Georg Friedrich Händel
Messiah
Early Version 1741
Rondeau ROP622324
2 CD • 2h 21min • 2021, 2022
29.11.2023
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Wer der Unzahl der Einspielungen von Georg Friedrich Händels wohl populärsten Werk, dem Messias, eine weitere hinzufügen will, benötigt hierfür eine schlüssige Begründung. Diese haben Felix Koch und seine Ensembles, da sie die Umstände der Dubliner Erstaufführung von 1741 anhand der von Malcolm Bruno erarbeiteten und bei Breitkopf & Härtel edierten Fassung rekonstruieren. Dadurch kommen die Frühfassungen dreier Arien zu Ehren, zudem wird die Bläserbesetzung von traditionell nur einer Oboe und zwei Trompeten um die zweite Oboe und zwei Fagotte erweitert sowie statt eines zumeist recht massiven Chores nur ein Vokalensemble mit 28 Sängern besetzt.
Work in Progress
Wie alle Komponisten des Barock war Händel äußerst flexibel darin, seine Werke je nach Ort und Interpreten zu verändern und den Aufführungsbedingungen anzupassen. Retuschen der Besetzung waren üblich, aber es konnte auch erforderlich werden, Arien, die Sängern nicht passten, gegen andere auszutauschen, zu erweitern, zu kürzen oder notfalls durch ein Rezitativ zu ersetzen.
Wie Telemanns Vorworte zu seinen gedruckten Kantatensammlungen beweisen, wurde standardmäßig nur der Satz der Sänger und Streicher notiert. Dieser konnte jedoch von beliebigen Bläsern dem Affekt entsprechend verstärkt oder übernommen werden. Besonders auch deshalb, weil die Oboisten im Barock als Nebeninstrumente zumeist Block- und Traversflöte beherrschten, was dem Engel und den Hirten im Weihnachtskapitel des Messias eine zusätzliche Farbe geben könnte. Händel deutet ihre Verwendung sogar durch die Vorschrift con/senza Ripieni (Verstärkerstimmen) an. So ist nur die Verwendung eines zweiten Fagotts bemerkenswert, das weitestgehend colla parte mit dem Chor-Tenor spielt.
Die Arien
Viele Arien des Messias liegen in unterschiedlichen Fassungen für Sopran, Alt oder Bass vor. Diese Varianten findet man bereits vollständig in der alten Händel-Gesamtausgabe durch Friedrich Chrysander. Deshalb gilt es vor Messias-Aufführungen abzuklären, welcher Solist die betreffende Arie singt und dazu in welcher Lesart, da Bassisten gern die späteren Alt-Versionen kapern. Die heute übliche Fassung von But who may abide mit den beiden dramatischen Prestissimo-Abschnitten entstand für den Alt-Kastraten Gaetano Guadagni, der später Christoph W. Glucks erster Orpheus werden sollte, in einer Londoner Wiederaufnahme von 1750. Die ursprüngliche Fassung für Bass behält das Siciliano über die gesamte Strecke bei, ist dadurch wesentlich kontrastärmer und liegt mit mehreren hohen F’s recht baritonal.
Die Sopran-Arie „Rejoice, rejoice“ hat Händel später erheblich gekürzt und die Koloraturen von Achtel-Triolen auf Sechzehntel geschärft. „Thou art gone up“ wurde ebenfalls für Guadagni modifiziert und erklingt hier in der originalen Fassung für Bass. Somit kann eigentlich nur die Langfassung von „Rejoice“ als echter Zugewinn verbucht werden.
Frische Interpretation
Felix Koch leitet den Gutenberg-Kammerchor und das Neumeyer-Consort zu frischen Tempi und deutlicher Artikulation an, steht interpretatorisch fest auf dem Boden der historischen Aufführungspraxis. Dadurch gerät ihm das Werk, das sich in manchen Aufführungen doch – trotz mehrerer Kürzungen – arg „zieht“, ausgesprochen kurzweilig. Allerdings gilt das Postulat einer Ersteinspielung nur für hinzugefügten Bläser, da eine Rekonstruktion der Dubliner Version bereits von Hermann Scherchen versucht wurde und Jonathan Butt mit seinem Dunedin Consort auf Linn eine perfekte Interpretation dieser Fassung ohne Oboen und Fagotte bereits 2006 eingespielt haben.
Sopranistin Viola Blache gestaltet ihren Part durchaus ansprechend, schleift aber Töne am hohen Registerwechsel um f2 zu oft von unten an. Aus Angst vor zu viel Vibrato gerät die Höhe dann eng. Manches ist etwas zu tief intoniert.
Stefanie Schaefer gelingt „He was despised“ absolut überzeugend. Wer nach dem intensiv gestalteten Mittelteil beim Da Capo ohne Gänsehaut dasitzt, qualifiziert sich zum Eisblock.
Bei Fabian Kelly überzeugt sowohl der lyrische Beginn, er verfügt aber auch über Kraft und Squillo für das heroische „Thou shalt break them“. Dazu ist seine Koloraturtechnik brillant und sein Englisch idiomatisch.
Sängerisch auf demselben Niveau bewegt sich Julian Dominique Clement, der in „Why do the nations“ gestochen saubere Triolen in rasendem Tempo abliefert. Er sollte allerdings an seinem „th“ arbeiten. „Sää Trampet schäll saund“ anstatt „The trumpet shall sound“ dürfte bei den Insulanern für Schmunzeln sorgen.
Das Booklet mit einem interessanten Interview mit dem Herausgeber der Dubliner Fassung, Malcom Bruno, und die Aufnahmetechnik gehen in Ordnung.
Fazit: Wer an der Dubliner Fassung interessiert ist und auf die zusätzlichen Oboen und Fagotte verzichten kann, ist mit der Aufnahme von Jonathan Butt und dem Dunedin Consort & Players besser bedient, die die Chöre mit nur 13 Profis besetzt und diesen dann auch noch die Arien zuweist. Dort stört dann höchstens die zwar schön singende, aber arg temperamentlose Altistin.
Vergleichsaufnahme: Jonathan Butt – Dunedin Consort & Players – Linn Records.
Thomas Baack [29.11.2023]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Georg Friedrich Händel | ||
1 | The Messiah HWV 56 (Oratorium in drei Teilen) | 02:21:23 |
Interpreten der Einspielung
- Viola Blache (Sopran)
- Stefanie Schaefer (Alt)
- Fabian Kelly (Tenor)
- Julian Dominque Clement (Bass)
- Gutenberg-Kammerchor (Chor)
- Neumeyer Consort (Ensemble)
- Felix Koch (Dirigent)