Schubert
Winterreise
Florian Götz | Grundmann-Quartett
Genuin GEN 23819
1 CD • 72min • 2022
09.01.2024
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
„Es zieht ein Mondenschatten als mein Gefährte mit“, erklärt uns das lyrische Ich gleich im ersten Lied der Winterreise. In der hier vorliegenden Fassung von Eduard Wesley, in der das begleitende Klavier durch ein Quartett ersetzt wird, ist er in Gestalt eines Englischhorns über den ganzen Zyklus hinweg gegenwärtig, wird zum zweiten Protagonisten neben der Gesangsstimme, bewegt sich je nach Marschrichtung mal vor, mal neben, mal hinter dem Sänger her. Doch auch das Streichtrio gibt sich nicht mit einer Continuo-Funktion zufrieden, tanzt spielerisch um die beiden Solisten herum, betätigt sich als phantasievoller, quicklebendiger Erzähler. Wo das Englischhorn die inneren Befindlichkeiten des Winterreisenden spiegelt, malen die drei Streicher die von außen auf ihn eindringenden Stimmungen aus. Ob es so gemeint war, weiß ich nicht – das Booklet gibt keine Informationen zu den Absichten des Arrangements –, aber es hat mich in dieser Form als eine Möglichkeit der Interpretation vollkommen überzeugt, weil es den landläufigen Deutungen neue, d.h. vor allem epische Facetten hinzufügt, ohne Schuberts Notentext im Geringsten zu verfälschen. Was im Klaviersatz seiner Gesangszyklen an instrumentalem Potential steckt, haben übrigens schon vorher andere Gruppierungen mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen vorgeführt.
Ein homogenes Team
Das Grundmann-Quartett, 2010 gegründet und nach dem Oboenbauer Jakob Friedrich Grundmann (1727-1800) benannt, hat sich mit Kompositionen aus verschiedenen Jahrhunderten von Mozart bis Schostakowitsch profiliert und arbeitet seit einiger Zeit auch mit dem Bariton Florian Götz zusammen. Mit ihm bilden die Musiker hier ein homogenes Team. Das äußert sich in einem organischen, unaufgeregten gemeinsamen Musizieren, das auch in der Tempowahl immer das richtige Maß findet, im lebhaften Vorwärtsschreiten wie bei den kontemplativen Ruhepunkten. Trostlosigkeit und Depression vermittelt sich im Vortrag des Sängers kaum, der vom vokalen Erscheinungsbild eine Kämpfernatur zu sein scheint und überdies die lange Reise durch die Nacht nicht einsam unternehmen muss, sondern in der angenehmen Gesellschaft der Musiker. Es bleibt am Ende ein Rest von Zuversicht, dass alles noch gut werden kann, jedenfalls keine Suizidgefahr besteht. Götz findet im Vortrag eine glückliche Balance zwischen intellektueller Klarheit und emotionaler Emphase. Die Diktion ist glasklar und variabel im Ausdruck, die Stimme blüht in der Mittellage und Höhe prachtvoll auf, ohne dass der Sänger opernhaft übertreibt. Auf dem Gebiet des Liedgesangs ist von ihm in Zukunft noch einiges zu erwarten.
Zusätzliche Aspekte
Als Intermezzo zwischen den beiden Abteilungen des Zyklus erklingt – dramaturgisch plausibel – das Andantino aus dem Quartett-Arrangement der Klaviersonate A-Dur D. 959, die Schubert – noch nach der Winterreise – zwei Monate vor seinem Tod geschrieben hat. Das Booklet enthält neben den Liedtexten einen längeren Essay von Erika von Borries über Wilhelm Müller, den lange unterschätzten Dichter der Lieder, in dem sie besonders auf die verdeckten politischen Inhalte der Texte hinweist, die den Interpreten damit auch bewusst waren, ohne dass sie sich mit Schuberts Musik hätten konkretisieren lassen.
Ekkehard Pluta [09.01.2024]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Franz Schubert | ||
1 | Gute Nacht op. 89 Nr. 1 D 911 (aus: Die Winterreise) | 00:05:03 |
2 | Die Wetterfahne op. 89 Nr. 2 D 911 (aus: Die Winterreise) | 00:01:21 |
3 | Gefrorne Tränen op. 89 Nr. 3 D 911 (aus: Die Winterreise) | 00:02:10 |
4 | Erstarrung op. 89 Nr. 4 D 911 (aus: Die Winterreise) | 00:03:01 |
5 | Der Lindenbaum op. 89 Nr. 5 D 911 (aus: Die Winterreise) | 00:04:02 |
6 | Wasserflut op. 89 Nr. 6 D 911 (aus: Die Winterreise) | 00:03:52 |
7 | Auf dem Flusse op. 89 Nr. 7 D 911 (aus: Die Winterreise) | 00:03:25 |
8 | Rückblick op. 89 Nr. 8 D 911 (aus: Die Winterreise) | 00:02:16 |
9 | Irrlicht op. 89 Nr. 9 D 911 (aus: Die Winterreise) | 00:02:28 |
10 | Rast op. 89 Nr. 10 D 911 (aus: Die Winterreise) | 00:02:50 |
11 | Frühlingstraum op. 89 Nr. 11 D 911Nr. 11 (aus: Die Winterreise) | 00:03:46 |
12 | Einsamkeit op. 89 Nr. 12 D 911 Nr. 12 (aus: Die Winterreise) | 00:02:35 |
13 | 2. Satz Andantino aus Klaviersonate Nr. 21 A-Dur D 959 | 00:06:27 |
14 | Die Post op. 89 Nr. 13 D 911 (aus: Die Winterreise) | 00:01:59 |
15 | Der greise Kopf op. 89 Nr. 14 D 911 (aus: Die Winterreise) | 00:02:44 |
16 | Die Krähe op. 89 Nr. 15 D 911 (aus: Die Winterreise) | 00:01:45 |
17 | Letzte Hoffnung op. 89 Nr. 16 D 911 (aus: Die Winterreise) | 00:02:01 |
18 | Im Dorfe op. 89 Nr. 17 D 911 (aus: Die Winterreise) | 00:03:10 |
19 | Der stürmische Morgen op. 89 Nr. 18 D 911 (aus: Die Winterreise) | 00:00:49 |
20 | Täuschung op. 89 Nr. 19 D 911 (aus: Die Winterreise) | 00:01:13 |
21 | Der Wegweiser op. 89 Nr. 20 D 911 (aus: Die Winterreise) | 00:03:24 |
22 | Das Wirtshaus op. 89 Nr. 21 D 911 (aus: Die Winterreise) | 00:03:52 |
23 | Die Nebensonnen op. 89 Nr. 23 D 911 (aus: Die Winterreise) | 00:02:15 |
24 | Der Leiermann op. 89 Nr. 24 D 911 Nr. 24 (aus: Die Winterreise) | 00:03:56 |
Interpreten der Einspielung
- Florian Götz (Bariton)
- Grundmann-Quartett (Quartett)