Georg Friedrich Händel • Georg Philipp Telemann
Cleofida • Königin von Indien
cpo 555 560-2
3 CD • 3h 00min • 2020
17.07.2023
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Pietro Metastasio, der Meister des Librettos für Opere Serie, schrieb seinen Alessandro nell’Indie 1729 für Leonardo Vinci. Dieses Textbuch, das um den Sieg Alexanders des Großen über den indischen König Porus kreist, erwies sich als derart erfolgreich, dass es bis gegen 1780 ungefähr 90 mal vertont wurde, wobei man im Titel zwischen den drei Hauptpersonen munter abwechselte. Mal hieß das Werk Alessandro, mal Poro, mal wie in der hier eingespielten Bearbeitung Georg Philipp Telemanns des Poro von Georg Friedrich Händel, wie bei Johann Adolf Hasse Cleofida.
Sechs Personen suchen einen Komponisten
Metastasio orientiert sich an den typischen Stagione-Besetzungen seiner Zeit und sieht mit den Indern Cleofida und Poro ein königlich-hohes Paar und mit Erixena plus Gandartes ein etwas weniger hohes Paar vor, zu denen die siegreichen Griechen in Gestalt des Alessandro und seines meuternder General Timagenes treten.
Nach der verlorenen Schlacht am Hydaspes will Poro sich das Leben nehmen, wird jedoch von Cleofida, der Königin eines anderen indischen Reiches, die mit ihrem Heer zu seiner Hilfe geeilt war, davon abgehalten. Sie versucht jetzt Alessandro zu becircen, um günstige Friedensbedingungen zu erwirken. Es kommt zu tragikomischen Momenten, da Poro, der in seiner Eifersucht ein enger Verwandter Otellos ist, einige raffinierte Schachzüge unabsichtlich hintertreibt. Der zweite Akt ist eine Verwechslungskomödie, die dadurch entsteht, dass Poro mit seinem Untergebenen Gandartes die Kleider tauscht, worauf Gandartes gefangen genommen wird und Poros sich als ein Herzog „Asbite“ ausgibt. Nach vielen Wirrungen und Überlegungen, wie man sich oder auch Alessandro am besten umbringt, kommt es zu einem Happy End, da Alessandro allen großmütig verzeiht.
Vom Haymarket an den Gänsemarkt
Telemann führte als Direktor des ersten bürgerlichen Opernhauses nördlich der Alpen, der 1678 gegründeten „Oper am Gänsemarkt“, von 1723 an gerne die Werke seines Freundes Händel auf. Allerdings mussten diese zunächst bearbeitet werden, da die Hanseaten verstehen wollten, was sich eigentlich auf der Bühne abspielt. Dazu war es zunächst erforderlich, die Rezitative, in denen sich ja die eigentliche Handlung abspielt, ins Deutsche zu übersetzen und komplett neu zu vertonen. Außerdem konnte man sich in Hamburg keine italienischen Kastraten erlauben, wogegen einerseits die lutherische Orthodoxie, andererseits das Budget opponierten. Verlangten Händels Top-Stars in London doch leicht 2000 oder 3000 Pfund pro Saison. Diese Partien übernahmen dann Tenöre und Bässe. Hamburg verfügte mit Johann Georg Riemschneider über einen der besten Bassisten Nordeuropas. So war es klar, dass dieser die für den Kastraten Senesino geschriebene Rolle des Poro zugeteilt bekam. Johann Mattheson rühmte dessen brillante Triller und seine gestochen-sauberen Koloraturen. Somit kann man sagen, dass das Händel-Revival der 20er- bis 60er-Jahre, mit dem Einsatz tiefer Männerstimmen gar nicht einmal historisch so falsch lag, wie es uns heute vorkommen mag.
Einspielung mit Hindernissen
Jörg Halubek hat keinesfalls Unrecht, wenn er auf eine sprachlich gemischte Interpretation setzt. Durch die Übersetzung der Rezitative wird man stärker in das Bühnengeschehen involviert. Leider stand die Einspielung unter einem ungünstigen Stern. Ursprünglich war geplant, zwei konzertante Aufführungen live mitzuschneiden und danach in einer Studio-Session weniger Gelungenes zu korrigieren. Diese Live-Konzerte wurden Opfer der Corona-Maßnahmen bis hin zum harten Lockdown. So kam es nur zu einer Studio-Einspielung, die sich jedoch aus praktischen Gründen nicht an der originalen Reihenfolge orientieren konnte. Dass diese ein durchweg sinnvolles Ergebnis erbrachte, verdient höchste Anerkennung. Das Instrumentalensemble spielt inspiriert, klangschön. Tempi und Agréments passen ebenfalls.
