |
5 | Abendheimkehr op. 70 Nr. 5 | 00:01:40 |
6 | Auf eine holländische Landschaft op. 70 Nr. 6 | 00:02:53 |
7 | Stimme des Windes op. 70 Nr. 7 | 00:03:08 |
8 | Der falsche Freund op. 70 Nr. 8 | 00:01:22 |
9 | Niagara op. 70 Nr. 9 | 00:04:43 |
10 | Heimatklang op. 70 Nr. 10 | 00:03:24 |
11 | Kranich op. 70 Nr. 11 | 00:04:03 |
12 | O du Land op. 70 Nr. 12 | 00:02:41 |
13 | Sommerabend op. 4 Nr. 1 | 00:02:32 |
14 | Warum sind denn die Rosen so blaß op. 4 Nr. 2 | 00:02:18 |
15 | Wo? op. 4 Nr. 3 | 00:02:37 |
16 | Erinnerung op. 17 Nr. 7 | 00:01:44 |
17 | Im Sommer op. 17 Nr. 1 | 00:01:28 |
18 | Im Herbste op. 17 Nr. 2 | 00:01:20 |
19 | Der Kirchhof im Frühling op. 17 Nr. 3 | 00:02:58 |
20 | Gekommen ist der Maie op. 17 Nr. 5 | 00:01:45 |
21 | Der frohe Wandersmann op. 17 Nr. 8 | 00:02:18 |
22 | Peregrina II op. 17 Nr. 4 | 00:05:07 |
23 | Auf einer Burg op. 17 Nr. 6 | 00:03:14 |
Interpreten der Einspielung
- Olena Tokar (Sopran)
- Stephan Genz (Bariton)
- Berner Symphonie-Orchester (Orchester)
- Graziella Contratto (Dirigentin)