Carl Heinrich Graun
Iphigenia in Aulis
cpo 555 475-2
2 CD • 2h 02min • 2021
07.08.2023
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Nichts ist vergnüglicher als Lexika Lügen zu strafen: „Reclams Komponisten Lexikon“ meint zu den Opern des Braunschweiger und späteren Berliner Hofopernkomponisten Carl Heinrich Graun (1704-1759): „Seinerzeit geschätzt, verfielen seine Bühnenwerke jedoch später dem Vorwurf mangelnder Originalität.“ Diesem Vorwurf widerspricht diese Aufnahme von Grauns Oper Iphigenie auf Aulis aufs Deutlichste. Zu Recht schwärmt Ira Hochman, die mit ihrem Ensemble barockwerk hamburg diese Oper aus dem Jahre 1728 eingespielt hat, im Booklet von der „Fülle an höchst inspirierender Musik…, die von herausragender Qualität und melodischer Schönheit ist.“ Eine funkelnde Perlenkette origineller Arien, die nie langweilen oder nur barockopernmäßig herunterschnurren, sondern immer höchst originell sind, erfreut den Zuhörer. Meist sind es streicherbegleitete Arien, es gibt aber auch Fagott-Arien, eine Cello-Arie, in der dieses Instrument mit der Tenorstimme wetteifert (CD 2, Track 9), und eine von Flötentropfen und Geigen-Pizzicati begleitete Sterbenwollen-Arie, eine Lauten- und eine Hörner-Arie, je nach der vertonten Stimmung. Allenfalls könnte man die Form der Da-capo-Arien kritisieren – die schließlich auch von König Friedrich II. für Berlin abgeschafft wurde.
Klassischer Opernstoff
Das Libretto von Georg Caspar Schürmann, dem Chef und befreundetem Kollegen von Graun in Braunschweig, orientiert sich an dem von Christian Heinrich Postel für die Iphigenia-Oper von Reinhard Kaiser am Hamburger Gänsemarkt-Theater mit der hinzugefügten Rolle der Deidamia als Geliebter von Achilles. Thoas ist hier der Geliebte von Iphigenie, allerdings unter dem Decknamen Anaximenes – es ist eine Altus-Rolle. Die komische Person ist hier Thersites, der gegen die Liebessucht von Männern und Frauen gleichzeitig wettert. Es fehlt die Musik zu Rezitativen, die ist im Lauf der Geschichte verlorengegangen.
Hochprofessionelles Orchester und animierte Sänger
Ira Hochman mit dem barockwerk hamburg und den Sängern gehen so animiert ans Werk, dass man die Oper geradezu inszeniert vor sich sieht und gerne einmal auf irgendeiner Bühne sehen möchte, vielleicht als Singspiel mit neu geschriebenen Zwischentexten. Die ironischen Zwischentexte im Booklet von Marcus Stäbler könnten da als Ausgangspunkt dienen. Das hervorragend besetzte Orchester agiert hochprofessionell historisch informiert, mit immer vorantreibendem Schwung zum Beispiel schon in der aufgeregt-dramatischen Ouvertüre, aber auch mit volltönend-elegischer Klage in den vielen Lamento-Arien.
Die werden von den Sängern und Sängerinnen genauso professionell und leidenschaftlich gesungen. Als Agamemnon verfügt Dominik Wörner über einen klangvollen Bass rhetorischen Nachdruck, ist als Nestor aber herrscherlicher als in seiner Rolle des König Agamemnon. Die Arien des Achilles liegen alle recht hoch – kein Problem für den oft temperamentvoll-erhitzten Tenor von Mirko Ludwig, der bestens die Verblendung der Stimmlagen beherrscht. Terry Wey als Altus kann sowohl melodisch klagen als auch koloraturenreich wüten, Andreas Heinemeyer verleiht den alles verlachenden Hetzreden des Thersites genügend Hetzkraft, singt aber fast zu schön dafür. Auch Geneviève Tschumi als Clytemnestra singt fast zu schön für die Zorn-Arien.
Frauliche und mädchenhafte Soprane
Die sehr klare und bisweilen oboenhaft tönende und völlig höhensichere Stimme von Hanna Zumsande ist für die Iphigenia fast zu fraulich voll, während Santa Karnīte als Deidamia eine mädchenhaft innig-süße Stimme hat: umgekehrt wäre es besser. Doch im Gedächtnis bleibt, wie eine Arie schöner klingt als die andere, wie man sich nach einer schon auf die nächste freut und alle Klagemöglichkeiten genießt – zumal alles bestens vom Tonmeister eingefangen ist samt der nur sanft halligen Akustik der Christuskirche Hamburg Othmarschen.
Rainer W. Janka [07.08.2023]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Carl Heinrich Graun | ||
1 | Iphigenia in Aulis (Oper in drei Akten) | 02:02:18 |
Interpreten der Einspielung
- Hanna Zumsande (Iphigenia - Sopran)
- Santa Karnīte (Deidamia - Sopran)
- Geneviève Tschumi (Clytemnestra - Mezzosopran)
- Terry Wey (Anaximenes - Altus)
- Mirko Ludwig (Achilles - Tenor, Nestor - Tenor)
- Andreas Heinemeyer (Thersites - Baß)
- Dominik Wörner (Agamemnon - Baß)
- barockwerk hamburg (Ensemble)
- Ira Hochmann (Dirigentin)