Sängerisch hervorragend sind die weiblichen Partien besetzt. Suzanne Jerosme in der Titelrolle vermag mit ihrem großen lyrischem Instrument sowohl zu schmeicheln, zu trauern, als auch tragisch aufzutrumpfen („Dirgli, io son fedele“ CD2/7).
Johanna Pommranz gewinnt die Herzen als Erixena vom ersten Ton an mit ihrem süffig timbrierten Soprano leggiero. Beide Damen verzieren und phrasieren intelligent, verfügen über eine saubere Koloraturtechnik sowie einen modulationsfähigen Triller.
Weniger anfreunden kann ich mich mit dem Gandartes des Leandro Marziotte. Von einem Countertenor sollte man einen ordentlichen Triller und fließende Koloraturen ohne eingeschobene „h’s“ erwarten. Zudem ist sein Timbre für eine semi-heroische Partie zu weißlich, weshalb sein Siciliano „Se viver“ (CD2/13) schlichtweg – auch wegen der von unten angesungenen Quartsprünge – verpufft.
Florian Götz als Porus kostete mich persönlich Nerven. Wenn die einfachsten Tonverbindungen zwischen punktierten Halben in „Senza procelle“ (CD2/9) nur mit eingeschobenen Aspirationen funktionieren, hat das mit Barockgesang nur noch wenig gemein. Diese aufsteigende Linie hätten Senesino und auch Riemschneider als Einladung zu einer Trillerkette verstanden. Pech bloß, wenn man keine einwandfreien Triller bilden kann. Ebensowenig sollte man Auftakte auf einem d1 kopfig nehmen, ohne sie zu akzentuieren.
Jorge Navarra Colorado hat es als überaus attraktiv timbrierter lyrischer Tenor mit der Partie des Alessandro nicht eben leicht, da sich Händel hier wohl einen Baritenor gedacht hat, für den die häufigen tiefen Hs und Cs kein Problem darstellen. Er löst das Problem jedoch außerordentlich geschickt, indem er für die Da Capos höhere Varianten komponiert, was völlig legitim ist. Zudem phrasiert er höchst musikalisch, singt seine Koloraturen immer auf Linie und schließt sie häufig mit einem perfekten Triller ab.
Sehr erfreulich schlägt sich Josep-Ramon Olivé als Meuterer Timagenes. Ihm fallen zwei von Telemann nachkomponierte Arien zu, die er mit brillanter Technik makellos bewältigt. Für mich wäre er der ideale Porus gewesen.
Das Booklet ist opulent, wenngleich unangenehm klein gedruckt. Die exzellenten einführenden Essays und der vollständige italienisch-deutsch-englische Text veranlassen mich, beim Gesamteindruck einen Extra-Punkt zu vergeben. Dass die Technik trotz der Corona-Abstände ein einheitliches Klangbild schaffen konnte, grenzt an eine Wunder.
Fazit: Eine Händel-Telemann Co-Produktion, bei der man durch die deutschen Rezitative stärker in das Geschehen involviert ist, und diese nicht zum Kaffeeholen oder Internet-Surfen missbraucht. Sängerisch zwischen exzellent und grenzwertig schwankend, entstand eine durchaus hörenswerte Bereicherung des Repertoires, die auch für eine Bühnenproduktion anregend sein dürfte.
Thomas Baack [17.07.2023]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Georg Friedrich Händel/Georg Philipp Telemann | ||
1 | Cleofida | 02:59:59 |
Interpreten der Einspielung
- Suzanne Jerosme (Cleofida - Sopran)
- Florian Götz (Porus - Bariton)
- Jorge Navarro Colorado (Alessandro - Tenor)
- Johanna Pommranz (Erixena - Sopran)
- Leandro Marziotte (Gandartes - Altus)
- Josep-Ramon Olivé (Timagenes - Baß)
- Il gusto barocco (Orchester)
- Stuttgarter Barockorchester (Orchester)
- Jörg Halubek (Dirigent)